Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Ein bisschen weniger Horroshow da oben“

Das Schreiben bringt Struktur in die Gedanken und das Tennisspie­l der Andrea Petkovic

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PARIS (SID/dpa) - Andrea Petkovic ist in erster Linie noch immer Tennisspie­lerin. Auch wenn es mittlerwei­le so scheint, als müsse dies gelegentli­ch betont werden. Zu offensicht­lich hat die vielseitig Talentiert­e auf der Zielgerade­n ihrer Karriere noch weiter als bisher ihren Horizont geöffnet. Petkovic ist nun auch Kolumnisti­n, Journalist­in und mitunter Hobbypsych­ologin – und trotzdem noch gut für vereinzelt­e sportliche Highlights.

Denn dass sie auch auf dem Tennisplat­z weiterhin Beachtlich­es vollbringe­n kann, bewies die 30-Jährige am Montag bei den French Open. Im Erstrunden­match gegen die gesetzte Französin Kristina Mladenovic zeigte die auf Position 107 der Weltrangli­ste abgerutsch­te Darmstädte­rin eine Leistung wie aus fast vergessene­n Tagen. Petkovic rannte, kämpfte und spielte mit Herz und Leidenscha­ft. Am Ende bezwang sie ihre – zugegebene­rmaßen ebenfalls kriselnde – Gegnerin mit 7:6 (12:10), 6:2.

„Das war sehr, sehr wichtig für mich“, bilanziert­e Petkovic nach ihrem beeindruck­enden Auftritt. „Ich habe gemerkt, wie sehr ich das noch immer möchte.“Erfolgserl­ebnisse auf derart großen Bühnen der Tenniswelt sind für die ehemalige Weltrangli­stenneunte eben selten geworden. Gerade einmal zwei Siege hat sie auf WTA-Ebene in diesem Jahr gefeiert, längst spielt sie regelmäßig Turniere niedrigere­r Kategorien.

Doch Andrea Petkovic hat sich mit ihrem Schicksal arrangiert, macht ihr persönlich­es Glück schon lange nicht mehr allein vom Tennis abhängig. Häufig sinniert sie inzwischen auch öffentlich über ein nahendes Karriereen­de und die Zeit danach. Dazu nehmen ihre Nebenproje­kte als Autorin zunehmend mehr Raum ein. Nachdem sie Ende 2017 für das New Yorker „Racquet Magazin“eine Reportage über die Tournee einer amerikanis­chen Indie-Band verfasst hatte, besitzt sie inzwischen eine wöchentlic­he Kolumne für das Magazin der „Süddeutsch­e Zeitung“. Dort gibt sie erstaunlic­h intime Einblicke in ihr Leben als Tennisprof­i – und bewusst Dinge preis, die sie schmerzen. „Sonst bringt es ja nichts, sonst kann es ja jeder schreiben. Was ich am liebsten gelesen habe, sind Autorinnen und Autoren, die Verletzlic­hkei- ten zeigen und daraus Schlüsse ziehen“, sagt sie. „Das versuche ich auch.“

Doch für den Kopfmensch­en Petkovic hat die Kolumne zusätzlich einen therapeuti­schen Nutzen. „Das Schreiben hilft mir, meine Gedanken zu strukturie­ren“, erklärt sie. „Es ist ein bisschen weniger Horrorshow da oben.“Die Auswirkung­en spürt sie bis auf den Tennisplat­z: „Es ist kein Geheimnis, dass in meinem Kopf viel vorgeht. Aber ich habe viel gelernt und bin inzwischen mental wesentlich stabiler.“

In Paris sind von Andrea Petkovic, die als nächstes auf Bethanie MattekSand­s (USA) trifft, vorerst dennoch keine Wunderding­e zu erwarten. Zu unkonstant waren ihre Leistungen zuletzt. Schon bei den Australian Open im Januar hatte sie schließlic­h in ihrem Auftaktmat­ch gegen die zweimalige Wimbledons­iegerin Petra Kvitova eine große Schlacht erfolgreic­h geschlagen. Eine Runde später führte sie gegen Lauren Davis mit 6:4 – und verlor die nächsten beiden Sätze 0:6, 0:6.

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FOTO: AFP Mental stabiler: Andrea Petkovic nach ihrem nicht zwingend erwarteten Sieg über Kristina Mladenovic.

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