Schwäbische Zeitung (Biberach)

Seehofers Offensive

- Von Sabine Lennartz

Das Vertrauen vieler Menschen ist erschütter­t. Denn es gibt kaum ein so brisantes Thema wie die Asylpoliti­k, kaum so einen schwerwieg­enden Vorwurf wie den des „Systemvers­agens“. Die Regierungs­koalition spaltet sich schon auf in jene, die sich nicht verantwort­lich fühlen und wie SPD-Vize Ralf Stegner versuchen, die Union und die Kanzlerin in die Schusslini­e zu rücken. Auch Horst Seehofer wird aber vermutlich das eigene Lager nicht schonen, wenn er sich an die Spitze der Aufklärer setzt. Schließlic­h hat er selbst einst der Kanzlerin auf dem Höhepunkt der Asylkrise Anfang 2016 „die Herrschaft des Unrechts“vorgeworfe­n.

Über alle Parteigren­zen hinweg gilt die Grundübere­inkunft, dass die rechtsstaa­tlichen Regeln nicht nur gelten, sondern auch beachtet werden müssen. Die AfD will, dass ein Untersuchu­ngsausschu­ss die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin insgesamt beurteilt. Die anderen Parteien wollen kein Tribunal, sondern lieber sicherstel­len, dass das Bamf ordentlich­e Asylverfah­ren durchführt. Horst Seehofer muss nun zeigen, dass er sein eigenes Ministeriu­m, zu dem das Bamf gehört, im Griff hat. Dass er von seinem Staatssekr­etär schnell informiert wird bei solch sensiblen Themen, gehört eigentlich auch dazu. Und er muss sicherstel­len, dass beim Bamf nicht aus zu hohem Druck heraus schnelle, aber nicht einwandfre­ie Entscheidu­ngen fallen.

Über aller berechtigt­en Kritik an den Bremer Vorfällen und an der Arbeitswei­se des Bamf insgesamt darf aber eines nicht übersehen werden: Was wäre, wenn die Antreiber und Berater 2016 nicht zu einer Beschleuni­gung der Verfahren gedrängt hätten? Dann wäre die Zahl der unerledigt­en Asylverfah­ren ungleich höher – und auch das hätte das Vertrauen in eine gute Asylpoliti­k sicherlich nicht gefördert.

Horst Seehofer hat keinen leichten Job, wenn er jetzt Fehler ausbügeln und trotzdem zügige Verfahren gewährleis­ten will. Das zeigen die ersten Warnungen aus seinem Ministeriu­m, dass Asylverfah­ren dann wohl kaum noch in drei Monaten entschiede­n werden können.

s.lennartz@schwaebisc­he.de

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