Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wo Schwäne rosten
„Draußen unterwegs“: Mit Nabu-Mitarbeiterin Kerstin Wernicke im Banngebiet Staudacher
BAD BUCHAU (sz) - Löwenzahn und Gänseblümchen kennt jeder. Doch was sonst so am Wegesrand blüht, darüber geraten selbst Wanderfreunde ins Grübeln. Kerstin Wernicke vom Nabu-Naturschutzzentrum Federsee dagegen weiß Bescheid. Mit ihr geht es ins Banngebiet Staudacher zu rostenden Schwänen und dem Aspirin der Germanen.
BAD BUCHAU- Löwenzahn und Gänseblümchen kennt jeder. Doch was sonst so am Wegesrand blüht, darüber geraten selbst eingefleischte Wanderfreunde zuweilen ins Grübeln. Kerstin Wernicke vom NabuNaturschutzzentrum Federsee dagegen weiß genau, was draußen blüht und kreucht und fleucht. Mit ihr geht es ins Banngebiet Staudacher zu spuckenden Kuckucken, rostenden Schwänen und dem Aspirin der Germanen.
Wer faszinierende Natur erleben möchte, der muss in Bad Buchau gar nicht so weit gehen. Kerstin Wernicke hat gerade erst das Naturschutzzentrum hinter sich gelassen und den Parkplatz am Federseemuseum überquert, als sie schon bei der ersten Sehenswürdigkeit halt macht. „Die Feuchtwiesenblüte ist gerade im vollen Gange“, erklärt die Nabu-Mitarbeiterin. Und am Federsee ist dies ein besonderes Schauspiel. Weil die kleinen Parzellen rund um den See verschiedene Wasser- und Nährstoffverhältnisse aufweisen und seit jeher unterschiedlich bewirtschaftet werden, findet sich hier auch eine größere Vielfalt von Pflanzen, die sich zu einem bunten Flickenteppich zusammenfügen. Für die Farbtupfer sorgen etwa der leuchtend gelbe Scharfe Hahnenfuß oder der hellrosafarbene Schlangenknöterich. „Das ist die Pflanze, die aussieht wie ein Pfeifenputzer“, vergleicht Wernicke. Der Wurzelstock dagegen erinnere an eine kleine Schlange, was der Pflanze auch ihren Namen gegeben hat.
Auf dem Weg Richtung Banngebiet Staudacher wechseln Farben, Schattierungen, Stimmungen. Einige Hundert Meter vor dem Wald beginnt der zum Federseerundweg gehörende Holzsteg und von hier aus eröffnet sich vor dem Besucher derzeit ein leuchtend pinkes Blütenmeer. Nur zwei bis drei Wochen lasse sich dieser Anblick genießen, sagt Wernicke, während der Blüte der Kuckuckslichtnelke. Mit dem Kuckuck habe das filigrane Nelkengewächs, das den feuchten, nährstoffarmen Moorboden liebt, übrigens gar nichts am Hut. Allerdings ist auf ihr jetzt im Mai zuweilen ein weißer, schaumiger Schleim zu finden, den die Leute früher mit dem Kuckuck in Verbindung brachten, der auf der Suche nach Wirtsnestern tief über die Wiesen fliegt. „Also dachte man, der Kuckuck hätte auf die Pflanze gespuckt“, so die Nabu-Mitarbeiterin. Tatsächlich verbergen sich die Larven der Schaumzikade in dem Schleimgebilde.
Mittlerweile ist der Ruf des Kuckucks „zur schönen Maienzeit“jedoch selten geworden. Dem taubengroßen Zugvogel macht die Klimaerwärmung zu schaffen. Bis er im Frühling aus seinem Winterquartier zurückkehrt, ist bei seinen Wirtsvögeln die Brut bereits im vollen Gange. Der Brutparasit kommt zu spät. Am Federsee dagegen scheint er noch Glück zu haben. Etwa 40 Kuckucke leben hier, weiß die Biologin, und deutlich tönt das melodische „gukuh“aus dem Bannwald herüber.
Bevor es in den Wald geht, macht aber zunächst ein anderer Vogel seine Aufwartung. Auf dem Federseekanal patrouilliert ein Schwan und beäugt jeden Passanten misstrauisch. „Schwäne sind sehr territorial“, warnt Wernicke. „Sie teilen das Ufer untereinander auf und verteidigen ihre Reviere sehr erbittert.“Vom Federseesteg aus lassen sich die „Verlierer“beobachten, die beim Kampf um die besten Brutreviere leer ausgegangen sind: Sie suchen in der Mitte des Sees Zuflucht. Dieses Exemplar hier – der Stirnhöcker weist es als Männchen aus –zählt aber wohl eindeutig zu den Gewinnern. Mit stolz geschwellter Brust posiert er vor den Spaziergängern – nur seltsam rot eingefärbte Kopffedern trü-
ben das imposante Erscheinungsbild. „Der Schwan rostet“, klärt Wernicke lachend auf. Auf dem Grund des Gewässers befinden sich nämlich Eisenverbindungen, die der
Schwan bei seinen Tauchgängen aufnimmt und die dann in Verbindung mit Sauerstoff buchstäblich zu rosten beginnen.
Um beim Rasten nicht auch noch Rost anzusetzen, führt die Tour nun weiter, hinein in den Bannwald. Seit die Nabu-Gründerin Lina Hähnle in Zusammenarbeit mit dem Buchauer Oberförster Walter Staudacher hier 1911 die ersten Flächen erwarb, wurde dieses Gebiet gänzlich der Natur überlassen. Eingriffe sind hier nur erlaubt, um für die Verkehrssicherheit der Besucher zu sorgen. Die gefällten Bäume aber bleiben liegen. Vom 1999 erbauten Holzsteg aus lässt sich die Schönheit ihres Verfalls beobachten, wie sie langsam von Moos und Pilzen überwuchert werden. „Sie werden von Pilzen, Bakterien und Asseln zersetzt und machen so die Nährstoffe wieder verfügbar“, erklärt Wernicke. „Das natürliche Vergehen und Entstehen, das ist das, was ein Nutzwald nicht kennt.“
Alles in Balance
Und ja, auch Borkenkäfer siedeln sich in den gefällten Bäumen an. Die Naturschützerin löst die Rinde, um die Gänge der Larven zu zeigen. „In einem natürlichen Wald haben aber auch die Gegenspieler eine Chance“, sagt Wernicke und weist auf völlig gesunde Fichten in unmittelbarer Nähe. Sechs Spechtarten halten im Bannwald die Schädlinge in Schach. „In einem natürlichen Wald wird sich keine Art übermäßig vermehren.“
Statt einiger dominanter Arten finden so im Bannwald die verschiedensten Pflanzen und Tiere ein Zuhause. Frühaufsteher könnten hier die schönsten Vogelstimmenkonzerte erleben, versichert Wernicke. Auf dem lichten, nährstoffarmen Boden wachsen die exzentrische Wundersegge, die im Frühjahr dem Kopf eines Punks gleicht, echte Orchideen und Heilpflanzen wie Schachtelhalm, Beinwell und das Mädesüß. Dessen Namen leite sich übrigens nicht von süßen Mädchen ab, sondern dem Brauch der Germanen, ihren Met mit der Pflanze zu süßen. Das Praktische: Mädesüß enthält Stoffe, die schmerzlindernd wirken. „Deshalb“, sagt Wernicke, „konnten die Germanen so viel Met trinken – das Aspirin war gleich mit dabei.“
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