Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Jedes Kind kann den Grundstoff lernen“
Lerntrainerin Heide Schiller-Rankewitz verrät, warum Mathe mehr als Rechnen ist
ATTENWEILER - Seit elf Jahren arbeitet Heide Schiller-Rankewitz als Lerntrainerin. Am Dienstag, 5. Juni, spricht sie an der Grundschule Attenweiler über Probleme im Mathematikunterricht. Die haben schon vor der Einschulung ihren Ursprung. Im Gespräch mit Volontärin Birga Woytowicz erklärt die Lerntrainerin, welche Ursachen es für Matheprobleme gibt und wie Eltern ihren Kindern helfen können, diese zu bekämpfen.
Waren Sie früher in der Schule ein Mathe-Ass?
Also Mathe ist schon immer mein Lieblingsfach gewesen, ja. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass die meisten Kinder, die zu mir ins Lerntraining kommen, Probleme mit Mathe haben.
Was macht Mathe denn so schwer?
Oft fehlen die Voraussetzungen. Das sind Teilleistungen, die schon bei der Einschulung erfüllt sein müssen. Es geht um ganz banale Dinge: Gleichgewicht oder die Hand-Augen-Koordination. Kinder müssen Mengen richtig erfassen können. Auch das Raumbewusstsein ist wichtig. Nur, wer weiß, wo oben, unten, hinten, vorne und rechts, links ist, kann sich nachher auch im Zahlenraum zurechtfinden. Kinder müssen Räume mit dem eigenen Körper erfahren.
Wie funktioniert das praktisch?
Kinder müssen den Alltag erleben, der früher üblich war. Ob es ein Spaziergang oder eine Runde mit dem Rad ist: Bewegung aller Art an der frischen Luft ist gut. Aber auch Gesellschaftsspiele helfen. Zum Beispiel fördern sie dadurch das simultane Erfassen: Kinder können Augen eines Würfels ablesen, ohne nachzählen zu müssen. Wichtig ist auch, den Lerntypen zu berücksichtigen.
Worauf ist da zu achten?
Es gibt drei verschiedene Lerntypen. Man kann visuell, also durch bloßes Anschauen, Dinge lernen oder auditiv, also primär durch das Hören. Der dritte Typ ist der kinästhetische: Das heißt, das Lernen erwusstsein. folgt über das Tun. Bei Grundschulkindern ist dieser Typ stark ausgeprägt. Hier sind Hilfsmittel besonders wichtig. Man muss Kindern Mathe zunächst auf Materialebene näherbringen. Dann kann man in die Symbolebene wechseln und erst zum Schluss hilft Training auf der Zahlenebene.
Welche Hilfsmittel gibt es denn?
Das können ganz einfache Dinge sein: Ein Marmeladenglas zum Beispiel, mit einer Trennwand und Holzkugeln. Die können dann auf die beiden Seiten aufgeteilt werden. So lernt das Kind das Zerlegen von Mengen. Aber auch im Alltag haben Eltern ganz viele Möglichkeiten, kleine Testaufgaben zu stellen. Zum Beispiel bei einem Eierkarton, der nicht mehr ganz voll ist: Wie viele Eier fehlen, um auf zehn zu kommen? Wenn man Kinder auffordert, nach bestimmten Dingen zu suchen, fördert das zudem das Raumbe- Das trainiert gleichzeitig die Merkfähigkeit. Genauso ist es, wenn das Kind verschiedene Getränke aus dem Vorratsraum holen soll. Wichtig ist: Es darf nicht offensichtlich sein, dass es um Mathe geht. Wenn Kinder damit Probleme haben, ist das Selbstbewusstsein oft schon im Keller.
Wie schaffe ich es denn als Elternteil, zum Beispiel bei Hausaufgaben zu helfen, ohne dabei gleichzeitig Druck aufzubauen?
Hausaufgaben sollten erstmal nicht gemeinsam erledigt werden, denn das Kind muss wissen, dass es selbst für die Hausaufgaben zuständig ist. Wenn das Kind die Aufgaben macht, sollte das Kind jedoch die Möglichkeit haben zu fragen und das muss mit dem Kind auch kommuniziert werden: Ich bin um die Ecke. Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Manchmal ist schlichtweg die Menge an Hausaufgaben für schwächere Kinder zu viel. Wenn sich das Kind nachmittags stundenlang damit quält, verliert es irgendwann die Lust. Es ist wichtig, mit Lehrern eine gemeinsame Lösung zu finden und das Pensum so zurückzuschrauben. Auch die Zusammenarbeit mit Fachleuten ist wichtig.
Das heißt: Für Mathe braucht es keine besondere Begabung?
Talent ist das eine. Aber jedes Kind kann den Grundstoff ordentlich lernen: Plus, Minus, Mal und Geteilt. Je geringer die Voraussetzungen, desto schwerer tun sich die Kinder aber. Irgendwann kann man das Rad ja auch nicht mehr zurückdrehen und sagen: Komm, wir spielen jetzt einfach mehr. Das muss man mühevoll nachholen. Der Stoff wird ja auch komplexer, besonders mit dem Sprung in Stufe drei. Wenn es hier Schwierigkeiten gibt, muss im Stoff so weit zurückgegangen werden, bis das Thema an dieser Stelle verstanden wird, eventuell mit den Grundlagen der ersten Klasse.
Ist Mathe am Ende denn so wichtig, wenn die Kinder in den anderen Fächern keine Probleme haben?
Ich finde schon. Man braucht Mathe in vielen Bereichen. Man lernt logisches Denken und entwickelt ein Verständnis für den Zeitbegriff: Welche Prioritäten muss ich setzen und wie ist die Abfolge der einzelnen Rechenschritte? Mit dem Stoff an weiterführenden Schulen wird das noch weiter ausgeprägt. Es geht nicht darum, dass nachher alle Einser-Schüler sind. Grundrechenarten sind aber wirklich Voraussetzung: Sonst haben die Schüler später auch fast keine Chance auf eine Lehrstelle.
Am Dienstag, 5. Juni, hält Heide Schiller-Rankewitz einen Vortrag zu Problemen im Matheunterricht im Foyer der Grundschule Attenweiler. Eingeladen sind alle Eltern mit Schulkindern sowie Eltern zukünftiger Erstklässler, die ab Herbst die Schulbank drücken. Die Teilnahme kostet fünf Euro. Beginn ist um 19.30 Uhr.