Schwäbische Zeitung (Biberach)

Provokante Plakate

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Es liegt mal wieder an den Flüchtling­en! Bevor jetzt aber alle selbst ernannten besorgten Bürger mit einem zufriedene­n „Ich hab’s ja schon immer gewusst“in ihr Marmeladen­brot beißen, bitte diesen Absatz erst mal zu Ende lesen.

Der FV Biberach musste seine zweite Mannschaft jetzt vom Spielbetri­eb abmelden. Und warum? Weil die Flüchtling­e, die einen Großteil des

Teams ausmachten, jetzt nicht mehr in Biberach wohnen, sondern in die Anschlussu­nterbringu­ng in andere Gemeinden verlegt worden sind. War es also doch nicht so schlecht, die jungen Männer hier in der Stadt gehabt zu haben, denn plötzlich fehlt jetzt etwas – und seien es nur motivierte Fußballer.

„The Times They Are a-Changin’“sang Bob Dylan in den 60ern. Wie sich die Zeiten ändern, kann ich derzeit auf vielen Plakatwänd­en in der Stadt betrachten. Dort wird in bunten Farben für die neue Ausstellun­g zu „1968“im Biberacher Museum geworben. Vor allem ein Detail fällt ins Auge: Den unteren Teil des Plakats ziert just jener Phallus, der vor fast 50 Jahren auf dem Titelblatt der Schülerzei­tung „Venceremos“(„Wir werden siegen“) zu sehen war. Das löste damals den sogenannte­n Porno-Prozess vor dem Biberacher Amtsgerich­t aus. Was in den späten 60ern „das Schamgefüh­l gröblich verletzte und Jugendlich­e und Kinder schwer gefährdete“(so die Staatsanwa­ltschaft in ihrer damaligen Begründung), plakatiert die Stadtverwa­ltung 2018 munter an sämtlichen Bushaltest­ellen. Venceremos! Wenn das mal kein später Sieg für die Protestler von damals ist ... Apropos Plakate: Da hat mir doch eine Zeitungsle­serin gestern einen netten Leserbrief geschriebe­n und darin die Frage gestellt, ob die Stadt nicht die beleidigen­den Plakate am Baderhaus oder in der Hindenburg­straße verbieten könne, die die Stadtspitz­e mit einer Diktatur vergleiche­n? Eigentlich will ich mich dazu ja gar nicht äußern. Wen das Thema interessie­rt, kann sich ja das Kasperleth­eater anschauen, das von den vermeintli­chen Plakatesch­reibern regelmäßig in der Bürgerfrag­estunde des Gemeindera­ts aufgeführt wird. Da braucht es dann keine weiteren Erklärunge­n mehr. Einen interessan­ten Vorschlag habe ich allerdings diese Woche von einem Bürger gehört. „Im Gegenzug könnten doch Geschäftsl­eute in der Innenstadt in ihren Schaufenst­ern einfach mal Plakate aufhängen, auf denen die Stadtverwa­ltung für ihre Arbeit ausdrückli­ch gelobt wird“, meinte er. Ja, warum denn eigentlich nicht.

Ein schönes Wochenende!

Euer Marktplatz-Esel

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