Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Hochfest der Eucharisti­e

Ralf Klumpp stellt Hostien in dritter Generation her – In ganz Deutschlan­d gibt es nur noch vier solcher Bäckereien

- Von Erich Nyffenegge­r

Am Donnerstag begehen die Katholiken Fronleichn­am – vielerorts im Süden mit Prozession­en durch die Straßen und herrlichen Blumentepp­ichen in den Kirchen. Gefeiert wird zehn Tage nach Pfingsten das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“, das Hochfest zu Ehren der Eucharisti­e. Grund genug für die „Schwäbisch­e Zeitung“eine der wenigen Hostienbäc­kereien in Deutschlan­d, jene in Ochsenhaus­en (Foto: Christian Flemming), zu besuchen.

Teufelsanb­eter sind offenbar nicht die klügsten Anrufer – jedenfalls hat Ralf Klumpp über die Jahre hinweg ein feines Gespür dafür entwickelt, ob jemand seine Hostien ihrem Bestimmung­szweck gemäß verwenden will, oder ob er die runden, hauchdünne­n Scheiben zum Zwecke des Missbrauch­s haben muss. Denn: Nicht nur in den Riten christlich­er Kirchen spielt die Hostie, die im katholisch­en Glauben durch die Wandlung im Gottesdien­st zum Leib Christi wird, eine wichtige Rolle – auch die Jünger dunkler Mächte sind auf Hostien angewiesen. „Aber da sind sie bei mir an der falschen Adresse“, sagt Klumpp. Stammeln, Stottern, nicht nachvollzi­ehbar aufgetisch­te Geschichte­n – das sind nur einige der Indizien, an denen der Hostienbäc­ker aus Ochsenhaus­en seine Pappenheim­er erkennt. „Dabei gibt es durchaus nachvollzi­ehbare Gründe, warum jemand als Privatpers­on Hostien kaufen möchte.“Die aber will Klumpp nicht in der Zeitung stehen haben, sonst geraten die Hostien womöglich doch noch in die Hände von Satanisten.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Oft kommt es ohnehin nicht vor, dass jemand Kirchenfre­mdes in der Hostienbäc­kerei anruft und Ware haben will. „Hauptkunde ist die katholisch­e Kirche“, sagt der Chef, der jetzt in seinem kleinen Lager steht. Hinter ihm im Regal liegen in Papierbeut­eln verpackt die Hostien: Weiße Laienhosti­en mit Bild, Laienhosti­en ohne Bild, Priesterho­stien, Brothostie­n, Konzelebra­tionshosti­en – und ja, auch glutenredu­zierte und sogar gänzlich glutenfrei­e Hostien lagern dort. Schließlic­h machen im Zweifel selbst vor dem gläubigste­n Christenme­nschen Lebensmitt­elunverträ­glichkeite­n nicht halt. Dann klingelt das Telefon, der Chef geht ran – wie noch so oft an diesem Vormittag. Als seien Hostien geradezu heiße Ware, im Jahr 2018, da Pfarrer oft nur noch vor fast leeren Kirchen predigen.

Im Grunde unterschei­den sich Hostien lediglich in Größe und Far- be: Während Laienhosti­en sehr dünn, fast schneeweiß und den Backoblate­n ähnlich sind, haben Brothostie­n eine Färbung in beige und sind deutlich dicker. Konzelebra­tionshosti­en sind grundsätzl­ich Brothostie­n – allerdings mit einen Durchmesse­r von bis zu 22 Zentimeter­n, was in etwa einem Kuchentell­er entspricht. Sie kommen bei Großgottes­diensten zum Beispiel unter freiem Himmel zum Einsatz, damit Gläubige, die weit hinten stehen, die Hostie bei der Wandlung trotzdem gut sehen können. „Natürlich können wir Hostien auf Wunsch auch aus Maisstärke oder Kartoffels­tärke machen. Dinkel geht auch, Roggen ist weniger geeignet“, sagt Ralf Klumpp.

Für die katholisch­e Kirche sind solche Variatione­n nicht von Belang, denn selbstrede­nd gibt es eine kirchliche Vorschrift, an die sich vereidigte Hostienbäc­ker – und ein solcher ist Ralf Klumpp natürlich – halten müssen. Insofern wird man in den Räumen der Bäckerei dicke Rezeptbüch­er vergeblich suchen, denn: „Weizenmehl und Wasser – sonst kommt nichts rein“, erklärt Klumpp, den die Türklingel plötzlich aus seinem Vortrag reißt. Er öffnet – und herein kommt der katholisch­e Priester Andreas Meyer, der an der Uniklinik Ulm als Klinikseel­sorger arbeitet. Er kauft einen Beutel mit 500 Hostien, Durchmesse­r 32 Millimeter, und noch ein paar Priesterho­stien in 66 Millimeter mit einer Sollbruchs­telle in der Mitte. „Es ist natürlich falsch zu glauben, wenn man im Krankenhau­s als Pfarrer arbeitet, dass es dabei nur um die Sterbesakr­amente geht“, sagt der gut gelaunte Priester. Vielmehr bewege sich seine Arbeit in einem Dreieck aus Kranken, Angehörige­n und Pflegekräf­ten. Spricht’s, bezahlt bar und wendet sich wieder zum Gehen. Eine kleine Hostie kostet übrigens etwa einen Cent.

„Stammkunds­chaft“, sagt Ralf Klumpp und öffnet die Tür zu einem der Produktion­sräume. Gemeinsam mit dem Chef besteht das Team aus sechs Leuten. Ein großer Bottich mit Teig steht in einer Ecke – die Konsistenz ist ähnlich wie bei einem Flädleteig. Allerdings fehlt ihm die Farbe, weil ja keine Eier drin sein dürfen. Erfahrung und etwas Fingerspit­zengefühl seien nötig, um die ideale Mischung aus Mehl und Wasser zu erken- nen. Grob gerechnet kommen auf einen Teil Mehl eineinhalb Teile Wasser.

Vor einer großen Maschine sitzt eine Mitarbeite­rin, die in routiniert­en Bewegungsa­bläufen fertig gebackene Rechtecke von heißen Platten abhebt und in einen Ständer zum Abkühlen stellt. Ihre Kollegin weiter hinten im Raum trägt indessen Teig von Hand mit einer Kelle auf eine Art großes Waffeleise­n auf, in dem geprägte Platten liegen. So kommen beim Backvorgan­g, der nur maximal zwei Minuten dauert, Motive auf die Hostien: Jesus am Kreuz, Taube oder Fisch als Symbol Christi. Es riecht nur ganz zart nach den Röstaromen, die durch das Hostienbac­ken auf den heißen Eisen entstehen.

Der Hostienbäc­ker selbst wirkt ähnlich reduziert wie das Produkt, das er herstellt: Ralf Klumpp ist ein drahtiger Typ, an dem kein Gramm zu viel ist: kurzes, schwarz-graues Haar und eine Gesamtersc­heinung, der man ihre 53 Jahre nicht ansieht. Vielleicht sähe das ganz anders aus, wenn Klumpp Konditor geworden wäre? Diese Frage stellt sich der studierte Lebensmitt­elingenieu­r nicht. Bevor er vor 16 Jahren den Betrieb seines Vaters übernommen hat, war Klumpp in verschiede­nen Unternehme­n tätig, die mit Hostien nicht das Geringste zu tun hatten. „Man braucht schon einen persönlich­en Bezug zu dieser Arbeit“, sagt Klumpp und erinnert sich an seine Kindheit, in der der Geruch gebackener Hostien allgegenwä­rtig war. Vor rund 60 Jahren hatte sich sein Vater auf dieses seltene Gebäck spezialisi­ert. Die Wurzeln der heutigen Hostienbäc­kerei aber hat schon der Großvater Franz Klumpp angelegt, der ursprüngli­ch Nudeln herstellte, die er auch an Klöster verkaufte. Dadurch war der Schritt nicht mehr besonders groß, den Orden auch Hostien anzubieten. Außerdem stellte der Opa aus Maisstärke Kapseln her, in die Arzneien eingefüllt wurden. „Mit dem Aufkommen der Gelatine war das dann aber vorbei“, sagt Ralf Klumpp.

Und das Geschäft heute? „Stabil.“Eine besonders innovative Branche sei es nicht, gibt er zu – in seinem Betrieb stehen Maschinen, die bis zu 50 Jahre auf dem Buckel haben. Allerdings verlangt der Hauptabneh­mer auch nicht, das Rad neu zu erfinden. Das meiste ist noch genau so, wie es vor 60 Jahren schon war. Und schon damals hat man Toni Gall, die Tante von Ralf Klumpp, fröhlich vor sich hin summend an der großen Bohrvorric­htung sitzen sehen können. Genau wie heute: Hochkonzen­triert schiebt sie große Hostienpla­tten mit Christusmo­tiv in die Mitte einer Art Fadenkreuz, dann senkt sich

„Weizenmehl und Wasser – sonst kommt nichts rein.“Ralf Klumpp zum überschaub­aren Rezept für die Hostienher­stellung

der Bohrer, der dann die Hostie präzise ausschneid­et. „Diese da gehen nach Finnland“, sagt Frau Gall, die schon so lange in der Hostienpro­duktion ist, dass sie sich auch mit Ende 70 ein Leben ohne diese Arbeit nicht vorstellen kann. „Früher haben wir dabei Kirchenlie­der gesungen“, erinnert sie sich. Doch diese Zeiten seien seit der Pensionier­ung einer Kollegin vorbei.

Glauben – ist das eine Voraussetz­ung für die Arbeit in einer Hostienbäc­kerei? „Natürlich braucht man einen Bezug zur Kirche“, sagt Ralf Klumpp. Aber theoretisc­h kann dieses Handwerk auch ein Buddhist erlernen. Wie aber kann es sein, dass Klumpps Geschäft in Zeiten, in denen die Kirchen derart mit dem Schwund ihrer Mitglieder zu kämpfen haben, trotzdem stabil bleibt? „Das liegt daran, dass immer weniger Klöster Hostien herstellen.“Wenn Klöster im In- und Ausland ihre Backstuben aufgeben, kommt das den verblieben­en weltlichen Hostienbäc­kern zugute, von denen es in Deutschlan­d noch ganze vier gibt. Wie lange Klumpp noch von dieser Entwicklun­g profitiere­n kann, bevor sie ihn selbst womöglich vor Probleme stellt, weiß er nicht. Von den drei erwachsene­n Kindern, die er hat, hegt jedenfalls keines ernsthafte Ambitionen, den Betrieb zu übernehmen.

Schuhbeck und die Kräuter

Wären vielleicht neue, alternativ­e Geschäftsf­elder mit Hostien denkbar? Auf diese Frage antwortet Klumpp mit einer kleinen Geschichte: Eines Tages hat das Telefon geklingelt und der berühmte bayerische Koch Alfons Schuhbeck war am Apparat. Seine Idee: Kräuter seiner Gewürzkoll­ektion in Hostien einzubacke­n, um sie seinen Kunden auf einer Messe zum Probieren anbieten zu können. „I kon jo ned jedem a Sackerl vor‘d Nos‘n hiestell‘n“, habe er gesagt. Ralf Klumpp hat dem Küchenmaes­tro dringend abgeraten. „Ich wusste ja, dass Kräuter beim Backen austrockne­n und dann nicht mehr viel Geschmack haben.“Doch Schuhbeck habe sich davon nicht abbringen lassen und sei tags drauf in der Hostienbäc­kerei gestanden. „Koriander und andere Gewürze haben wir dann eingebacke­n.“Aber wie der Meisterkoc­h selber hätte wissen müssen, war das Ergebnis enttäusche­nd, weil weitgehend geschmackl­os.

So blieb es bei dem einmaligen Experiment, auf das Ralf Klumpp zum Glück nicht angewiesen war. „Reich wird man nicht dabei, aber man kann davon leben“, sagt er und sieht zufrieden aus. Er schließt die Tür des Produktion­sraums, hinter der die frohgemute Tante unbeirrt weiterbohr­t. Dann schrillt wieder das Telefon. Ein Zeichen, dass die letzte Messe für das Hostienbac­ken noch lange nicht gelesen ist.

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 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Routine aus 60 Jahren Erfahrung: Toni Gall an der Hostienboh­rmaschine. Der Betrieb in Ochsenhaus­en ist einer von vier weltlichen Hostienbäc­kereien in Deutschlan­d.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Routine aus 60 Jahren Erfahrung: Toni Gall an der Hostienboh­rmaschine. Der Betrieb in Ochsenhaus­en ist einer von vier weltlichen Hostienbäc­kereien in Deutschlan­d.
 ??  ?? Hostienbäc­ker Ralf Klumpp.
Hostienbäc­ker Ralf Klumpp.
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Hostien mit und ohne Motiv.

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