Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mutter sagt nach Familiendr­ama aus

„Warum hast du das gemacht?“: Der Dreifachmö­rder von Villingend­orf, der auch seinen Sohn erschossen hat, steht in Rottweil vor Gericht

- Von Lena Müssigmann

ROTTWEIL (lsw) - Die Überlebend­e des Familiendr­amas in Villingend­orf im Kreis Rottweil mit drei Toten hat am Dienstag im Mordprozes­s gegen ihren Ex-Partner ausgesagt. Der Angeklagte soll im September 2017 nach der Trennung von ihr den gemeinsame­n Sohn (6) erschossen haben, ebenso ihren neuen Partner und dessen Cousine. Obwohl die 31-Jährige in den Monaten zuvor versucht hatte, sich vor dem 41-Jährigen zu verstecken, hatte er sie aufgespürt. „Er ist ein Teufel“, sagte sie vor dem Landgerich­t Rottweil über ihn.

ROTTWEIL (dpa) - Der Junge steht hinter dem Terrassenf­enster, als draußen die ersten Schüsse fallen. Seine Beine zittern – daran erinnert sich die Mutter bei ihrer Aussage im Mordprozes­s am Landgerich­t. Er hat schon einmal mitbekomme­n, wie sein Vater angedroht haben soll, ihn töten zu wollen. Seitdem schlief er nicht mehr alleine, mochte nicht mehr essen, berichtet sie. Für einen Moment sehen sich Mutter und Sohn durch das Fenster an – das letzte Mal. Dann dreht sich das Kind um, wie sie sich erinnert, vermutlich weil sein Vater bereits mit der Waffe in die Wohnung kommt.

Der 41 Jahre alte Angeklagte ist im September 2017 nach der Trennung von der Mutter des Kindes plötzlich mit einer Waffe an ihrer neuen Wohnung aufgetauch­t. Es war der Tag der Einschulun­g seines Sohnes. Der Täter erschoss den Jungen, ebenso den neuen Partner der Frau und dessen Cousine. Seine 31-jährige ehemalige Partnerin hatte versucht, ihren Wohnort geheim zu halten, aber er hatte sie in Villingend­orf (Kreis Rottweil) aufgespürt. Laut Anklage beging ihr ehemaliger Partner die Tat, um ihr schweres Leid zuzufügen.

Sie erinnert sich bei ihrer Zeugenauss­age an den Ablauf der Tat. Als sie den Blick von ihrem Jungen abwendet, liegt ihr bereits niedergesc­hossener Freund auf der Terrasse und dessen angeschoss­ene Cousine krümmt sich in einem Stuhl. Sie rennt davon, um Hilfe zu holen aber. „Ich habe gedacht, die kann man retten“, sagt sie als Zeugin vor Gericht.

Auf ihrer Flucht durch die Gärten hört sie weitere Schüsse. Sie denkt zunächst, dass ihr ehemaliger Freund ihre Katzen erschießt, sagt sie in einem Video zur Tatrekonst­ruktion, das vor Gericht vorgespiel­t wird. Er habe gewusst, dass sie die Tiere liebt. „Dass er auf meinen Sohn geschossen hat, dass das wahr ist, das glaube ich nicht!“

Die 31-Jährige hat sich bewusst dafür entschiede­n, dem Täter und ehemaligen Partner zu begegnen. Er ist wegen Mordes angeklagt. Noch bevor die Richter in den Saal kommen, fixiert sie ihn mit ihrem Blick. Er blickt zu Boden. Ihren Anwalt lässt sie Fotos des getöteten Kindes auf den Verteidige­rtisch legen. In der Zeugenbefr­agung erzählt sie sachlich und relativ gefasst. Nur manchmal kommen ihre Emotionen durch. Dann sagt: sie„Er ist ein Teufel“.

Schon in der Beziehung mit dem Mann hat sie unter ihm gelitten, wie aus ihren Schilderun­gen hervorgeht. Sie ist in Russland geboren, in Lettland aufgewachs­en und 2006 als AuPair-Mädchen schließlic­h nach Deutschlan­d gekommen. Wegen des geringen Gehalts hat sie einen Nebenjob in einem Swingerclu­b angenommen und bereits 2007 den deutlich älteren Inhaber geheiratet. Rund drei Jahre später lernte sie den Angeklagte­n kennen und verliebte sich in ihn – „leider“, wie sie heute sagt. Sie wird schnell schwanger, verlässt den Ehemann. Der warnt sie noch vor dem Neuen. Vergeblich.

Schon während der Schwangers­chaft lernt die Frau eine andere Seite des Freundes kennen: Er soll sie geschlagen, ihr gedroht haben. Trotzdem bleibt sie sechs Jahre lang bei ihm, versucht, dem Kind eine Familie zu bieten, wie sie sagt. Erst im November 2016 habe sie endgültig den Trennungse­ntschluss gefasst. Der Verlassene will sich offenbar rächen, den gemeinsame­n Sohn vor den Augen der Frau töten und ihr danach die Augen ausstechen. Das soll er ihr bei einer Begegnung auf einem Supermarkt­parkplatz angedroht haben. Eine Anzeige bei der Polizei bringt der Frau nicht den Schutz, den sie sich erhofft. Inzwischen hat sie auch Strafanzei­ge gegen die Polizei gestellt, weil sie der Überzeugun­g ist, dass die Tat hätte verhindert werden können.

Am Ende ihrer Zeugenauss­age fragt sie den Angeklagte­n: „Warum hast du das gemacht? Die wollten alle leben, haben so viele Wünsche und Träume gehabt.“Schweigen, wie zuvor schon. Mit dem Reden hat er’s offenbar nicht so. Der Prozess ist bis zum 26. Juni terminiert.

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FOTO: DPA Blumen, Kerzen und Kuscheltie­re vor dem Ort, an dem drei Menschen erschossen wurden.

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