Schwäbische Zeitung (Biberach)
Düstere Enge
Ausstellung in Kürnbach widmet sich dem Armenhaus – Zur Eröffnung ein Tag der Inklusion
KÜRNBACH (sz) - Düstere Enge, Bedrängnis und schmucklose Sachlichkeit. Das ehemalige Göffinger Hirtenhaus war Armenhaus und dann Kürnbacher Museumshaus. Jetzt erzählt es die Geschichten seiner Bewohner. Die Sonderausstellung „Leben am Rand. Anderssein im Dorfalltag“befasst sich mit diesen Menschen. Vieles ist von Hoffnungslosigkeit geprägt.
KÜRNBACH - Düstere Enge, Bedrängnis und schmucklose Sachlichkeit. Das ehemalige Göffinger Hirtenhaus wurde zum Armenhaus und dann zum Kürnbacher Museumshaus. Aktuell erzählt es die schicksalhaften Geschichten seiner Bewohner und nicht nur der Briefwechsel zwischen Tochter Marie und Mutter Cäzila ist vom Hauch der Hoffnungslosigkeit geprägt. Die Sonderausstellung „Leben am Rand. Anderssein im Dorfalltag“stellt die Schicksale der Menschen vor. Am Wochenende war Vernissage.
Wie gut, dass der Tag der Vernissage im Oberschwäbischen Museumsdorf auch der Tag der Inklusion war und viele Stunden Heiterkeit und frohes Abenteuer das muntere Treiben auf dem Gelände bestimmten. Die Veranstalter hatten zum Tag der Lebensfreude eingeladen und lobende Besucherworte gaben einem glücklichen Tag den passenden Rahmen. „Die weltbesten Brötchen.“„Ein selbstgemachtes Seil und viele kuschelige Tiere, dazu Musik und ein flackerndes Schmiedfeuer oder Leierkastenmann.“Dies und mehr zählten die befragten Besucher begeistert auf. 1000 Kinder und Erwachsene aus vielerlei helfenden Einrichtungen der Region waren auf dem Dorfgelände unterwegs, um mit ihren Betreuern und Familien, Institutionen und ehrenamtlichen Helfern bei Spiel und Arbeit die Vergangenheit zu spüren.
Gelungener Integrationstag
Zwischen Torwand, Grasbasteleien und Backhaus war man sich einig, dass dies eine rundum gelungene Aktion gewesen sei. Mancher Mitarbeiter machte sich vorher Gedanken über den Umgang mit den Gästen. „Ich war unsicher, wie ich mich verhalten und ausdrücken soll. Was ich für Erwartungen haben darf“, hörte man etwa.
Die Erwartungen der Gesellschaft standen auch bei der Vernissage im Fokus. Trotz der heiteren Spielstücke der Schwarzbachmusikanten und der Heggbacher Trommler legte sich etwas Bedrückendes über die Gäste. Die
Ausstellung im Armenhäusle trägt den Titel: „Leben am Rand. Anderssein im Dorfalltag“und Landrat Heiko Schmid versicherte in seiner Ansprache, dass „kulturelle Teilhabe“im Landkreis Biberach mehr als ein Schlagwort sei. „Nicht nur an diesem besonderen Tag, auch das ganze Jahr über wollen wir Stück für Stück miteinander leben und es liegt uns am Herzen, noch mehr und noch bessere Angebote auf den Weg zu bringen.“
Caritasleiter Peter Grundler nannte Inklusion einen Entwicklungsprozess, der immer weiter gehen werde, und verwies auf Strukturanalysen und individuelle Situationen in den Gemeinden. „Wir wissen, dass auch heute hinter den Türen der Häuser die heile Welt nicht in Ordnung ist. Bei diesem Anderssein kommt es in erster Linie auf die Toleranzschwelle an und ob es bedrückend wirkt.“
Das „Anderssein“hat aktuell viele Gesichter. Es könne ein Asylbewerber
sein, eine Familie mit finanziellen Schwierigkeiten oder gar, dass Pflegende und Pflegebedürftige rasch aus dem Blick der Dorfgemeinschaft verschwänden. „Entscheidend ist, ob es in der Dorfgemeinschaft gelingt, eine fein austarierte Balance des Dazugehörens zu bewahren.“
Peter Grundler betonte, der Mensch müsse einen Namen haben, wahrgenommen werden. Katharina Ott und die Familie Schirmer waren in Göffingen damals namentlich überaus bekannt und sie wurden höchst unterschiedlich wahrgenommen.
Museumsdirektor Jürgen Kniep bezog sich auf eine Formulierung der Ausstellung, auf „erzwungene Nähe und gewünschte Distanz“. Das damalige Heimatrecht sicherte den Hausbewohnern zwar die Bleibe, ihre kleinkriminellen und moralischen Vergehen brachten jedoch Probleme mit sich. Vagabundieren und Bettelei, Beleidigung und Faulheit sind dokumentiert
– aber auch Neutralität und Loyalität, Treue und die Genugtuung darüber, dass man jemanden aus dem Armenhaus als Magd anstellen und sich somit „erhabener“fühlen konnte.
Zensierte Briefe
Es war eine skurrile Situation. Während wenige Meter entfernt im Sonnenschein das Büfett eröffnet wurde, sprach Kniep in der dunklen Stube von zensierten Briefen und welches Glück es nun sei, dass die Behörden damals die aus dem Moralraster gefallenen Menschen fotografiert hatten.
Bis 31. Oktober kann man gleich am Eingang des Museumsdorfs, gewissermaßen als Eintrittskarte in die nicht romantische Vergangenheit, das Hirtenhäusle besuchen. Dort darf man von Armenpflege, Wohlfahrtsstaat und nationalsozialistischer Moral lesen und sich von verzweifelter Mutterliebe oder christlicher Nächstenliebe berühren lassen.