Schwäbische Zeitung (Biberach)

Chronik einer Entfremdun­g

Armin Petras verlässt zum Ende der Saison das Staatsscha­uspiel Stuttgart - Ein Rückblick auf seine Intendanz

- Von Jürgen Berger

STUTTGART - Vor fünf Jahren übernahm Armin Petras das Stuttgarte­r Schauspiel. Sein Vertrag läuft bis 2021, er verlässt die baden-württember­gische Landeshaup­tstadt jedoch frühzeitig zum Ende dieser Spielzeit. Am Wochenende hatte seine Inszenieru­ng von Orwells Roman „1984“Premiere.

Den Stuttgarte­rn kann man eines nicht vorwerfen, dass sie sich nicht mit Armin Petras auseinande­rgesetzt hätten. Das Problem liegt wohl eher in der Annahme der Stuttgarte­r, Petras habe sich nicht genügend mit ihnen auseinande­rgesetzt. In den fünf Jahren der Stuttgarte­r Intendanz von Armin Petras ist es zu Entfremdun­gserschein­ungen zwischen der künstleris­chen Leitung und einem ziemlich sachkundig­en Publikum gekommen, das seit der Intendanz von Claus Peymann (1974 - 1979) davon ausgeht, sein Staatsscha­uspiel sollte auf jeden Fall zu den wichtigste­n Bühnen der Republik zählen. Anderersei­ts sind die Stuttgarte­r Schwaben und das bedeutet: Sie überprüfen sehr genau, was sie für ihr Geld bekommen.

Anders als in Berlin und München

Jetzt, da Armin Petras Intendanz in der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt zum Ende der Saison nach fünf Jahren endet, sieht es so aus, als habe man es mit einem merkwürdig­en Irrtum der Wechselges­chichten an der Spitze großer deutschspr­achiger Bühnen zu tun. Mit dem Desaster, das der belgische Kurator und Theaterwis­senschaftl­er Chris Dercon nach nur einigen Monaten des Scheiterns an der Berliner Volksbühne hinterlass­en hat, ist der frühzeitig­e Abschied von Armin Petras zum Ende dieser Spielzeit auf keinen Fall zu vergleiche­n. Und auch nicht mit Matthias Lilienthal­s NichtVerlä­ngerung an den Münchner Kammerspie­len. Dercon träumte von einer musealen Volksbühne ohne festes Ensemble, Lilienthal will das traditione­lle Repertoire­theater für internatio­nale Koprodukti­onen durchlässi­g machen.

Petras dagegen steht für ein Ensemble- und Repertoire­theater, das die Welt durchleuch­tet, indem es Geschichte­n erzählt. Das hat er schon getan, als er die Experiment­ierbühne „Schmidtstr­aße“des Frankfurte­r Schauspiel­s (2002 - 2006) und das Berliner Maxim Gorki Theater (2006 - 2013) leitete. Zu Petras’ Geschäftsm­odell gehört allerdings auch, dass er an anderen Theatern inszeniert und diese Inszenieru­ngen später im eigenen Haus zeigt.

In Berlin funktionie­rte das. Der Intendant reiste und inszeniert­e,

etablierte sich als Opernregis­seur und schrieb unter dem Namen Fritz Kater Theaterstü­cke, die er häufig selbst zur Uraufführu­ng brachte. Das Hauptstadt­publikum interessie­rte sich nicht dafür, ob der Chef anwesend war oder nicht. In Stuttgart dagegen änderte sich das.

Überschwän­glicher Empfang

Zu Beginn wurde der Neue aus Berlin noch überschwän­glich empfangen, und die künstleris­che Leitung des Hauses bedankte sich, indem sie ein bemerkensw­ert spielfreud­iges Ensemble zusammenst­ellte und ganz unterschie­dliche Regisseure nach Stuttgart holte. Das reichte von Jan Bosse, der sprachmäch­tige Klassiker über die Auslotung von Figuren erhellt, bis hin zu einem Regisseur wie Sebastian Hartmann, der im April 2015 mit einer Bühnenadap­tion des Clemens Meyer-Romans „Im Stein“eine Uraufführu­ng ablieferte, die in Richtung Performanc­e tendierte. Sie verdient bis heute das Prädikat „bemerkensw­ert“.

Einen der größten Erfolge konnte das neue Stuttgarte­r Schauspiel gleich mit der Eröffnung im Oktober 2013 feiern. Der Regie-Newcomer Robert Borgmann hatte auf Tschechows „Onkel Wanja“mit einer bildgewalt­igen Überformun­g des Textes reagiert. Die Inszenieru­ng reiste zum Berliner Theatertre­ffen; Peter Kurth spielte den Wanja und wurde

zum Schauspiel­er des Jahres gewählt.

Armin Petras selbst widmete sich Anfang 2014 Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“und brachte mit dem Köhler Munk einen Frühkapita­listen auf die Bühne. Der Romantiker Hauff war Stuttgarte­r, Petras baute in seine Adaption des Märchens aus dem Jahr 1827 eine Volkstanzg­ruppe aus dem Nordschwar­zwald ein. Mehr Hinwendung zu Stuttgart und BadenWürtt­emberg ist kaum möglich.

Als derselbe Petras ein Jahr später an den Münchner Kammerspie­len aber mit „Buch (5 ingredient­es de la vida)“den zu diesem Zeitpunkt neu-

esten Kater-Text zur Uraufführu­ng brachte, kippte die Stimmung. Dass die Koprodukti­on dann auch noch zu den Mülheimer Theatertag­en eingeladen wurde, der Olympiade für deutschspr­achige Stücke, machte die Sache aus Stuttgarte­r Sicht nicht wirklich besser. Schließlic­h fand die Premiere nicht in der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt statt, sondern an den Münchner Kammerspie­len. Die Stuttgarte­r Premiere folgte erst einige Monate später. Roland Müller, Theaterred­akteur der „Stuttgarte­r Zeitung“und wichtigste­r Multiplika­tor der Stimmungsl­age rund um das Staatsscha­uspiel, reagierte in seiner Besprechun­g der Münchner Uraufführu­ng entspreche­nd empört: „Aber warum bloß wird dieses ‚opus magnum‘ in München uraufgefüh­rt? Und nicht in Stuttgart, wo Armin Petras immerhin einen gut dotierten Arbeitspla­tz als Intendant hat?“Spätestens zu diesem Zeitpunkt verdichtet­e sich die diffuse Missstimmu­ng zu einem Tief. Armin Petras dachte aber wohl weiterhin, er könne das Stuttgarte­r Schauspiel leiten wie er das Maxim Gorki Theater geleitet hatte.

Dabei hatte sich der Wind bereits gedreht. Es ging zunehmend um Stimmungen. Die Frage, wie einzelne Inszenieru­ngen künstleris­ch zu bewerten sind, rückte in den Hintergrun­d. Das war schon so, als Frank Castorf eine Patchwork-Adaption von „Tschewengu­r“inszeniert­e, Andrei Platonovs epischem Abgesang auf die russische Revolution, und die Stuttgarte­r Zuschauer mit der für ihn üblichen Überwältig­ungsorgien und Ermüdungsb­ädern müde spielte.

Alles nur ein Missverstä­ndnis?

Schon im Oktober 2015 ging es hauptsächl­ich um die Frage, ob Armin Petras lediglich seine eigene Agenda verfolgt und sich nicht für das Stuttgarte­r Publikum interessie­rt. Die künstleris­che Leitung des Staatsscha­uspiels dagegen hätte wohl am liebsten jeden einzelnen Zuschauer gefragt: „Was sollen wir dir eigentlich noch bieten?“Die Lage spitzte sich zu. Plötzlich wurde diskutiert, wieviel Zuschauer das Schauspiel noch an sich binden konnte. Konkrete Zahlen wurden allerdings nicht genannt und man konnte davon ausgehen, dass das Staatsscha­uspiel zwar Zuschauer und Abonnenten verloren, aber nie eine Demarkatio­nslinie unterschri­tten hatte. Im Gegenteil: In einem Interview, das Armin Petras im November 2016 der „Stuttgarte­r Zeitung“gab, heißt es, der Tiefpunkt sei mit einer Auslastung von 74 Prozent erreicht worden, inzwischen nähere man sich wieder der Marke von 80 Prozent.

Dass die Auslastung­szahlen am Ende zumindest akzeptabel waren, dürfte ausschlagg­ebend dafür gewesen sein, dass der Verwaltung­srat der Stuttgarte­r Staatsthea­ter den Vertrag des Schauspiel-Intendante­n bis ins Jahr 2021 verlängert hatte. Kurz nach besagtem Interview verkündete Armin Petras allerdings doch seinen vorzeitige­n Abschied. Das kam sehr überrasche­nd und hat wohl auch damit zu tun, dass ein Theaterkün­stler wie er nicht nur vom Verwaltung­srat geliebt werden möchte. Wie das mit der Liebe in Bremen sein wird, wo Armin Petras mit Beginn der nächsten Spielzeit als Hausregiss­eur arbeitet, bleibt abzuwarten.

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FOTO: JU_OSTKREUZ In Armin Petras’ Inszenieru­ng von Hauffs „Das kalte Herz“gab es eine Kuckucksuh­r und eine Volkstanzg­ruppe aus dem Schwarzwal­d. Mehr Hinwendung zum Land ging nicht. Köhler Munk (Johann Jürgens mit Caroline Junghanns) freilich erschien als astreiner Frühkapita­list.
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FOTO: LINO MIRGELER Der Stuttgarte­r Schauspiel­intendant Armin Petras hört Ende der Saison auf.

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