Schwäbische Zeitung (Biberach)
Auch so kann Filmmusik klingen
Das Ensemble Ascolta stellte unterschiedliche Musik neu vertonter Stummfilme vor
BIBERACH - Eröffnet hat das Ensemble Ascolta sein Konzert am Donnerstag in der Stadthalle mit einem Film von 1928, „Vormittagsspuk“von Hans Richter, zu dem Martin Smolka eine neue Musik geschrieben hatte.
Die Szene „Hats in the Sky“zeigte in surrealistischen Bildsequenzen mehrere Bowlerhüte, die durch die Gegend flogen und auch schon mal auf Köpfen landeten. Jazzelemente läuteten das Klangkonvolut ein und Tonkonstruktionen wurden zusammenhanglos aneinandergereiht. Man spürte die Lust an dissonanten Klangabenteuern.
Kulturdezernent Jörg Riedlbauer begrüßte dann die wenigen Zuhörer, die zu dieser letzten Veranstaltung des „Club modern“in dieser Spielzeit gekommen waren. Er sprach über unterschiedliche Gestaltungsformen in Kunst und Kultur. „Diese Vielfalt darzustellen ist eine Aufgabe kommunaler Kulturpolitik.“
Das zweite Stück des Abends war ein Filmausschnitt „Head in the Sky“von Oleg Kauz. Auf dem Programmzettel war über ihn zu lesen: „Oleg Kauz begibt sich auf die Suche nach Körperlichkeit im Digitalen, seine Werke vereinen das Poetische mit dem Absurden, die Oberfläche mit der Tiefgründigkeit und Direktheit mit Verschlüsselung.“Aha!
Musik aus der Romantik
Stilistisch ist der gezeigte Ausschnitt quasi eine Fortsetzung des Beginns. Die Kamera bewegt sich im Wesentlichen über Straßenasphalt. In einem Arbeitshelm liegt ein einsamer abgeschnittener Kopf auf dem Boden, rollt in eine Kanalöffnung. Auch diese Musik ist von Martin Smolka, dessen Hang zu Kakofonischem nicht mehr überrascht.
Im Folgenden näherte man sich akustisch wieder der Tonalität, wie es von Eric Satie nicht anders zu erwarten war. Er komponierte den dadaistischen französischen Kurzfilm „Entrácte“, gedreht 1924 von René Clair. Ein Leichenwagen wird von Kamelen gezogen, wird immer schneller, viele Leute rennen hinterher. Am Schluss steigt die Leiche wieder aus dem Sarg. Die ansonsten originelle Musik nervt mit gelegentlichen hartnäckigen Ostinati. Plötzlich Musik aus der Romantik: Das Ensemble spielt den „Ungarischen Tanz Nr. 5“von Johannes Brahms – eine interessant klingende Instrumentierung. Dazu wurde ein Ausschnitt aus einem Film von Oskar Fischinger gezeigt, der formlose Fantasieformen tanzen lässt.
Nach der Pause verließ man das Thema „Film“. Von der Komponistin Jennifer Walshe folgte „The Church of Frequency and Protein“. Auch hier sei das Programmblatt zitiert: „Das Stück ist eine psychedelische Reise. Es geht um die Zusammenhanglosigkeit der Gleichzeitigkeit, wie man sie im Internet erlebt, mit unerwarteten und massiven Brüchen von O-TonAufnahmen von Martin Heidegger zu einer Seifenoper. Viel für Auge und Ohr. Opulent und unterhaltsam.“
Über letztere Behauptung kann man durchaus geteilter Meinung sein. Was man sah und hörte, war Folgendes: Der Trompeter bläst leer durch das Rohr, die mitwirkende Komponistin spricht irgendwelche Textstrukturen. Ein Musiker knackt Nüsse; vermutlich sind die Knacktöne komponiert. Zwei Musiker machen in Zeitlupe gymnastische Übungen. Plötzlich ertönt Krach, als wenn überdimensionierte Topfdeckel aufeinanderschlagen. Gelegentlich redet die Lady, wird aber tonal erschlagen von dominanten Instrumenten in höchster Phonzahl. Dann zupft einer der Musiker Salbeiblätter, schneidet diese, läuft im Zuschauerraum herum, verteilt die Kräuter; sie werden genommen. Zwei der Herren schreiben auf einer Schreibmaschine. Der Cellist streichelt seelenvoll lächelnd ein Spielzeugbärchen, erzeugt kurz darauf ekelhafte Quietschtöne auf seinem Instrument. Manchmal schreit Miss Walshe hysterisch.
Kunst? Allemal zu bewundern ist die Fantasie, immer neue Geräuschmöglichkeiten zu erfinden, nacheinander aufzureihen. Künstlerische Sinnfälligkeit ist nur mühevoll zu erahnen.