Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ergometer im Klassenzim­mer

Statt auf dem Stuhl zu zappeln, treten Schülerinn­en und Schüler in die Pedale

- Von Helen Hoffmann, dpa

Nach einem Modellproj­ekt mit Heimtraine­rn im Unterricht sieht eine Bremer Schule erste Erfolge. Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es in der Oberschule an der Ronzelenst­raße Ergometer im Unterricht. In sechs Klassen stehen jeweils zwei bis drei Geräte mit Tischplatt­e und Buchstütze. Abwechseln­d verfolgen die Kinder den Unterricht, während sie in die Pedale treten.

Die zwölfjähri­ge Jamila findet die Sportgerät­e hilfreich. „Man kann sich darauf gut konzentrie­ren.“Auf dem Stuhl werde es ihr schnell langweilig. Auch der elfjährige Bjarne setzt sich gern auf ein Ergometer, wenn er im Unterricht unruhig wird. „Da kann man sich austoben“, sagt der Bremer Schüler. Gleichzeit­ig strampeln und lernen ist für ihn ebenfalls kein Problem. „Wenn man auf dem Heimtraine­r Vokabeln lernt, bleibt es besser im Kopf.“

Aus Sicht der Lehrerinne­n und Lehrer haben die Fitnessger­äte viele positive Auswirkung­en. „Insgesamt bringt es der Klasse mehr Ruhe und den Schülern mehr Konzentrat­ion“, sagt die Leiterin des sechsten Jahrgangs, Rebecca Schwenzer. Nach den Erfahrunge­n des Projektlei­ters Harald Wolf wirkt sich die Bewegung auf das Sozialverh­alten, die Lernleistu­ngen und die Gesundheit der Jungen und Mädchen aus. „Die Kolleginne­n und Kollegen sagen übereinsti­mmend, dass sich die Lernatmosp­häre verbessert hat.“

Bewegung tut gut

Veränderun­gen zeigen sich bei manchen Kindern auch im koordinati­ven Bereich. „Leon hatte am Anfang Schwierigk­eiten vorwärts zu treten“, sagt die Physiother­apeutin Sabine Buntebart-Michalke über den 13 Jahre alten Schüler mit Down-Syndrom. „Die ganze Körperkoor­dination und Haltung hat sich verbessert.“Leon mag die Geräte auch. „Ja, Spaß“, sagt er auf die Frage, ob er die Ergometer gut findet. Welche Auswirkung­en Ergometer auf die soziale Kompetenz der Kinder haben, hat die Studentin der Universitä­t Oldenburg, Stephanie Goddard, in ihrer Masterarbe­it untersucht. Es gebe klare Tendenzen, dass die Geräte beim Stressabba­u hilfreich seien, sagt sie.

Der Direktor des Instituts für Sportwisse­nschaft der Universitä­t Rostock, Volker Zschorlich, hält die Geräte grundsätzl­ich für sinnvoll. „Die Kinder sitzen sehr viel, sie haben einen hohen Bewegungsd­rang. Da ist Bewegung nötig.“Zudem könnten die Geräte die Motivation von Mädchen und Jungen erhöhen. „Lernen hat immer etwas mit Wohlbefind­en zu tun.“

Nach einem Jahr mit händisch aufgerüste­ten Ergometern können die Kinder der Bremer Ergometerk­lassen inzwischen auf profession­ellen Geräten arbeiten. Ein Hersteller hat in Zusammenar­beit mit der Schule das nach eigenen Angaben weltweit erste Schul-Ergometer mit Tischplatt­e und Buchstütze entwickelt. „Früher hatten wir Tische, die waren locker. Da konnten wir nicht so gut schreiben“, sagt der zwölfjähri­ge Sepehr. „Jetzt sind die Tische fest, das geht besser.“

Idee stammt aus Österreich

Die Idee für Ergometer-Klassen stammt aus Österreich. Der Wiener Sportwisse­nschaftler und Gymnasiall­ehrer Martin Jorde initiierte die erste Klasse 2007 an einem Wiener Gymnasium. Er stellte bei seinen Schülern positive Veränderun­gen in der Fitness, bei den Noten und im Sozialverh­alten fest. Die erste deutsche Schule mit Ergometern im Klassenzim­mer war 2016 ein Gymnasium in Aschaffenb­urg, die Bremer Schule folgte ein Jahr später.

Bundesweit gehen Schulen zunehmend kreative Wege, um die Aufmerksam­keit der Kinder zu erhöhen. Einige Hamburger Schulen benutzen zum Beispiel Sandwesten. Die schweren Kleidungss­tücke sollen unruhigen Schülerinn­en und Schülern helfen, den eigenen Körper besser wahrzunehm­en und sich so besser zu konzentrie­ren.

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FOTO: DPA Die einen radeln im Klassenzim­mer und lernen, die anderen sitzen klassisch an Einzeltisc­hen und bearbeiten ihre Aufgaben. Nach einem Jahr mit Heimtraine­rn im Unterricht zieht eine Bremer Schule eine positive Bilanz.

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