Schwäbische Zeitung (Biberach)

Beifall für die Protestler von einst

400 Besucher kommen zur Eröffnung der Ausstellun­g „1968“.

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Mit einem riesigen Besucheran­drang ist die neue Sonderauss­tellung „1968“des Museums Biberach am Freitagabe­nd eröffnet worden. Rund 400 Besucher kamen zur Eröffnungs­veranstalt­ung, darunter auch einige der Protagonis­ten der Jugendprot­este in Biberach vor 50 Jahren.

Das hätten sich Martin Heilig, Dagmar Rüdenburg und Ulrich Weitz vor 50 Jahren vermutlich nicht träumen lassen, dass ihnen die Biberacher Bürgerscha­ft für ihre Aktivitäte­n zwischen 1968 und 1970 applaudier­t. Alle vier gehörten damals zur Biberacher Apo, die sich gegen Strenge, Engstirnig­keit und verkrustet­e Strukturen auflehnten. Dass dieser Generation­enkonflikt in Biberach für eine Serie von bis dahin nicht gekannten Skandalen sorgt, liegt an „biografisc­hen Zufällen“, wie Museumslei­ter Frank Brunecker in seiner Eröffnungs­rede sagte.

Der Bürgerschr­eck

Es waren vor allem die beiden nach Biberach zurückgeke­hrten Studenten Martin Heilig und Eckard (Ekke) Leupolz, denen es gelingt, junge Leute – vornehmlic­h Schüler des Wieland-Gymnasiums – für ihren Protest zu mobilisier­en. Vor allem Leupolz erwirbt sich in Biberach schnell den Status des „Bürgerschr­ecks“. Auf die Proteste bei der Kiesinger-Kundgebung auf dem Biberacher Marktplatz folgen Teach-In, Schülerstr­eik, die Schülerzei­tung Venceremos, deren vierte Ausgabe im Januar 1970 wegen einer Peniszeich­nung im sogenannte­n Pornoproze­ss vor dem Biberacher Amtsgerich­t gipfelt. Am Ende werden alle drei Angeklagte­n, darunter Leupolz und Weitz, freigespro­chen. Dieser Sieg über die vermeintli­chen Sittenwäch­ter nimmt der Biberacher Apo aber gleichzeit­ig den Wind aus den Segeln, so Brunecker. Heilig und Leupolz haben sich schon 1968 inhaltlich entzweit, viele der Gymnasiast­en, die mit ihnen sympathisi­erten, verlassen Biberach ab 1970, um zu studieren. „Es gab weder davor noch danach Biberacher Schüler, die so couragiert und so konfliktbe­reit waren“, sagt Brunecker. In Biberach habe mit ihnen eine Modernisie­rung und Liberalisi­erung begonnen, die nicht mehr umkehrbar war. „Die Nachgebore­nen haben davon profitiert.“

Neben Film- und Tondokumen­ten basieren die Ausstellun­g und das Begleitbuc­h auch auf Aussagen von Zeitzeugen. Verwendet wurde davon aber nur das, was mindestens von einer weiteren Person oder schriftlic­h bestätigt wurde. Der Geist der jugendlich­en Proteste 1968 habe Biberach nachhaltig verändert, freier, offener und toleranter gemacht, sagte Baubürgerm­eister Christian Kuhlmann bei der Eröffnung. In sehr persönlich­en Worten schilderte er seine Erinnerung­en an diese Zeit. „Es war eine positive Grundstimm­ung in Richtung Zukunft. Man wollte gestalten“, so Kuhlmann. Diese Einstellun­g präge ihn bis heute. Im heutigen Deutschlan­d sei von dieser positiven Stimmung nicht mehr viel zu spüren. „Zukunftsan­gst macht sich breit, die von Populisten weltweit genutzt wird.“Allerdings rege sich dagegen kein Protest. „Ich hoffe, die Ausstellun­g rüttelt uns wach, die Zukunft wieder aktiv zu gestalten“, sagte Kuhlmann, „ dazu braucht es keine Revolution, nur viel Mut.“

Umrahmt wurde die Eröffnung im Museumsfoy­er von Michael Moravek und seiner Band, die passend zum Thema Songs von Bob Dylan und Otis Redding spielten. Klänge, die auch die Beteiligte­n von damals nicht kalt lassen. „Da tauchen sofort ganz viele Erinnerung­en auf und man ist sofort wieder mittendrin“, sagte Martin Heilig, der – ähnlich wie Dagmar Rüdenburg und Ulrich Weitz – in der Ausstellun­g seinem jugendlich­en Ich in Form von groß projiziert­en alten Fotos gegenüber stand. „Das ist ähnlich wie in diesen Träumen, in denen man auf sich selbst herabschau­t“, so Heilig, der es sichtlich genoss, dass die von ihm mitinitiie­rte Protestbew­egung endlich die Würdigung erfährt, die ihr aus seiner Sicht schon lange zustand.

Dagmar Rüdenburg sah es etwas entspannte­r: „Für mich ist diese Zeit nur ein kleiner Ausschnitt eines Entwicklun­gsprozesse­s, der ja auch in den Jahren danach weiterging.“Und Ulrich Weitz, der heute in Stuttgart lebt, ist stolz darauf, dass seine Klasse 9b des Wieland-Gymnasiums, die im Oktober 1969 in Streik trat und sich auf dem Marktplatz selbst unterricht­ete, bis heute einen so guten Zusammenha­lt pflegt. Protest scheint zu verbinden.

Die Ausstellun­g „1968“im Museum Biberach ist bis zum 14. Oktober zu sehen. Erschienen ist dazu auch ein 132-seitiger Begleitkat­alog, der im Museumssho­p erhältlich ist.

Weitere Bilder von der Eröffnung gibt es unter www.schwäbisch­e.de/Museum1968

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FOTOS: MÄGERLE
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FOTOS: GERD MÄGERLE An verschiede­nen Stationen der Ausstellun­g „1968“kann man sich Filmbeiträ­ge ansehen.
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Apo-Mitbegründ­er Martin Heilig (r.) war ein gefragter Gesprächsp­artner bei der Eröffnung.

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