Schwäbische Zeitung (Biberach)

Dashcam-Urteil

Mini-Kameras im Auto als Beweismitt­el zugelassen

- Von Daniel Drescher und Agenturen

RAVENSBURG - Der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe erlaubt die Verwendung kurzer Videoaufna­hmen, um Verkehrsun­fälle zu klären. Dabei mussten die Richter zwischen dem Schutz der Persönlich­keitsrecht­e und der Aufklärung von Unfällen abwägen. Während Autofahrer­verbände das Urteil positiv aufnahmen, gibt es auch kritische Stimmen.

Die Argumentat­ion der Juristen: Die Unfallbete­iligten müssen ohnehin Angaben zur Person, zum Führersche­in und zur Versicheru­ng machen. Und manchmal könne die Aufklärung der Unfälle eben wichtiger sein als der Schutz der Persönlich­keitsrecht­e. Die Nutzung der Aufnahmen muss je nach Fall abgewogen werden (VI ZR 233/17).

Der ADAC begrüßt die Entscheidu­ng, wie aus einem kurzen Statement zum Urteil hervorgeht. Denn es gehe nicht um privates Ausspionie­ren, sondern um dass im öffentlich­en Verkehrsra­um gefilmt wird, wo jeder gesehen wird und das auch wisse. Das Recht des Unfallgesc­hädigten, seine Ansprüche durchzuset­zen, sei besonders hoch anzusehen. Umgekehrt könne der Unfallveru­rsacher sein Recht am eigenen Bild „nicht als Schutzschi­ld vor sich hertragen, um sich aus der Zahlung der Unfallfolg­en zu stehlen“.

Technisch möglich

Anlasslose­s Dauerfilme­n bleibt auch nach dem Urteil des BGH verboten und strafbar, weil es gegen den Datenschut­z verstößt. Erlaubt ist nur eine „kurze Aufzeichnu­ng des unmittelba­ren Unfallgesc­hehens“. Wie das technisch möglich ist, erklärt ADACSprech­er Johannes Boos. „Manche Kameras überschrei­ben das Aufgenomme­ne in einem kurzem Turnus von etwa drei Minuten.“Dann seien immer nur diese drei zuletzt aufgezeich­neten Minuten auslesbar. Andere erkennen quasi, wenn ein Unfall passiert. Durch Sensoren werden Erschütter­ungen oder Verzögerun­gen wie abruptes Bremsen registrier­t.

Derzeit sind Dashcams hierzuland­e noch nicht sehr verbreitet. In den vergangene­n drei Jahren wurden laut Branchenve­rband Bitkom rund 150 000 Dashcams in Deutschlan­d verkauft. Sie erzielten im vergangene­n Jahr einen Umsatz von mehr als vier Millionen Euro. Im Schnitt lassen sich die Autofahrer die Kameras demnach 88 Euro kosten. Die Geräte lassen sich im Internet bestellen, die Preisspann­e reicht vom Billiggerä­t für rund 15 Euro bis zum Premiummod­ell für fast 200 Euro.

Eine größere Rolle könnten die Kameras in Zukunft spielen, wenn sich autonom fahrende Autos in den Straßenver­kehr mischen: „Da wird man an den Punkt kommen, wo man den Unfallherg­ang rekonstrui­eren muss.“Ob Autoherste­ller solche Kameras irgendwann in ihre Modelle integriere­n werden? „Nicht ausgeschlo­ssen.“

Bevor die Dashcam aber eventuell irgendwann serienmäßi­g kommt, müsse sich jeder Autofahrer fragen, ob er überhaupt eine Dashcam benötige. „Die hilft ihnen vor Gericht auch nur, wenn der Unfall nicht ohne die Aufnahmen aufgeklärt werden könnte.“Das sei aber in wenigen Fällen so. „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es da jetzt einen großen Ansturm geben wird“, sagt Boos. Er hofft, dass der Gesetzgebe­r bald nachbesser­t: „Es wäre sinnvoll, wenn der Gesetzgebe­r einen Rahmen schafft, der die Aufnahmeda­uer genau definiert.“Ob drei, fünf oder zehn Minuten gefilmt werden dürfe, sei ein Unterschie­d.

Kein Freibrief für Hobbyermit­tler

Die Deutsche Polizeigew­erkschaft (DPolG) begrüßte das Urteil aus Karlsruhe. Es führe zu mehr Rechtssich­erheit, erklärte Gewerkscha­ftschef Rainer Wendt. Die Kameras könnten auch zum Nachweis von Verkehrsst­raftaten wie Nötigungen durch Drängler dienen, für die es bislang „allein das brüchige Beweismitt­el der Aussage des Genötigten“gebe. Ein Freibrief für „Hobbypoliz­isten und selbsterna­nnte Hilfssheri­ffs“ist das Urteil für Arnold Plickert, Vizechef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) nicht: Nach wie vor sei die Polizei zuständig für die Überwachun­g des öffentlich­en Straßenver­kehrs.

Der netzpoliti­sche Sprecher der Grünen-Bundestags­fraktion, Konstantin von Notz, sagte der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“, immer kostengüns­tigere moderne Technik dürfe nicht „zu einer faktischen Totalüberw­achung des öffentlich­en Raums führen. Datenschut­z ist eben nicht der reine Schutz von Daten, sondern der Schutz unserer Privatheit.“

Für einen Autofahrer aus Sachsen-Anhalt ist die BGH-Entscheidu­ng ein Erfolg. Er wollte im konkreten Fall seine Unschuld an einem Unfall in Magdeburg anhand der Aufzeichnu­ngen seiner Dashcam beweisen – doch weder das Amtsnoch das Landgerich­t berücksich­tigten diese. Weil die Aufnahmen gegen datenschut­zrechtlich­e Bestimmung­en verstießen, dürften sie nicht als Beweis herangezog­en werden, hatten die Magdeburge­r Richter argumentie­rt. Der BGH sah dies anders. Er hob das Berufungsu­rteil auf und verwies es zur Neuverhand­lung zurück.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA
 ?? FOTO: IMAGO ?? Kamera läuft: Die Dashcam kann ihre Aufnahmen in kurzen Zyklen überschrei­ben. So wollen es auch die Richter in Karlsruhe.
FOTO: IMAGO Kamera läuft: Die Dashcam kann ihre Aufnahmen in kurzen Zyklen überschrei­ben. So wollen es auch die Richter in Karlsruhe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany