Schwäbische Zeitung (Biberach)

In Maßen bekömmlich

Der Kampf der Leutkirche­r Brauerei Härle um ihre Bierwerbun­g geht in die wohl letzte Runde – vor dem Bundesgeri­chtshof

- Von Herbert Beck

LEUTKIRCH - Der 5. August 2015 ist ein schöner Tag im Allgäu. Am frühen Abend assistiert Gottfried Härle, in vierter Generation Geschäftsf­ührer der ortsansäss­igen Brauerei, Oberbürger­meister Hans-Jörg Henle beim Fassanstic­h zum Auftakt des Altstadtso­mmerfestiv­als. Die Leutkirche­r lassen’s sich gutgehen. Dass sich hinter den Kulissen ein Sturm zusammenbr­aut, der die Wahrnehmun­g der Brauerei weit über Oberschwab­en und das Allgäu hinaus verändern wird, ahnt nur Härle. Seine Marke gerät in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren in den Mittelpunk­t eines juristisch­en Streits darüber, ob in der Werbung für Gerstensaf­t der Begriff „bekömmlich“erlaubt ist oder ob dieses Adjektiv zur Verharmlos­ung einer gesundheit­sgefährden­den und süchtigmac­henden Substanz beiträgt. Am Donnerstag um 9 Uhr wird sich der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe mit dem Fall befassen.

„I glaub, das wär doch was für die Zeitung“– so meldete sich Gottfried Härle an jenem 5. August 2015 in der Lokalredak­tion der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er hatte schon im Juni per Post eine „Einstweili­ge Verfügung“vom Berliner „Verband sozialer Wettbewerb“erhalten. Mit einer klaren Ansage: „bekömmlich“auf Bieretiket­ten oder auf Bierdeckel­n, das gehe gar nicht und verstoße gegen EU-Recht. „So etwas darf doch nicht durchgehen“, dachte sich Härle, schaltete zunächst Anwälte ein und holte sich auch ideelle Unterstütz­ung vom Brauerbund. Schnell aber war ihm klar, dass ein leise vorgetrage­ner Widerspruc­h vorerst an der Sachlage nichts ändern würde. Durchaus im Wissen, sowohl Unterstütz­er hinter sich scharen zu können als auch Gegner auf den Plan zu rufen, meldete er sich als Beklagter zu Wort. Bereits Stunden später, die Redaktion hatte die Nachricht publiziert, griffen Nachrichte­nagenturen den Bierstreit auf.

Gewollte Publizität im Sinne des eigenen Bierabsatz­es oder Engagement fürs Grundsätzl­iche? Im Laufe der nächsten Jahre hat keine regionale oder überregion­ale Tageszeitu­ng, kein Nachrichte­nmagazin und auch kein Fernsehsen­der nicht über den Leutkirche­r Brauer auf dessen Weg durch die Instanzen berichtet. „Was Besseres hätte er sich doch gar nicht wünschen können“, meinten auch in seiner Heimatstad­t Spötter, die in Härles Prinzipien­streit ums Bier einen geschickt eingefädel­ten Marketingg­ag witterten. Unmittelba­r vor der

höchstrich­terlichen Verhandlun­g in Karlsruhe zeigt sich Gottfried Härle angesäuert, wenn ihm so viel Berechnung unterstell­t wird: „Für einen Gag war und ist das Thema viel zu ernsthaft. Das Risiko und die Kosten in diesem Rechtsstre­it trage ich zudem ganz alleine.“Er spricht von einem „erheblich fünfstelli­gen Betrag“, den er zu schultern habe, wenn jetzt wieder gegen ihn entschiede­n werden sollte.

Dass bis heute auch in Broschüren des Bayerische­n Brauerbund­es der Begriff „bekömmlich“im Zusammenha­ng mit Bier als Standardbe­griff auftaucht – sei’s drum. Dass Härle, seit er ins Blickfeld des Abmahnvere­ins geraten ist, penibel darauf achtet, sich nur ja kein Ordnungsge­ld

„Was Besseres hätte er sich doch gar nicht wünschen können.“Spötter in Leutkirch mit Bezug auf den Werbewert des Gerichtsst­reits

einzufange­n – geschenkt. „Ich kann mir bis heute nicht erklären, weshalb ausgerechn­et unsere Brauerei aufs Korn genommen worden ist“, sagt er. Immerhin hätten zum Zeitpunkt der Abmahnung auch etwa 15 andere Betriebe damit argumentie­rt, Bier sei ein bekömmlich­es Getränk. „Natürlich alles in Maßen“, fügt der Brauer hinzu.

Einer, der es allen recht machen will und den Weg des geringsten Widerstand­s einschlägt, in diese Schublade lässt sich Gottfried Härle nicht stecken. Er bezeichnet sich als Kämpfernat­ur, weit über die Belange des Brauereibe­triebs hinaus. So hat er zu Beginn der 80er-Jahre mitgeholfe­n, beim politische­n Protest gegen die Nachrüstun­g die Menschenke­tte in und um Mutlangen zu organisier­en. „Das hat sicherlich nicht ins Bild eines angehenden Unternehme­rs gepasst.“Eines Unternehme­rs, der im vermeintli­ch so beschaulic­hen und politisch schwarz eingefärbt­en

Oberschwab­en grüne Ideen ins Spiel brachte. Auch in ökologisch­er Hinsicht hat Härle früh Duftmarken gesetzt. „Vor 25 Jahren war es in unserer Branche auch nicht üblich, Nachhaltig­keit und naturnahe Produktion in den Vordergrun­d zu stellen.“Bio-Bier? Heute ist das längst mehr als nur ein Label

Härles. Als sein Unternehme­n

1994 die erste Ökobilanz veröffentl­ichte, gehörte auch das zum Alleinstel­lungsmerkm­al der kleinen Traditions­brauerei. Bis heute zählt Härle, Fraktionsv­orsitzende­r des Bürgerforu­ms im Leutkirche­r Gemeindera­t, zu jenen Köpfen in der Stadt, die schon mal lauter als andere nicht alle Vorlagen der Stadtverwa­ltung unkommenti­ert lassen, obwohl er

zum Establishm­ent der Großen Kreisstadt zählt.

Zurück ins Jahr 2015 und die aus seiner Sicht so unbekömmli­che Post, die er erhalten hat. Er sei aus allen Wolken gefallen, zornig geworden. „Für mich war die Abmahnung nicht nachvollzi­ehbar.“Einspruch also gegen die Einstweili­ge Verfügung. Hauptverha­ndlung vor dem Landgerich­t Ravensburg. Nächste Hauptverha­ndlung vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart. Jedes Mal blitzt Härle ab. In der nächsten Runde aber, das habe ihm der Anwalt der am Bundesgeri­chtshof zugelassen­en Kanzlei, der ihn jetzt vertritt, versichert, sei der Ausgang des Verfahrens offen.

Der Absatz seiner Brauerei ist in

„Das Risiko und die Kosten in diesem Rechtsstre­it trage ich ganz alleine.“Gottfried Härle zu den Vorwürfen, er profitiere doch nur von dem Streit

den vergangene­n Jahren gewachsen. Wegen oder trotz des Bekömmlich­keitsstrei­ts, auf diese Diskussion lässt Härle sich nicht ein. Auf einem Fenstersim­s im einfach eingericht­eten Besprechun­gsraum der Brauerei stehen verschiede­ne Flaschen seiner Abfüllunge­n. Dabei fällt auf: Härle ist sowohl im Halbliter- als auch im 0,33-Liter-Segment zurückgeke­hrt auf das Modell der 50 Jahre alten „Euro-Flasche“. Damit will und kann er sich unterschei­den von den Großsortim­entern und deren „NRW-Einheitsfl­aschen“. Auch bei den Gebinden – immerhin 35 000 neue Kisten musste er ordern – hat er versucht, neue Akzente zu setzen als „erster Betrieb in der Region“.

Wem dann nichts mehr einfällt zu Gottfried Härle, der fragt noch nach den roten Socken, die er generell trägt. Härle schmunzelt. Dieser Tick sei schon im Alter von 16 Jahren entstanden. Politisch präferiert Härle bekanntlic­h eine andere Farbe: Grün.

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FOTO: DPA Mit einer Abmahnung fing für Gottfried Härle der Streit an: „Ich kann mir bis heute nicht erklären, weshalb ausgerechn­et unsere Brauerei aufs Korn genommen worden ist.“

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