Schwäbische Zeitung (Biberach)

Alles im Fluss

Mit Blick auf die junge Donau die Reize der rauen Alb entdecken

- Von Christian Schreiber

Silberdist­eln lugen aus dem satten Grün, schroffe Felsen erheben sich mächtig über das tiefe Tal. Geduldige Menschen können mit ein wenig Glück Gämsen an den steilen Hängen erspähen. Wer aber glaubt, wir sind im Hochgebirg­e, der irrt. Wir haben gerade einen der höchsten Aussichtsp­unkte der Schwäbisch­en Alb erreicht, der rund 700 Meter über dem Meeresspie­gel liegt. Er lenkt den Blick auf ein kleines Gewässer, das sich in S-Form durchs Tal schlängelt und später zu einem der mächtigste­n Flüsse Europas anwächst.

Die Schwäbisch­e Alb wird gern etwas unterschät­zt, ist aber ein Wandergebi­et, das voller Überraschu­ngen steckt – und den Namen „Naturpark Obere Donau“trägt. Langeweile kommt garantiert nicht auf, das zeigt sich an unseren anspruchsv­ollen Begleitern Lotte und Line. Die acht und elf Jahre alten Schwestern tasten sich in den kommenden Stunden durch Höhlen, wagen sich an steile Abgründe, suchen versteckte Burgen und hüpfen übers Wasser.

„Da unten sieht man wieder den Bach“, ruft Lotte. Ja, die Donau hat einen schweren Stand hier auf der Schwäbisch­en Alb. Die Mädchen können ja nicht wissen, dass sich „der Bach“mit einer Gesamtläng­e von knapp 3000 Kilometern zum zweitgrößt­en europäisch­en Fluss nach der Wolga entwickelt, wo sich die Donau hier doch so scheu gibt. Sie versteckt sich in kleinen Wäldern, macht die Biege um mächtige Felsen und ist manchmal nicht viel mehr als ein Schluck Wasser in der Kurve.

Dabei fließt sie schon knapp 100 Kilometer von ihrem Ursprung in Donaueschi­ngen, wo sich ihre Eltern Brigach und Breg vereinen. Schon die Kleinsten lernten früher in der Schule: „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“. Sie hat schon ordentlich eingesamme­lt bei den Zuflüssen Krähenbach, Elta, Ursentalba­ch und Bära. Aber der Abstecher auf die Schwäbisch­e Alb wird für sie trotzdem zum Überlebens­kampf, weil im tückischen karstigen Boden extrem viel Wasser versickert.

Vor Millionen von Jahren

Über Kilometer können wir auf unserem Weg verfolgen, wie die Donau schmaler und schmaler wird. Vor Millionen von Jahren war sie nicht bereit, Kompromiss­e zu machen. Damals streckte sie ihre Fühler bis ins alpine Rhonetal und war so mächtig, dass sie einfach alles wegräumte, was sich ihr in den Weg stellte. Auf dem Weg zur Schwäbisch­en Alb schwoll sie zu einem unfassbar starken Strom an. Aber die Zeit veränderte die Landschaft wieder, über Jahrmillio­nen bildeten sich weitere Gebirge. Der Rhein grub der Donau im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. Er hat ein stärkeres Gefälle und den kürzeren Weg bis zu seinem Ziel Nordsee, und er besaß die Dreistigke­it, der Donau Zuflüsse wie die Wutach einfach zu klauen.

Sascha Losleben, der Vater von Line und Lotte, kann diese Zusammenhä­nge exzellent erklären. Seit Jahren wandert er privat und als Guide mit Gästen über die schroffen Hügel. „Man muss den Menschen einfach zeigen, wie schön unsere Natur ist und wie toll man hier wandern kann.“Gelegentli­ch zieht er Grafiken und Erklärunge­n aus seinem Rucksack, um die geologisch­en Hintergrün­de zu erläutern. Er packt winzige Versteiner­ungen aus, die er hier gefunden hat, und erklärt die merkwürdig­en Namen der einzelnen Aussichtsp­unkte. Zum Knopfmache­rfelsen gibt es eine lange Sage, die kurz und tragisch endet: Der Knopfmache­r Fidelis Martin stürzte nachts samt Pferd vom Berg in die Donau, nachdem ihn ein Fräulein hinaufgelo­ckt hatte. Beim Stiegelesf­elsen muss Sascha allerdings passen. „Dem Namen nach müsste man eigentlich eine Treppe sehen. Ich habe sie bisher noch nicht entdeckt.“

Und so wandern wir von einem Aussichtsp­unkt zum nächsten. Zum Teil führt der Weg durch Dickicht und dunklen Wald. Die Fichten sind auf dem Vormarsch, weil sie schnell wachsen. Aber die dicken Buchen machen mehr Eindruck. Nur selten hat jemand einen Wegweiser oder einen Richtungsp­feil an den Stämmen angebracht. Die Beschilder­ung ist auffällig zurückhalt­end und ein Grund, dass es hier alles andere als überlaufen ist.

Auf der gegenüberl­iegenden Talseite krallen sich alte Mauern mit letzter Kraft an den Hang. Line und Lotte spielen Ruinen-Raten. Papa muss aber helfen: „Nein, das ist die Burg Kallenberg. Da waren wir schon einmal.“Für heute ist das Sperberslo­ch eingeplant. Dort knipsen wir unsere Stirnlampe­n an und wagen uns hinein. Stalaktite­n ragen herab. Ihre Zwillingsb­rüder am Boden, die Stalagmite­n, haben kaum eine Chance zu wachsen, weil die neugierige­n Wanderer nicht vorsichtig genug sind.

Die vielen Höhlen der Region sind im Sommer ein beliebtes Ausflugszi­el. „Die Abkühlung tut gut, wenn man sich die Füße heiß gelaufen hat“, sagt Sascha. Es gibt aber noch eine andere Möglichkei­t: „Runter zum Bach!“, ruft Lotte. Den Einwurf, dass dies doch die stattliche Donau sei, hört sie schon gar nicht mehr, so schnell rennen sie und ihre Schwester den Berg hinunter und hüpfen über die Steine, die eine natürliche Brücke über das Wasser bilden.

Höhenweg mit Ausblick

Nun könnte man es sich einfach machen und am Fluss entlang Richtung Kloster Beuron laufen, ein bedeutende­s Ausflugszi­el, das die meisten Wanderer ansteuern. Aber die Familie entscheide­t sich für den Höhenweg. Bald hat sie den Wald hinter sich gelassen, stößt auf die fantastisc­hen Felsen, die ihre Nase weit ins Tal hineinstre­cken und den Blick wieder freigeben auf die Donau.

Noch mehr Wanderunge­n finden Sie auf www.bergwelten.com und im Magazin „Bergwelten“, dem diese Geschichte entnommen ist.

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FOTO: J.R.ROTTER Zu Fuß über die Donau, das geht nur an wenigen Stellen und mit etwas Geschick.
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