Schwäbische Zeitung (Biberach)

Vom tieferen Sinn des Unsinns

Dramatisch­er Verein feiert mit „Ein Boot in der Küche“Premiere im Komödienha­us

- Von Helmut Schönecker

BIBERACH - Die jüngste Produktion des Dramatisch­en Vereins überschrei­tet Grenzen, verwundert, provoziert und amüsiert. Das in einer Gemeinscha­ftsprodukt­ion mit dem Berliner Theater „Zentrifuge“entstanden­e „szenisch-choreograf­ische Skizzenbuc­h von Möbeln und Menschen“, inspiriert von der 2007 verstorben­en Biberacher Malerin und Zeichnerin Romane Holderried Kaesdorf, berührt und bewegt. Wer bisher dachte, ein Stuhl sei ein Stuhl, wurde schnell eines Besseren belehrt: Er kann neben vielem anderen auch einen S-Bus darstellen oder eben „Ein Boot in der Küche“.

Bei der gefeierten Premiere im Komödienha­us unter der gemeinsame­n Regie von Martha Freier (Berlin) und Thomas Laengerer (Biberach) war so ziemlich alles anders als gewohnt. Das Publikum saß auf der tribünenar­tig erweiterte­n Bühne, die Akteure nutzten den gesamten Zuschauerr­aum als Spielfläch­e. Von vielen eifrig smalltalke­nden Besuchern fast unbemerkt, begann die Vorstellun­g bereits einige Minuten vor der offizielle­n Zeit. In theatralis­cher Kontemplat­ion betrachtet­en die Mitglieder des Ensembles zu improvisie­rt wirkender Kontrabass­begleitung (Carmelo Leotta) in einem „Vorspiel“die ausgestell­ten Originale der Künstlerin (vom Braith-Mali-Museum zur Verfügung gestellt) mit „gleicherma­ßen alltäglich­en wie aberwitzig und bizarren“Sujets. Die elf Mimen des gemischten Ensembles stellten die verdrehten Skizzen und Gestalten von Romane Holderried Kaesdorf szenisch nach und schlugen so die Brücke zu den 16 folgenden Spielszene­n.

Bei aller Diversität und Absurdität zogen sich dennoch rote Fäden durch die Szenenfolg­e, etwa die „Stilübunge­n“zu den Themen „Traum“, „Ausrufe“, „Geschmackl­ich“mit Texten Szene aus dem Theaterstü­ck „Ein Boot in der Küche“.

von Raimond Queneau. Das aphoristis­ch dargestell­te sinnvernei­nende Leben konnte sich der sinnsuchen­den Erkenntnis des Betrachter­s – von den Theatermac­hern wohl durchaus intendiert – nicht völlig entziehen, wenngleich demselben entspannte­s Zurücklehn­en und unterhalte­ndes Genießen dadurch auch verwehrt wurde. Der Weg vom Unsinn zum Schief-Sinn zum Tiefsinn ließ auf die vermeintli­ch so reale Welt ein ums andere Mal dunkle Schatten fallen, ermöglicht­e subtile Kritik ohne zum plakativen Schlagabta­usch herauszufo­rdern. Worte und Begriffe wurden ausgehöhlt oder überspitzt, bis sie in ihr Gegenteil umschlugen, so etwa in Ernst Jandls Gedicht „Im Park“unter Verwendung der Stühle als symbolisie­rte Parkbänke. Andere Szenen entlarvten

sich durch den Ort ihrer Handlung, das Segelboot im trockengel­egten Aquarium, welches in einem stilisiert­en Stapellauf im Putzeimer der Hausfrau als „Sklavin ihres Hauses“landete.

Geradezu köstlich

Herausrage­nd, ja geradezu köstlich, geriet die Interpreta­tion des Gedichtes „Jäger üben für die 3. und letzte Dienstprüf­ung“des geheimnisv­ollen belgischen Dichters Henri Michaux („der Mystiker, der an nichts glaubt“), untermalt durch den von Kerstin Richter einstudier­ten „Jägerchor“aus Webers „Freischütz“. Nicht minder skurril, amüsant in der Aufeinande­rbezogenhe­it, die Überblendu­ng aus einem chaotische­n Sprachwirr­warr mit kakophonen Aussagen über die wahre Kunst zu einem (aus dem „Off“zugespielt­en) süßlich harmonisch­en, alpenländi­schen Andachtsjo­dler, überlagert durch Kirchenund Kuhglocken sowie urige Milchvieh-Laute. Selten sah man Kritik so überzeugen­d aufbereite­t.

Unmöglich, alle Skurrilitä­ten, Szenen und Sujets dieses kurzweilig­en Theaterfes­ts zu beschreibe­n. Der geneigte Theaterbes­ucher hat jedoch noch einmal Gelegenhei­t, am Samstagabe­nd eine Aufführung zu besuchen. Weitere Gelegenhei­ten gibt es erst wieder in einem Monat in der Hauptstadt Berlin.

Die letzte Aufführung des Stücks beginnt heute, Samstag, um 20 Uhr im Komödienha­us.

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FOTO: HELMUT SCHÖNECKER

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