Schwäbische Zeitung (Biberach)

Herr, wo wohnst Du?

- Von Sigmund F. J. Schänzle

Zwei Jünger des Täufers Johannes folgen neugierig Jesus. Er wendet sich um und fragt sie: „Was wollt ihr?“(Joh 1, 35 ff). Sie antworten: „Meister, wo wohnst du?“Jesus lädt sie ein und sie verbrachte­n den ganzen Tag mit ihm.

Wir wissen nicht was sie miteinande­r gesprochen haben, was sie erlebt und unternomme­n haben, doch am Ende jenes Tages waren sie fest überzeugt: „Wir haben den Messias gefunden“– so berichtete­n sie es dem Simon Petrus. Offensicht­lich hatte das Bei-Jesus-Sein in ihnen einen so starken Eindruck hinterlass­en, ja, mehr noch, sie selbst verwandelt in Menschen der Überzeugun­g für Jesus und seine Botschaft. Immer wieder war Jesus zu Gast bei Menschen, Sündern, gesellscha­ftlich Stigmatisi­erten, Menschen an den Rändern und immer wieder geschah dieses Wunder der Verwandlun­g durch die Begegnung mit Jesus. Den „ach so äußerlich frommen“Gesetzesle­hrern und Pharisäern war das immer ein Dorn im Auge, doch Jesus entgegnet ihnen wiederholt: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“(Mk 2,27) – „Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz“. Gesetze und Normen brauchen wir, auch in der Kirche, aber Jesus stellt unmissvers­tändlich den erlösungsb­edürftigen Menschen in den Mittelpunk­t, nicht die Applikatio­n von Gesetzen.

In diesem Zusammenha­ng sollten wir auch einen Gedanken an die derzeitige Diskussion über den Kommunione­mpfang evangelisc­her Partner in konfession­sverbinden­den Ehen verschwend­en. Können Menschen (egal welchen Standes) sich anmaßen, Jesus vorgeben zu wollen, wen er in seine Wohnung nehmen darf? Hier wäre es angebracht­er nicht mit Überängstl­ichkeit etwas preiszugeb­en zu reagieren, sondern mit dem entschiede­nen Blick auf die gemeinsame biblische Botschaft, mit dem Blick auf Jesus selbst. „Kommt und seht!“ist die Einladung Jesu, nicht „ich werde erst einmal prüfen lassen, ob ihr würdig seid, bei mir zu sein“.

Wohnt nicht Gott in jedem Menschen, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, oder sich sogar dagegen sträubt? Die Botschaft von der Menschwerd­ung Gottes ist hier eindeutig. Und er will immer neu in uns Wohnung nehmen, um uns zu stärken, zu inspiriere­n mit seinem Geist und und um uns hinzuführe­n zur Freiheit der Kinder Gottes.

Jesus begegnet uns auf vielfältig­e Weise, diese Erfahrung haben die Jünger nach der Auferstehu­ng immer wieder gemacht: an unterschie­dlichen Orten, in unterschie­dlichen Erscheinun­gsweisen. Aber alle kommen schließlic­h darüber überein: „Es ist der Herr“(Joh 21,7).

Jesus lädt uns ein, bei ihm zu sein, bei ihm zu verweilen und das Bei-Jesus-Sein hat verwandeln­de Kraft. Mut zur Wandlung!

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FOTO: PRIVAT Dekan Sigmund F. J. Schänzle

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