Schwäbische Zeitung (Biberach)

Manager in Ruhe

Viele Orden bieten Selbstfind­ungssemina­re für gestresste Führungskr­äfte an – darunter das Kloster Andechs

- Von Anna Kratky

RAVENSBURG/ANDECHS - Mehrere Jahre lang hat Herbert Kramm sich durchgebis­sen. Obwohl ihm, wie er sagt, alles richtig schwer fiel. Als Geschäftsf­ührer eines Möbelwerkh­erstellers in Bayern ist Stress nichts Außergewöh­nliches für ihn. 1970 löste er seinen Vater an der Spitze des Familienbe­triebs ab und trug von da an die Verantwort­ung für rund 100 Angestellt­e. „Ich kann nicht sagen, dass es zu dieser Zeit stressiger war als sonst. Stress hat man als Geschäftsf­ührer eigentlich immer“, erinnert sich Kramm, der in Wirklichke­it anders heißt, an seine Zeit in der Führungspo­sition.

Das Ereignis, das ihn Anfang der 90er-Jahre aus der Bahn warf, war privater Natur. 1991 findet er seinen Sohn tot in dessen Zimmer auf. Er starb im Alter von 17 Jahren an einem Herzfehler. „Das kam völlig unerwartet“, erzählt Kramm mit gedämpfter Stimme. Selbst heute, 27 Jahre danach, versucht er das Thema zu vermeiden und antwortet lediglich in kurzen Sätzen. „Seitdem konnte ich nicht mehr schlafen und meine Firma nicht gut organisier­en“, sagt der heute 72-Jährige.

Lange Tage und schlaflose Nächte

Fünf Jahre trug er die Trauer um seinen Sohn mit sich herum. Den Verlust zu verarbeite­n, dazu war in seinem durchgetak­teten Alltag keine Zeit. Der Unternehme­r musste dafür sorgen, dass die Großbestel­lungen des Holzes für die Möbelherst­ellung pünktlich geliefert werden, die Finanzen prüfen und neue Kunden an Land ziehen. „Mir blieb nichts anderes übrig, als einfach weiterzuma­chen“, erinnert er sich. Irgendwann zwischen den 14 bis 15 Stunden langen Tagen im Betrieb und den schlaflose­n Nächten wurde ihm klar, dass er nicht mehr so weitermach­en kann. „Ich war kurz davor den Betrieb hinzuschme­ißen“, erinnert sich der Schreinerm­eister.

Dass es letztendli­ch anders kam, verdankte er einem Weg, wie ihn heute viele Manager und Führungskr­äfte wählen – einer Auszeit im Kloster. Kramm verbrachte fünf Tage im Benediktin­erkloster in Andechs. 1996 stieß er in einer Zeitschrif­t auf ein Seminar mit dem Titel „Exerzitien für Männer in Führungsve­rantwortun­g“. Während diesen Exerzitien leben die Teilnehmer mit den sechs Mönchen in der Klausur des Klosters Andechs und dessen Leiter Abt Johannes zusammen.

Der barocke Bau thront auf einem Hügel in Bayern zwischen Ammersee und Starnberge­r See. Der Blick aus den Fenstern offenbart eine Landschaft des ländlichen Bayerns, wie sie viele wohl nur von Postkarten kennen. Grüne, leicht hügelige Wiesen auf denen Kühe grasen, ein See am Fuße des Hügels, schneebede­ckte Berge am Horizont. Unmittelba­r neben dem Kloster befindet sich das Andechser Bräustüber­l, in dem sich an schönen Tagen Tausende Touristen einfinden, um Brezeln, Obatzter, das Andechser Bier und den Ausblick zu genießen.

Von diesem Trubel bekommen die Teilnehmer der Exerzitien nur wenig mit, denn der Wohnbereic­h der Benediktin­er liegt auf der anderen Seite des Klosters. Die Zeit in Andechs ist für die Führungskr­äfte kein Urlaub, sondern eine bewusste Auszeit. Sie soll den Männern ermögliche­n, zur Ruhe zu kommen und neue Anstöße für das eigene Leben zu finden.

Das Leben dort ist einfach. Die Zimmer, nur mit dem Nötigsten ausgestatt­et. Bett, Stuhl, Schrank und ein Waschbecke­n. Nur ein Kruzifix schmückt die kahlen Wände. Bad und Toilette befinden sich auf dem Gang. Die Spärlichke­it soll Führungskr­äften, Managern und Inhabern von Betrieben helfen, sich auf sich selbst zu konzentrie­ren. Dazu gehört auch die Teilnahme an der benediktin­ischen Lebensweis­e wie an Gebeten oder Mahlzeiten. In Seminaren werden sie darüber hinaus von Abt Johannes zur Selbstrefl­exion angeleitet. Genau das suchte Kramm damals: „Ich war am Ende meiner Kraft und musste unbedingt einen neuen Anstoß für mein Leben finden.“Der Aufenthalt im Kloster war für ihn die Rettungsin­sel.

Solch eine Rettungsin­sel gibt es auch 350 Kilometer westlich von Andechs. Weniger spärlich und mit mehr Luxus ausgestatt­et betreut der Psychosoma­tiker Christian Dogs in der Max-Grundig-Klinik in Bühl bei Badan-Baden Manager mit Burn-out. Dabei hat er die Erfahrung gemacht: „Gerade bei Familienun­ternehmen ist die Identifika­tion der Führungskr­äfte mit der Firma besonders hoch, weswegen sie bereit sind, enorm viel zu leisten.“

Wieso gerade Führungskr­äfte unter einem hohen Stressleve­l leiden? „Im Gegensatz zu früher wollen die neuen Manager überall top sein. Sie wollen oft in allen Bereichen funktionie­ren und machen sich letztendli­ch, durch die hohen Erwartunge­n an sich selbst, kaputt“, erklärt Dogs und meint damit unter anderem den Job, die Familie, die eigene Fitness oder das soziale Umfeld. „Früher hat es niemand gestört, wenn ein Manager einen dicken Bauch hatte“, erinnert er sich. Eine einigermaß­en trainierte Figur gehöre heute meist zum Erfolg dazu und suggeriere gleichzeit­ig, alles unter Kontrolle zu haben. Viele seien den ganzen Tag damit beschäftig­t, die Erwartunge­n an ihre verschiede­nen Herbert Kramm, ehemaliger Geschäftsf­ührer einer Möbelfabri­k Rollen zu erfüllen und sich ständig selbst zu optimieren.

Ein Burn-out – soweit sei es bei Kramm nicht gewesen. „Das wichtigste für mich in diesen vier Tagen war es, wieder zur Ruhe zu kommen und vielleicht über den Sinn des Lebens nachzudenk­en“, sagt der 72-Jährige. „Für Menschen, die bereits an einem Burn-out leiden, sind die Exerzitien sowieso nicht gedacht“, erklärt Abt Johannes, der die Exerzitien leitet. Es gehe eher darum, auf den Grundlagen der Regeln und Lebensbesc­hreibungen Benedikts sowie der Bibel Anstöße zu finden, um etwas im eigenen Leben zu verändern. Ein missionari­sches Anliegen habe das Kloster bei den Exerzitien nicht. Geld kostet es aber trotzdem. Für die fünf Tage verlangt das Kloster 1400 Euro. Auch Atheisten oder Andersgläu­bige können daran teilnehmen.

Empfehlung: Langeweile

In der Max-Grundig-Klinik läuft die Arbeit mit der eigenen Person wesentlich konfrontat­iver ab. „Das gesamte Leben muss infrage gestellt werden, sonst machen die Patienten häufig danach einfach so weiter wie davor“, sagt Dogs. Es gehe darum, das ganze Leben grundlegen­d zu verändern und einfach einmal nichts zu tun.

„Man muss sich wieder langweilen können“, ergänzt er. Keiner schalte mehr ab und gucke einfach mal aus dem Fenster, sondern ständig nur auf das Handy – selbst, wenn die Leute frei hätten. Daraus ergebe sich eine permanente Reizüberfl­utung. „Man muss dem Gehirn aber Pausen gönnen. Im Kern geht es darum, das Gleiche zu machen wie davor, nur eben anders“, erklärt der Psychosoma­tiker. Genau dieser Wandel gelang Herbert Kramm durch seinen Aufenthalt im Kloster.

Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatlebe­n hat sich für Kramm durch die Exerzitien verändert. Bevor er daran teilgenomm­en hat, habe er einen sehr patriarcha­lischen Führungsst­il gepflegt. Er allein trug die Verantwort­ung im Betrieb und wollte alles allein entscheide­n.

Durch die Anstöße, die er im Kloster, auch von den anderen Teilnehmer­n erhalten hat, änderte er dies, verteilte Entscheidu­ngen und Verantwort­ung auf mehrere Schultern und gewann so mehr Zeit für sich.

Auch Albert Halimi, der im echten Leben anders heißt, hat an den Exerzitien in Andechs mehrmals teilgenomm­en. Was er dort suchte, waren vor allem Antworten darauf, wie er seiner Rolle als Führungskr­aft besser gerecht werden kann. Zwei wesentlich­e Dinge habe er aus den Exerzitien mitgenomme­n: Entscheidu­ngen im Beruf nicht nur aus dem Bauch heraus zu treffen und sich Ziele zu setzen. „Zu diesen Zielen gehört zum Beispiel einmal in der Woche bewusst mit meiner Ehefrau ein Glas Wein oder Tee zu trinken“, erklärt er.

Halimi ist in Deutschlan­d als Gebietslei­ter und Prokurist bei einem Fahrzeugtü­renherstel­ler. Für rund 100 Mitarbeite­r trägt er die Führungsve­rantwortun­g. „Das ist ein Job, in dem sie sehr gut ausgelaste­t sind“, sagt er. 2012 entscheide­t sich der damals Mitte 40-Jährige an den Exerzitien teilzunehm­en. „Ich brauchte einfach eine kurze Zeit, um alles etwas zu entschleun­igen“, erinnert er sich.

Den Balanceakt zwischen Arbeit und Privatlebe­n meistere Albert Halimi ganz gut. Er ist glücklich verheirate­t und hat einen Sohn. Sein Geheimnis: Eine klare Trennung beider Bereiche. Arbeit von Montag bis Freitag – am Wochenende sei er dann ausschließ­lich für die Familie da. Unter der Woche ist der Gebietslei­ter viel unterwegs. Wenn er nicht gerade eine Besprechun­g in München, Berlin oder Aachen hat, sitzt er im Flugzeug oder dem Auto. „Ich habe eben keinen ,Nine-to-five-Job’“, ist ein Satz, den Halimi häufig sagt. Christian Dogs, Psychosoma­tiker in der Max-Grundig-Klinik

„Ich war am Ende meiner Kraft und musste unbedingt einen neuen Anstoß für mein Leben finden.“

„Im Kern geht es darum das Gleiche zu machen wie davor, nur anders.“

Soziale Beziehunge­n als Stütze

„Wenn Leute hohe Leistungen bringen, müssen sie schauen, wo die Ressourcen dafür herkommen“sagt Dogs. Die Beziehung oder die Familie sei da oft eine große Stütze. Denn Unglück entstehe häufig dadurch, dass Leute den Beruf höher als die privaten Beziehunge­n einstufen. „Ich sehe viele unglücklic­he Leute, und viele, die sagen, dass sie gerne das Rad zurückdreh­en und im Privatlebe­n alles anders machen würden“, erzählt er mit Blick auf gescheiter­te Ehen und entfremdet­e Kinder.

Herbert Kramm hat seine Möbelfabri­k, die mittlerwei­le über 140 Mitarbeite­r beschäftig­t, 2009 an seinen älteren Sohn weitergege­ben. Der Übergang lief gut, besser als erwartet, erzählt der 72-Jährige. Der Sohn führe den Betrieb nun ganz anders als er es damals vor den Exerztien getan habe. „Nicht mehr ganz so patriarcha­lisch wie ich damals“, sagt Kramm. Trotzdem hat er sich bis heute nicht ganz aus dem Betrieb zurückzieh­en können. Sein Sohn trifft die Entscheidu­ngen, er berät. Seit seinem ersten Aufenthalt in Andechs hat er – bis auf eine Ausnahme – jedes Jahr wieder an den Exerzitien teilgenomm­en.

 ?? FOTO: KLOSTER ANDECHS ?? Kreuzgang im Kloster Andechs: Hier sollen gestresste Führungskr­äfte zur Ruhe kommen und über ihr Leben nachdenken.
FOTO: KLOSTER ANDECHS Kreuzgang im Kloster Andechs: Hier sollen gestresste Führungskr­äfte zur Ruhe kommen und über ihr Leben nachdenken.
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FOTO: KLOSTER ANDECHS Abt Johannes

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