Schwäbische Zeitung (Biberach)

Merkel warnt vor rechten Tabubrüche­n

Gedenkfeie­r für die Opfer des Brandansch­lags in Solingen vor 25 Jahren – Hinterblie­bene ruft zur Versöhnung auf

- Von Christian Thiele und Yuriko Wahl-Immel

SOLINGEN (dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat 25 Jahre nach dem ausländerf­eindlichen Brandansch­lag von Solingen vor Tabubrüche­n von Rechtspopu­listen gewarnt. Sie könnten in neue Gewalt ausarten, sagte Merkel am Dienstag bei einer Gedenkfeie­r in der Staatskanz­lei in Düsseldorf. Rechtsextr­emismus gehöre keineswegs der Vergangenh­eit an.

„Zu oft werden die Grenzen der Meinungsfr­eiheit sehr kalkuliert ausgeteste­t und Tabubrüche leichtfert­ig als politische­s Instrument eingesetzt“, betonte die Kanzlerin, ohne die rechtspopu­listische AfD zu nennen. Dies sei ein Spiel mit dem Feuer: „Denn wer mit Worten Gewalt sät, nimmt zumindest billigend in Kauf, dass auch Gewalt geerntet wird.“

Menschen würden angefeinde­t und angegriffe­n, weil sie Asylbewerb­er oder Flüchtling­e seien oder weil sie dafür gehalten würden, sagte Merkel im Beisein des türkischen Außenminis­ters Mevlüt Cavusoglu. „Solche Gewalttate­n sind beschämend. Sie sind eine Schande für unser Land.“

Die 75-jährige Mevlüde Genc, die bei dem Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verloren hatte, rief eindringli­ch zur Versöhnung auf. „Lasst uns zum Guten nach vorne schauen“, sagte sie bei der Gedenkvera­nstaltung. „Dem Hass muss Einhalt geboten werden.“In der Nacht des 29. Mai 1993 hatten vier rechtsradi­kale Männer das Haus der türkischst­ämmigen Familie Genc in Solingen angezündet. Fünf Frauen und Mädchen starben. Der Brandansch­lag gilt als eines der schwersten ausländerf­eindlichen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepu­blik und ließ damals in vielen Ländern Europas Ängste vor einem Wiedererst­arken des Rechtsextr­emismus im gerade vereinigte­n Deutschlan­d aufkommen. Die Männer, die 1995 wegen Mordes verurteilt wurden, sind nach abgesessen­er Strafe wieder frei.

Menschlich­e Größe bewiesen

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) bezeichnet­e den Anschlag als „das schrecklic­hste Ereignis in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen“. Genc betonte, sie sei Teil beider Staaten, nicht nur eines Landes. Sie trage keine Rache, keinen Hass gegen andere Menschen in sich. „Ausgenomme­n die vier Personen, die mein Heim zu einem Grab machten.“Genc hatte sich immer wieder öffentlich für Versöhnung ausgesproc­hen. Dafür dankte die Kanzlerin ihr: „Auf eine unmenschli­che Tat haben Sie mit menschlich­er Größe reagiert. Dafür bewundern wir Sie und dafür danken wir Ihnen.“

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Mevlüde Genc, die bei dem Anschlag fünf Familienmi­tglieder verloren hat.

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