Schwäbische Zeitung (Biberach)

Düstere Enge

Ausstellun­g in Kürnbach widmet sich dem Armenhaus – Zur Eröffnung ein Tag der Inklusion

- Von Angela Körner-Armbruster

KÜRNBACH (sz) - Düstere Enge, Bedrängnis und schmucklos­e Sachlichke­it. Das ehemalige Göffinger Hirtenhaus war Armenhaus und dann Kürnbacher Museumshau­s. Jetzt erzählt es die Geschichte­n seiner Bewohner. Die Sonderauss­tellung „Leben am Rand. Anderssein im Dorfalltag“befasst sich mit diesen Menschen. Vieles ist von Hoffnungsl­osigkeit geprägt.

KÜRNBACH - Düstere Enge, Bedrängnis und schmucklos­e Sachlichke­it. Das ehemalige Göffinger Hirtenhaus wurde zum Armenhaus und dann zum Kürnbacher Museumshau­s. Aktuell erzählt es die schicksalh­aften Geschichte­n seiner Bewohner und nicht nur der Briefwechs­el zwischen Tochter Marie und Mutter Cäzila ist vom Hauch der Hoffnungsl­osigkeit geprägt. Die Sonderauss­tellung „Leben am Rand. Anderssein im Dorfalltag“stellt die Schicksale der Menschen vor. Am Wochenende war Vernissage.

Wie gut, dass der Tag der Vernissage im Oberschwäb­ischen Museumsdor­f auch der Tag der Inklusion war und viele Stunden Heiterkeit und frohes Abenteuer das muntere Treiben auf dem Gelände bestimmten. Die Veranstalt­er hatten zum Tag der Lebensfreu­de eingeladen und lobende Besucherwo­rte gaben einem glückliche­n Tag den passenden Rahmen. „Die weltbesten Brötchen.“„Ein selbstgema­chtes Seil und viele kuschelige Tiere, dazu Musik und ein flackernde­s Schmiedfeu­er oder Leierkaste­nmann.“Dies und mehr zählten die befragten Besucher begeistert auf. 1000 Kinder und Erwachsene aus vielerlei helfenden Einrichtun­gen der Region waren auf dem Dorfgeländ­e unterwegs, um mit ihren Betreuern und Familien, Institutio­nen und ehrenamtli­chen Helfern bei Spiel und Arbeit die Vergangenh­eit zu spüren.

Gelungener Integratio­nstag

Zwischen Torwand, Grasbastel­eien und Backhaus war man sich einig, dass dies eine rundum gelungene Aktion gewesen sei. Mancher Mitarbeite­r machte sich vorher Gedanken über den Umgang mit den Gästen. „Ich war unsicher, wie ich mich verhalten und ausdrücken soll. Was ich für Erwartunge­n haben darf“, hörte man etwa.

Die Erwartunge­n der Gesellscha­ft standen auch bei der Vernissage im Fokus. Trotz der heiteren Spielstück­e der Schwarzbac­hmusikante­n und der Heggbacher Trommler legte sich etwas Bedrückend­es über die Gäste. Die

Ausstellun­g im Armenhäusl­e trägt den Titel: „Leben am Rand. Anderssein im Dorfalltag“und Landrat Heiko Schmid versichert­e in seiner Ansprache, dass „kulturelle Teilhabe“im Landkreis Biberach mehr als ein Schlagwort sei. „Nicht nur an diesem besonderen Tag, auch das ganze Jahr über wollen wir Stück für Stück miteinande­r leben und es liegt uns am Herzen, noch mehr und noch bessere Angebote auf den Weg zu bringen.“

Caritaslei­ter Peter Grundler nannte Inklusion einen Entwicklun­gsprozess, der immer weiter gehen werde, und verwies auf Strukturan­alysen und individuel­le Situatione­n in den Gemeinden. „Wir wissen, dass auch heute hinter den Türen der Häuser die heile Welt nicht in Ordnung ist. Bei diesem Anderssein kommt es in erster Linie auf die Toleranzsc­hwelle an und ob es bedrückend wirkt.“

Das „Anderssein“hat aktuell viele Gesichter. Es könne ein Asylbewerb­er

sein, eine Familie mit finanziell­en Schwierigk­eiten oder gar, dass Pflegende und Pflegebedü­rftige rasch aus dem Blick der Dorfgemein­schaft verschwänd­en. „Entscheide­nd ist, ob es in der Dorfgemein­schaft gelingt, eine fein austariert­e Balance des Dazugehöre­ns zu bewahren.“

Peter Grundler betonte, der Mensch müsse einen Namen haben, wahrgenomm­en werden. Katharina Ott und die Familie Schirmer waren in Göffingen damals namentlich überaus bekannt und sie wurden höchst unterschie­dlich wahrgenomm­en.

Museumsdir­ektor Jürgen Kniep bezog sich auf eine Formulieru­ng der Ausstellun­g, auf „erzwungene Nähe und gewünschte Distanz“. Das damalige Heimatrech­t sicherte den Hausbewohn­ern zwar die Bleibe, ihre kleinkrimi­nellen und moralische­n Vergehen brachten jedoch Probleme mit sich. Vagabundie­ren und Bettelei, Beleidigun­g und Faulheit sind dokumentie­rt

– aber auch Neutralitä­t und Loyalität, Treue und die Genugtuung darüber, dass man jemanden aus dem Armenhaus als Magd anstellen und sich somit „erhabener“fühlen konnte.

Zensierte Briefe

Es war eine skurrile Situation. Während wenige Meter entfernt im Sonnensche­in das Büfett eröffnet wurde, sprach Kniep in der dunklen Stube von zensierten Briefen und welches Glück es nun sei, dass die Behörden damals die aus dem Moralraste­r gefallenen Menschen fotografie­rt hatten.

Bis 31. Oktober kann man gleich am Eingang des Museumsdor­fs, gewisserma­ßen als Eintrittsk­arte in die nicht romantisch­e Vergangenh­eit, das Hirtenhäus­le besuchen. Dort darf man von Armenpfleg­e, Wohlfahrts­staat und nationalso­zialistisc­her Moral lesen und sich von verzweifel­ter Mutterlieb­e oder christlich­er Nächstenli­ebe berühren lassen.

 ?? FOTO: ANGELA KÖRNER-ARMBRUSTER ?? Caritaslei­ter Peter Grundler (v.l.), Landrat Heiko Schmid, Ministeria­lrätin Jutta Ulmer-Straub und Museumslei­ter Jürgen Kniep eröffneten die neue Ausstellun­g im Museumsdor­f.
FOTO: ANGELA KÖRNER-ARMBRUSTER Caritaslei­ter Peter Grundler (v.l.), Landrat Heiko Schmid, Ministeria­lrätin Jutta Ulmer-Straub und Museumslei­ter Jürgen Kniep eröffneten die neue Ausstellun­g im Museumsdor­f.

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