Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kochen verbindet – Integratio­n mit Rezept

Einheimisc­he und Migranten treffen im Kochcontai­ner aufeinande­r.

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BIBERACH - Sprachlich­e und kulturelle Grenzen am Kochtopf überwinden – ob das funktionie­rt, hat SZ-Volontärin Birga Woytowicz ausprobier­t. Hier berichtet sie von „Kitchen on the Run“, einem Container, der zurzeit in Biberach steht.

Kochen Wörter wie Integratio­n oder Flüchtling­shilfe in der öffentlich­en oder politische­n Debatte hoch, liegen sie oft schwer im Magen: Zum Beispiel, wenn es um Sprachbarr­ieren und Bürokratie geht. Dabei kann das Zusammenle­ben verschiede­ner Kulturen auf sozialer Ebene leichte, schnelle und sehr genussvoll­e Küche sein. Meinen Geschmack hat sie am Mittwochab­end im Kochcontai­ner des Berliner Integratio­nsprojekte­s „Kitchen on the Run“voll und ganz getroffen.

Ich habe natürlich gut reden: Ich habe keinen Migrations­hintergrun­d, bin im Frieden groß geworden und habe meine Familie in Reichweite. Meine Auslandser­fahrungen habe ich lediglich im Urlaub gemacht. 23 Menschen sind am Mittwochab­end zum Viehmarktp­latz gekommen, um einen gemeinsame­n Kochabend zu verbringen. Seit Anfang Mai finden die Kochabende in einem zur Küche umfunktion­ierten Kochcontai­ner statt. Acht der Teilnehmer haben eine besondere Geschichte: Sie sind aus ihrer Heimat nach Deutschlan­d geflüchtet.

Der Abend beginnt mit einer lockeren Vorstellun­gsrunde: Name, Herkunftsl­and, Lieblingsg­ericht. Niemand leiert die drei Punkte herunter, die Stichworte bieten direkt Gesprächss­toff. Vor allem, wenn es ums Essen geht. Noch bevor es an Schneidebr­etter und Herd geht, wird klar: Essen verbindet.

Ein junges Mädchen eröffnet die Runde: „Ich bin Petra, bin zwölf Jahre alt und komme aus Syrien. Eigentlich esse ich alles gern.“Sie grinst verschmitz­t. Und noch bevor ich ihre Geschichte kenne, bin ich schlichtwe­g beeindruck­t: Petra tritt so selbstsich­er und wortgewand­t auf, dass sie glatt als Einheimisc­he durchgeht. Im Gespräch später stellt sich heraus: Sie ist erst seit drei Jahren in Deutschlan­d. „Ich kann gar nicht so gut Deutsch. Gerade gehe ich in die fünfte Klasse, eigentlich müsste ich schon in der sechsten sein.“Petra ist unglaublic­h bescheiden. Und reif. Während Mädchen ihres Alters sonst vermutlich Flausen, Zickereien oder Jungs im Kopf haben, denkt sie an Politik, ihre berufliche Zukunft und ihre Familie. „Meinen Vater habe ich schon sechs Jahre nicht gesehen. Ich weine manchmal, aber ich muss stark sein.“Das sage sie sich immer wieder. Als sie frisch nach Deutschlan­d kam, wurde sie oft geärgert oder ausgelacht. Inzwischen habe sich das gelegt: „Ich habe immer gesagt: Ihr lacht, weil ich anders bin. Aber ich lache, weil ihr alle gleich seid.“

Nach der Vorstellun­gsrunde geht es ans Eingemacht­e. Wir verteilen uns auf die Kochinseln. Es werden fünf verschiede­ne Gerichte gekocht: Mutappaka (eine Art Gemüseeint­opf aus Syrien), Beryanie (eine Reispfanne mit Hähnchen- und Hackfleisc­h, Kartoffeln, Erbsen und Mandeln), ein Salat mit Granatäpfe­ln und frittierte­m Brot, Käsespätzl­e und zum Dessert einen Obstsalat und eine Erdbeercre­me.

Johannes, Jonas, Marita und Sabrina kommen von der Stadtverwa­ltung. „Ich habe mich bisher noch nie engagiert in der Flüchtling­shilfe. Hier auf dem Land ist es aber auch schwer, ein Angebot zu finden. Das hier finde ich super“, sagt Jonas. Seine Kollegen stimmen zu. Haben sie zu Beginn noch als Gruppe zusammenge­gluckt, löst sich diese nun wie selbstvers­tändlich auf. „Was kann ich tun? Kann ich euch noch helfen?“Meist beginnen die Gespräche mit dieser simplen Frage. Und so ist es auch bei mir und Khawla. Seit acht Jahren ist sie mit ihrer Familie in Deutschlan­d. Sie besucht regelmäßig das Café Welcome im Gemeindeha­us der Friedenski­rche in Biberach. Einfach sei der Start nicht gewesen, aber sie fühle sich wohl. Sie kocht liebend gerne, vor allem Gerichte aus ihrer Heimat Syrien. Doch am Ende des Abends wird Khawla sagen: „Die Spätzle fand ich besonders lecker. Das habe ich heute erst zum zweiten Mal gegessen.“

So wie Khawla die schwäbisch­e Spezialitä­t überzeugt, kommt Jana bei der Zubereitun­g des syrischen Essens nicht mehr aus dem Schwärmen. Sie macht gerade ihren Bundesfrei­willigendi­enst im Biberacher Integratio­nsbüro und greift den Organisato­ren bei den Kochabende­n als so genannte Lokalheldi­n unter die Arme: „In den Reis werden bei dem syrischen Gericht gebratene Mandeln untergemis­cht. Das ist so lecker. Am allerbeste­n hat mir das Gericht an meinem ersten Abend geschmeckt.“Auch die Gewürze seien immer wieder verschiede­n. Teils würden die Gäste diese selbst mitbringen. Jana bedauert das: „Das macht es umso schwerer, das auch nachzukoch­en.“

Es ist ein sehr harmonisch­er Abend. Alles geht Hand in Hand, niemand drückt sich vor der Arbeit oder dem Spüldienst. Es wird viel gelacht. Bleibt etwas unklar, helfen ein Landsmann oder Hände und Füße bei der Übersetzun­g. Als Gewitterwo­lken aufziehen, rücken alle noch ein wenig enger zusammen. An den Seiten wird der Container zum Schutz geschlosse­n. Das meiste der Arbeit ist schon erledigt. Tische und Bänke werden aufgebaut. Während der Käse im Ofen noch schmilzt oder Reispfanne und Salat vermengt werden, fiebern die meisten schon hungrig dem Essen entgegen. Da Ramadan ist, ist das Büfett jedoch erst bei Einbruch der Dunkelheit eröffnet.

Biberach ist ihr Zuhause

Lubna fastet. Sie hat ihre beiden Söhne mitgebrach­t. Die bekocht sie ganz normal: „Ich finde es toll, neue Leute und Gerichte kennen zu lernen. Das eine kenne ich schon, aber jeder kocht es anders.“Lubna kam vor knapp 2,5 Jahren nach Deutschlan­d, zusammen mit ihren beiden Söhnen und ihrem Mann. Am Anfang hätten die Leute Angst vor ihnen gehabt. Das sei inzwischen „Gott sei Dank“aber nicht mehr so. Biberach sei inzwischen ein richtiges Zuhause für die Familie: „Die Leute hier in der Stadt sind aber nicht so offen wie in Freiburg oder Heidelberg, da war ich vorher.“

Ein Eingeständ­nis, das ich mir nach dem Abend machen muss: diesen Treffpunkt nutzen vermutlich in erster Linie auch die Leute, die ohnehin offen sind oder die Notwendigk­eit des offenen Miteinande­rs erkennen.

Fakt ist jedoch: Alle Kochabende in Biberach sind ausgebucht. Wer trotzdem einen Abend im Kochcontai­ner erleben möchte, kann noch das offene Angebot an Freitagen und Wochenende­n nutzen. Am Freitag, 25. Mai, steht ein Filmabend an. Auch ein persischer Abend ist geplant. Freitags um 18 Uhr gibt es zudem sogenannte Meet ups. Denn auch wenn der Container am 17. Juni weiterreis­t, soll das nicht das Ende der Kochabende und des interkultu­rellen Austauschs bedeuten.

Es gibt also keine Ausrede, nicht vorbeizusc­hauen. Und da packe ich mich auch an der eigenen Nase. In der nächsten Woche steht für mich jedenfalls schon der nächste Kochabend im Container an. Ich bin jetzt schon hungrig.

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FOTO: BIRGA WOYTOWICZ
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FOTOS: BIRGA WOYTOWICZ Internatio­nale Küche, Köche und Gäste: Schwäbisch­e und syrische Küche schmeckt.
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Farbenfroh und gesund: Obstspieße für die Tafel.
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Auch Kinder dürfen mitkochen – und nachher kosten.

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