Schwäbische Zeitung (Biberach)

Streitlust­iger Schriftste­ller

US-Autor Tom Wolfe ist mit 88 Jahren gestorben

- Von Christina Horsten

NEW YORK (dpa) - Ganz in Weiß, mit Maßanzug und Hut, so spazierte Tom Wolfe bis zuletzt noch hin und wieder durch sein New York, durch seine Upper East Side. Langsam, aber stolz und aufrecht. Spätestens seit seinem Weltbestse­ller „Fegefeuer der Eitelkeite­n“galt Wolfe als fester Teil des Literatur-Olymp. Am Montag starb der US-Schriftste­ller in einem Krankenhau­s in Manhattan, wie seine Agentin am Dienstag bestätigte.

Wolfe umgab immer etwas Mystisches, auch aus seinem Alter hatte er immer gerne ein Geheimnis gemacht. Während sein deutscher Verlag 1931 als Geburtsjah­r angab, sprachen andere Quellen von 1930, wie etwa die New Yorker Stadtbibli­othek, die 2015 für mehr als zwei Millionen Dollar das aus 190 Kisten bestehende Archiv des Schriftste­llers kaufte.

Wolfe hatte sich in den vergangene­n Jahren zunehmend aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen. Zwischendu­rch hatte er sich immer mal wieder zurückgeme­ldet, streitlust­ig wie eh und je. 2016 griff er in „Das Königreich der Sprache“beispielsw­eise Charles Darwins Evolutions­theorie an. 2012 legte er sich in „Back to Blood“mit den Eliten der Sonnenmetr­opole Miami an.

Ein eitler Selbstdars­teller

Wolfe hat schon immer polarisier­t. Millionenf­ach verkaufte und erfolgreic­h verfilmte Bücher sowie treue Fans auf der einen Seite, scharfe Kritik des literarisc­hen Establishm­ents auf der anderen. Als „Massenunte­rhaltung“bezeichnet­en Größen der amerikanis­chen Literatur wie Norman Mailer und John Updike seine Werke. John Irving lästerte über die „Geschwätzi­gkeit“seines Kollegen und erklärte sich unfähig, Wolfes ersten Roman zu Ende zu lesen.

Auch Literaturk­ritiker zeigten sich gespalten. An seinem Status als „erster Pop-Journalist“(„Guardian“) und zumindest Miterfinde­r des New Journalism, der Literarisc­hes und Nichtfikti­onales mischt, wurde nicht gerüttelt. Wolfe galt als Gesellscha­ftsund Zeitdiagno­stiker, der für jedes Jahrzehnt das passende literarisc­he Sittengemä­lde lieferte. Aber der Autor galt auch als eitler Selbstdars­teller, als „Amerikas größter Satzfür-Satz-Angeber“(„Guardian“), der genüsslich die Schwächen anderer Menschen beschrieb. Wolfe leugnete das nie. „Wenn die meisten Schriftste­ller ehrlich mit sich selbst wären, würden sie zugeben, dass sie nur das erreichen wollen: Vorher nahm sie niemand wahr, jetzt schon.“

Anfänge als Journalist

Geboren wurde Wolfe in Richmond im US-Bundesstaa­t Virginia in eine reiche Professore­n- und Plantagenb­esitzer-Familie. Seine Mutter führte ihn in die Künste ein, ließ den kleinen Tom in Ballett- und Stepptanz ausbilden, zeichnete und las viel mit ihm. Kaum neun, soll der Junge versucht haben, eine Biografie über Napoleon sowie einen illustrier­ten Band über Mozarts Leben zu schreiben. Er studierte an der Elite-Universitä­t Yale und bewarb sich dann als Journalist. „Ich habe mehr als 100 Bewerbunge­n an Zeitungen geschriebe­n“, erzählte er einst der „Paris Review“. „Drei Antworten habe ich bekommen. Zwei Absagen.“Die „Springfiel­d Union“in Massachuse­tts stellte ihn an.

Über einige andere Zeitungsjo­bs landete Wolfe schließlic­h in New York und bei der Belletrist­ik. „Acht Monate lang saß ich jeden Tag an meiner Schreibmas­chine und wollte das ,Fegefeuer der Eitelkeite­n’ anfangen und nichts passierte. Mir wurde klar, dass ich es nur schaffen kann, wenn ich mir eine Abgabefris­t setze.“Das Werk über die Geldgier von Wall-Street-Bankern und Kredithaie­n erschien Mitte der 1980er-Jahre zunächst als Fortsetzun­gsroman in der Zeitschrif­t „Rolling Stone“, wurde dann als Roman ein Welterfolg und mit Tom Hanks, Melanie Griffith und Bruce Willis verfilmt. Später folgten Bücher wie „Ein ganzer Kerl“und „Ich bin Charlotte Simmons“sowie Reportagen und Essays.

Die Selbstzwei­fel seien aber geblieben, so Wolfe. „Man geht jeden Abend ins Bett und denkt, dass man die brillantes­ten Seiten aller Zeiten geschriebe­n hat, und am nächsten Tag merkst du, dass es nur Gefasel ist.“Trotzdem sei ihm die Lust an seinem Job nie vergangen. „Der größte Spaß am Schreiben ist das Entdecken.“

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FOTO: IMAGO Wurde mit leichter Literatur berühmt: Tom Wolfe.

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