Schwäbische Zeitung (Biberach)
Vom „Monster“lernen
Vier Mütter erklären, warum ein Leben mit Down-Syndrom so lebenswert wie jedes andere Leben ist
BALTRINGEN - Vier Frauen. Nur zwei haben sich zuvor schon gekannt. Und doch haben sie sich, von der SZ zu einer Gesprächsrunde nach Baltringen geladen, drei Stunden lang eine Menge zu erzählen. Weil sie etwas Besonderes verbindet: Sie lehnen Abtreibung ab, und sie lieben ihre Kinder – nicht trotz, sondern wegen einer Behinderung. Ein Leben mit Down-Syndrom, sagen sie, ist lebenswert. Und auch für die Eltern ein Segen. Wenn man es annimmt.
Am Anfang aber war der Schock. „Es war niederschmetternd“, sagt Gabi Braun über den Moment, als die Ärztin am Tag nach der Geburt ihres Mädchens das Ergebnis der ersten Untersuchung mitteilte: Trisomie 21. Down-Syndrom. „Ich konnte es nicht glauben. Die sagen, mein Kind ist behindert? Aber es ist doch ganz normal. Arme, Beine, alles da“, erzählt sie. Wo ist das Monster, für das so ein Kind von vielen gehalten wird? „Ich habe einen Bluttest verlangt.“Das Ergebnis kam zwei Wochen später und bestätigte die Diagnose. „Als der Anruf kam, war ich schon gefasster als am Anfang. Aber ich brauchte den Beweis.“
Nicht weniger schlimm als die erste Diagnose war die Reaktion der Ärztin. „Sie haben ein Down-SyndromKind. Daran sind Sie selbst Schuld, weil sie alle empfohlenen Voruntersuchungen verweigert haben“, habe sie zu hören bekommen. „Da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“Ja, man habe ihr, angesichts ihres fortgeschrittenen Alters, eine Fruchtwasseruntersuchung empfohlen. Aber rechtfertigt das derartige Vorwürfe, nur weil man von seinem Recht, etwas nicht zu tun, Gebrauch gemacht hat? Und was heißt Schuld? Schuld an einem Unglück?
Das nur ein solches ist, wenn man es als solches betrachtet, und nicht das Positive annimmt. Davon sind alle vier Frauen am Tisch überzeugt. Dass es für viele Eltern einer Katastrophe gleichkommt, wenn ihr Kind mit Down-Syndrom zur Welt kommt, hat für die vier Mütter vor allem mit mangelnder Aufklärung zu tun. „Man hört nur: Wie kann ich abtreiben, wenn Trisomie 21 festgestellt wird? Es gibt aber kaum Infos über das Leben mit dem Down-Syndrom“, sagt Stefanie Stöferle. „Warum heißt es immer: Hauptsache gesund? Was ist an einem behinderten Kind schlecht?“, fragt sich die 28-Jährige. Und dann sagt sie einen bemerkenswerten Satz: „Ein Kind mit Down-Syndrom ist das größte Geschenk, das du bekommen kannst.“
Als vor Jahren die Nachricht kam, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit keine eigenen Kinder würde kriegen können, brach eine Welt zusammen. „Ich wurde depressiv“, berichtet sie. Es dauerte, bis die Erkenntnis reifte: Das Leben ist nicht immer planbar, Es ist okay. Sein Charme hat mich locker gemacht. Da ist alle Last von mir abgefallen.“
Natürlich wirkt sich das DownSyndrom nicht bei jedem Menschen gleich stark aus. Das wissen auch die vier Frauen, die von ihren großen Sorgen wegen der bei DS-Kindern verbreiteten, mal kleineren, mal größeren Herzfehlern berichten, von Suchaktionen, weil man eine Sekunde nicht achtgegeben hat. Von hyperaktiven und extrem in sich gekehrten Menschen. Das alles sei natürlich auch anstrengend. „Aber man wächst in die Aufgabe rein“, sagt Hiltrud Knab. Und vor allem: Den Mühen stehe so viel Positives gegenüber. Da fallen Schlagworte wie Charme, Feingefühl, Empathie, Rücksicht, Hingabe. „Wir können so unglaublich viel lernen von diesen Kindern“, meint Stefanie Stöferle. „Sie zeigen uns, wie das Leben funktioniert.“Weil sie unbeschwert leben, im Jetzt und nicht in der Sorge, was morgen ist. „Wenn ich mal wieder in Hektik verfalle“, erzählt Christa Dangel, „macht mir meine Tochter klar, dass ich Geduld haben muss.“
Das gelte auch für die Entwicklung von DS-Kindern. „Ein Kind ist kein Statussymbol“, sagt Stefanie Stöferle über Eltern, die ihre Kinder immerzu mit anderen vergleichen. Hiltrud Knab fügt an: „Mit einem Down-Kind weiß man von vornherein: Diesen Wettbewerb gewinnst du nicht.“Genau das zu akzeptieren und zu erkennen, dass ein Kind anders ist als andere, aber nicht minder liebenswert, und auch dazu zu stehen – das sei eine Herausforderung, an der nicht nur betroffene Eltern, sondern auch die Gesellschaft allzu oft scheitere. Deswegen bereite auch der Umgang mit DownKindern vielen Probleme. „Das liegt aber nicht nur an der Gesellschaft, sondern auch an uns“, meint Stefanie Stöferle. „Wenn ich merke, jemand schaut mein Kind seltsam an, kläre ich ihn auf. Schon ist das Eis gebrochen und die Verunsicherung weg.“
Anerkennung statt Inklusion
Ihre Kinder, sagen die vier Mütter, brauchen keine Inklusion, die vor allem in der Schule mangels entwicklunsgerechter Förderung gar nicht funktioniere, sondern Respekt und Anerkennung in der Bevölkerung. Nicht fassen können sie es daher, dass es Länder gibt, die sich damit rühmen, die Geburtenzahl von Menschen mit Down-Syndrom nahezu auf null gesenkt zu haben. „Die Tötung von Menschen mit Behinderung im Dritten Reich sorgt noch heute für einen Aufschrei – aber andererseits wird es toleriert, wenn Kinder mit Down-Syndrom im Mutterleib getötet werden“, sagt Stefanie Stöferle. Und Christa Dangel erwidert Ärzten, die die Vorteile der Pränataldiagnostik preisen: „Was machen Sie, wenn sich nach der Geburt herausstellt, ein Kind ist behindert? Haben Sie im Kreißsaal einen Mülleimer, in dem sie es entsorgen?“