Schwäbische Zeitung (Biberach)
Das Hochfest der Eucharistie
Ralf Klumpp stellt Hostien in dritter Generation her – In ganz Deutschland gibt es nur noch vier solcher Bäckereien
Am Donnerstag begehen die Katholiken Fronleichnam – vielerorts im Süden mit Prozessionen durch die Straßen und herrlichen Blumenteppichen in den Kirchen. Gefeiert wird zehn Tage nach Pfingsten das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“, das Hochfest zu Ehren der Eucharistie. Grund genug für die „Schwäbische Zeitung“eine der wenigen Hostienbäckereien in Deutschland, jene in Ochsenhausen (Foto: Christian Flemming), zu besuchen.
Teufelsanbeter sind offenbar nicht die klügsten Anrufer – jedenfalls hat Ralf Klumpp über die Jahre hinweg ein feines Gespür dafür entwickelt, ob jemand seine Hostien ihrem Bestimmungszweck gemäß verwenden will, oder ob er die runden, hauchdünnen Scheiben zum Zwecke des Missbrauchs haben muss. Denn: Nicht nur in den Riten christlicher Kirchen spielt die Hostie, die im katholischen Glauben durch die Wandlung im Gottesdienst zum Leib Christi wird, eine wichtige Rolle – auch die Jünger dunkler Mächte sind auf Hostien angewiesen. „Aber da sind sie bei mir an der falschen Adresse“, sagt Klumpp. Stammeln, Stottern, nicht nachvollziehbar aufgetischte Geschichten – das sind nur einige der Indizien, an denen der Hostienbäcker aus Ochsenhausen seine Pappenheimer erkennt. „Dabei gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe, warum jemand als Privatperson Hostien kaufen möchte.“Die aber will Klumpp nicht in der Zeitung stehen haben, sonst geraten die Hostien womöglich doch noch in die Hände von Satanisten.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Oft kommt es ohnehin nicht vor, dass jemand Kirchenfremdes in der Hostienbäckerei anruft und Ware haben will. „Hauptkunde ist die katholische Kirche“, sagt der Chef, der jetzt in seinem kleinen Lager steht. Hinter ihm im Regal liegen in Papierbeuteln verpackt die Hostien: Weiße Laienhostien mit Bild, Laienhostien ohne Bild, Priesterhostien, Brothostien, Konzelebrationshostien – und ja, auch glutenreduzierte und sogar gänzlich glutenfreie Hostien lagern dort. Schließlich machen im Zweifel selbst vor dem gläubigsten Christenmenschen Lebensmittelunverträglichkeiten nicht halt. Dann klingelt das Telefon, der Chef geht ran – wie noch so oft an diesem Vormittag. Als seien Hostien geradezu heiße Ware, im Jahr 2018, da Pfarrer oft nur noch vor fast leeren Kirchen predigen.
Im Grunde unterscheiden sich Hostien lediglich in Größe und Far- be: Während Laienhostien sehr dünn, fast schneeweiß und den Backoblaten ähnlich sind, haben Brothostien eine Färbung in beige und sind deutlich dicker. Konzelebrationshostien sind grundsätzlich Brothostien – allerdings mit einen Durchmesser von bis zu 22 Zentimetern, was in etwa einem Kuchenteller entspricht. Sie kommen bei Großgottesdiensten zum Beispiel unter freiem Himmel zum Einsatz, damit Gläubige, die weit hinten stehen, die Hostie bei der Wandlung trotzdem gut sehen können. „Natürlich können wir Hostien auf Wunsch auch aus Maisstärke oder Kartoffelstärke machen. Dinkel geht auch, Roggen ist weniger geeignet“, sagt Ralf Klumpp.
Für die katholische Kirche sind solche Variationen nicht von Belang, denn selbstredend gibt es eine kirchliche Vorschrift, an die sich vereidigte Hostienbäcker – und ein solcher ist Ralf Klumpp natürlich – halten müssen. Insofern wird man in den Räumen der Bäckerei dicke Rezeptbücher vergeblich suchen, denn: „Weizenmehl und Wasser – sonst kommt nichts rein“, erklärt Klumpp, den die Türklingel plötzlich aus seinem Vortrag reißt. Er öffnet – und herein kommt der katholische Priester Andreas Meyer, der an der Uniklinik Ulm als Klinikseelsorger arbeitet. Er kauft einen Beutel mit 500 Hostien, Durchmesser 32 Millimeter, und noch ein paar Priesterhostien in 66 Millimeter mit einer Sollbruchstelle in der Mitte. „Es ist natürlich falsch zu glauben, wenn man im Krankenhaus als Pfarrer arbeitet, dass es dabei nur um die Sterbesakramente geht“, sagt der gut gelaunte Priester. Vielmehr bewege sich seine Arbeit in einem Dreieck aus Kranken, Angehörigen und Pflegekräften. Spricht’s, bezahlt bar und wendet sich wieder zum Gehen. Eine kleine Hostie kostet übrigens etwa einen Cent.
„Stammkundschaft“, sagt Ralf Klumpp und öffnet die Tür zu einem der Produktionsräume. Gemeinsam mit dem Chef besteht das Team aus sechs Leuten. Ein großer Bottich mit Teig steht in einer Ecke – die Konsistenz ist ähnlich wie bei einem Flädleteig. Allerdings fehlt ihm die Farbe, weil ja keine Eier drin sein dürfen. Erfahrung und etwas Fingerspitzengefühl seien nötig, um die ideale Mischung aus Mehl und Wasser zu erken- nen. Grob gerechnet kommen auf einen Teil Mehl eineinhalb Teile Wasser.
Vor einer großen Maschine sitzt eine Mitarbeiterin, die in routinierten Bewegungsabläufen fertig gebackene Rechtecke von heißen Platten abhebt und in einen Ständer zum Abkühlen stellt. Ihre Kollegin weiter hinten im Raum trägt indessen Teig von Hand mit einer Kelle auf eine Art großes Waffeleisen auf, in dem geprägte Platten liegen. So kommen beim Backvorgang, der nur maximal zwei Minuten dauert, Motive auf die Hostien: Jesus am Kreuz, Taube oder Fisch als Symbol Christi. Es riecht nur ganz zart nach den Röstaromen, die durch das Hostienbacken auf den heißen Eisen entstehen.
Der Hostienbäcker selbst wirkt ähnlich reduziert wie das Produkt, das er herstellt: Ralf Klumpp ist ein drahtiger Typ, an dem kein Gramm zu viel ist: kurzes, schwarz-graues Haar und eine Gesamterscheinung, der man ihre 53 Jahre nicht ansieht. Vielleicht sähe das ganz anders aus, wenn Klumpp Konditor geworden wäre? Diese Frage stellt sich der studierte Lebensmittelingenieur nicht. Bevor er vor 16 Jahren den Betrieb seines Vaters übernommen hat, war Klumpp in verschiedenen Unternehmen tätig, die mit Hostien nicht das Geringste zu tun hatten. „Man braucht schon einen persönlichen Bezug zu dieser Arbeit“, sagt Klumpp und erinnert sich an seine Kindheit, in der der Geruch gebackener Hostien allgegenwärtig war. Vor rund 60 Jahren hatte sich sein Vater auf dieses seltene Gebäck spezialisiert. Die Wurzeln der heutigen Hostienbäckerei aber hat schon der Großvater Franz Klumpp angelegt, der ursprünglich Nudeln herstellte, die er auch an Klöster verkaufte. Dadurch war der Schritt nicht mehr besonders groß, den Orden auch Hostien anzubieten. Außerdem stellte der Opa aus Maisstärke Kapseln her, in die Arzneien eingefüllt wurden. „Mit dem Aufkommen der Gelatine war das dann aber vorbei“, sagt Ralf Klumpp.
Und das Geschäft heute? „Stabil.“Eine besonders innovative Branche sei es nicht, gibt er zu – in seinem Betrieb stehen Maschinen, die bis zu 50 Jahre auf dem Buckel haben. Allerdings verlangt der Hauptabnehmer auch nicht, das Rad neu zu erfinden. Das meiste ist noch genau so, wie es vor 60 Jahren schon war. Und schon damals hat man Toni Gall, die Tante von Ralf Klumpp, fröhlich vor sich hin summend an der großen Bohrvorrichtung sitzen sehen können. Genau wie heute: Hochkonzentriert schiebt sie große Hostienplatten mit Christusmotiv in die Mitte einer Art Fadenkreuz, dann senkt sich
„Weizenmehl und Wasser – sonst kommt nichts rein.“Ralf Klumpp zum überschaubaren Rezept für die Hostienherstellung
der Bohrer, der dann die Hostie präzise ausschneidet. „Diese da gehen nach Finnland“, sagt Frau Gall, die schon so lange in der Hostienproduktion ist, dass sie sich auch mit Ende 70 ein Leben ohne diese Arbeit nicht vorstellen kann. „Früher haben wir dabei Kirchenlieder gesungen“, erinnert sie sich. Doch diese Zeiten seien seit der Pensionierung einer Kollegin vorbei.
Glauben – ist das eine Voraussetzung für die Arbeit in einer Hostienbäckerei? „Natürlich braucht man einen Bezug zur Kirche“, sagt Ralf Klumpp. Aber theoretisch kann dieses Handwerk auch ein Buddhist erlernen. Wie aber kann es sein, dass Klumpps Geschäft in Zeiten, in denen die Kirchen derart mit dem Schwund ihrer Mitglieder zu kämpfen haben, trotzdem stabil bleibt? „Das liegt daran, dass immer weniger Klöster Hostien herstellen.“Wenn Klöster im In- und Ausland ihre Backstuben aufgeben, kommt das den verbliebenen weltlichen Hostienbäckern zugute, von denen es in Deutschland noch ganze vier gibt. Wie lange Klumpp noch von dieser Entwicklung profitieren kann, bevor sie ihn selbst womöglich vor Probleme stellt, weiß er nicht. Von den drei erwachsenen Kindern, die er hat, hegt jedenfalls keines ernsthafte Ambitionen, den Betrieb zu übernehmen.
Schuhbeck und die Kräuter
Wären vielleicht neue, alternative Geschäftsfelder mit Hostien denkbar? Auf diese Frage antwortet Klumpp mit einer kleinen Geschichte: Eines Tages hat das Telefon geklingelt und der berühmte bayerische Koch Alfons Schuhbeck war am Apparat. Seine Idee: Kräuter seiner Gewürzkollektion in Hostien einzubacken, um sie seinen Kunden auf einer Messe zum Probieren anbieten zu können. „I kon jo ned jedem a Sackerl vor‘d Nos‘n hiestell‘n“, habe er gesagt. Ralf Klumpp hat dem Küchenmaestro dringend abgeraten. „Ich wusste ja, dass Kräuter beim Backen austrocknen und dann nicht mehr viel Geschmack haben.“Doch Schuhbeck habe sich davon nicht abbringen lassen und sei tags drauf in der Hostienbäckerei gestanden. „Koriander und andere Gewürze haben wir dann eingebacken.“Aber wie der Meisterkoch selber hätte wissen müssen, war das Ergebnis enttäuschend, weil weitgehend geschmacklos.
So blieb es bei dem einmaligen Experiment, auf das Ralf Klumpp zum Glück nicht angewiesen war. „Reich wird man nicht dabei, aber man kann davon leben“, sagt er und sieht zufrieden aus. Er schließt die Tür des Produktionsraums, hinter der die frohgemute Tante unbeirrt weiterbohrt. Dann schrillt wieder das Telefon. Ein Zeichen, dass die letzte Messe für das Hostienbacken noch lange nicht gelesen ist.