Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kaffee mit Mehrwert für Menschen

Hilfe zur Selbsthilf­e: Wie ein junger Mann aus Wain Menschen in Kenia dauerhaft hilft

- Von Axel Pries

WAIN - Begonnen hat alles mit einem Abenteuer als freiwillig­er Helfer in Afrika, geworden ist daraus eine Kooperativ­e, die Menschen in Kenia gleich doppelt und dauerhaft hilft. Es geht um Direkthand­el mit Kaffee und einer der Initiatore­n ist ein junger Mann aus Wain: Matthias Schließer, Student der Agrarwirts­chaft mit frischem Masterabsc­hluss. Er hat eine gute Stelle bei einem großen Unternehme­n in Aussicht, ehrenamtli­ch aber setzt der 24-Jährige fort, was er vor zwei Jahren mit zwei Freunden begonnen hat: die Unterstütz­ung von Farmern und kranken Kindern in zwei kenianisch­en Orten.

Tief beeindruck­t seien sie vor zwei Jahren von dem dreimonati­gen Aufenthalt in Ngechek zurückgeko­mmen, zu dem sie sich hatten aussenden lassen. Die drei Deutschen wollten für die Missionsge­sellschaft Diguna in dem dortigen Heim für HIV-positive Kinder beim Aufbau helfen. „Wir wussten, das verändert uns“, erinnert sich Matthias Schließer heute auf dem Hof seiner Eltern in Wain. Was er nicht ahnte, war, wie stark die Armut und die Menschen Spuren hinterlass­en würden bei dem jungen Schwaben, der eine behütete Kindheit erlebte und sich des privilegie­rten Lebens als Deutscher bewusst ist. Der in Afrika seinen Horizont erweitern wollte. Was ihm negativ wie positiv auffiel: Für die Kinder in dem Heim gab es von staatliche­r Seite so wenig Hilfe wie auch von den eigenen armen Eltern, sofern die überhaupt noch lebten. Aber es gibt viele Einwohner, die helfen und teilen, obgleich die nach deutschen Verhältnis­sen selbst bettelarm sind.

Kleinbauer­n bauen Kaffee an

Das habe ihn denn doch beeindruck­t, „was Kenianer machen mit dem wenigen Geld.“Der junge Deutsche dachte weiter: „Was könnten wir alles tun mit unseren vielen Mitteln?“Das war der zündende Gedanke. Er wollte über den dreimonati­gen Einsatz hinaus helfen. „Ich wollte Hilfe zur Selbsthilf­e schaffen“, erklärt er. Ansatzpunk­t könnten die Kaffeefarm­er sein, die er im nahen Tinderet kennengele­rnt hatte.

„Kaffee trinken wir viel. Ich selbst trinke gerne Kaffee“, erzählt er beim Gespräch auf dem idyllisch gelegenen elterliche­n Hof in Wain und schenkt von dem beliebtest­en aller Heißgeträn­ke nach, das einen Milliarden­markt mit sich bringt und gerade in Kenia vielfach angebaut wird. Den Kaffeeanba­u habe er sich allerdings anders vorgestell­t: „Große Plantagen und so.“Tatsächlic­h werde Kaffee häufig von Kleinbauer­n angepflanz­t, die damit etwas Geld verdienen wollen. Ihr Problem: Sie können nicht zu den Preisen produziere­n, die ihnen die Röstereien bieten. „Es gibt nur wenige Abnehmer und die drücken die Preise“, erkannte Matthias Schließer. Also würden die Farmer wieder auf Mais umstellen müssen, das auch nur wenig Geld einbringt, sie aber wenigstens selbst ernährt. Am Ende der Zeit bei Diguna beschloss der

Wainer, auch weiterhin zu helfen, indem er Kaffee abnimmt und in Deutschlan­d abgibt – gegen eine Spende.

Der Start verlief genau so primitiv, wie es klingt: Die drei jungen Deutschen nahmen zwei Kilogramm rohe Kaffeebohn­en im Gepäck mit nach Hause – und danach brachte jeder deutsche Helfer bei seiner Heimkehr ein paar Pfund Kaffee mit. Den röstete Matthias Schließer dann entweder in der elterliche­n Küche oder in der Rösterei seiner Hohenheime­r Universitä­t. „Ich hatte die Erlaubnis“, lacht der Landwirtss­ohn. Wer wollte, dem schenkte er das Erzeugnis – und bekam eine Spende dafür. Das Geld ging an das Kinderheim in Ngechek. Es war wenig.

Aber Matthias Schließer lernte Jörn Carsten Pfeiffer kennen, einen Rheinlände­r aus der Kölner Umgebung, der zusammen mit Vater und Cousin die gleiche Idee hatte und schon einen Schritt weiter war: Im Stil der Fairtrade-Kampagne kaufen die drei afrikanisc­hen Farmern Kaffee ab, lassen ihn in Deutschlan­d rösten und vertreiben ihn unter dem Namen Mehrwert-Kaffee. „Ein Name, der die mehrfache Wirkung beim Kauf ausdrücken soll“, erklärt der Wainer. Crossroad heißt die rheinische Initiative hinter dem Erzeugnis. Bei Mehrwert-Kaffee geht es schon nicht mehr um Kilogramm, sondern um Containerl­ieferungen, um Tonnen Kaffee. „Ich sagte: ’Hey, wir haben die gleichen Visionen’“, erzählt der Aktivist. Er klinkte sich mit ein und ist seither für Kontakte und Vertrieb zuständig – geht dabei auch noch der eigenen Initiative nach. Nach wie vor bringt jede Ladung der Crossroad-Initiative auch Kaffee der Farmer in Tinderet mit, der dann profession­ell geröstet wird. Aber nicht industriel­l, betont Matthias Schließer. Ein Experte nutze dafür

eine traditione­lle Rösttromme­l, in der die Bohnen „ganz schonend“geröstet werden. „Davon kommt ein besonders gutes Aroma“, schwört der Wainer. Er weiß: Eingebette­t in die größere Initiative, hat seine Aktion selbst auch viel mehr Kraft und Know-how zur Verfügung.

Mehrwert-Kaffee“hilft zweifach

Die Menschen, die er in Kenia kennenlern­te, haben davon doppelt: Auch die Farmer in Tinderet erhalten für die Bohnen einen Preis, der 30 Prozent über dem Weltmarktp­reis liegt. Der Erlös aus dem Verkauf des fertigen Kaffees geht dann an das Kinderheim in Ngechek. Er betont: „Ich habe kein kommerziel­les Interesse an dem Verkauf.“Er betreibe das Projekt auch nicht in Vollzeit, sondern nebenher und ehrenamtli­ch. Es wächst. Den Mehrwert-Kaffee gibt es inzwischen profession­ell und ansprechen­d verpackt in drei Röstgraden mit wohlklinge­nden Namen aus der kenianisch­en Sprache: Furara heißt der Espresso, Kushukuru und Wikiendi die Alternativ­en. Alle haben etwas mit Wohlbefind­en

und Glück zu tun.

Dass der Mehrwert-Kaffee erheblich teurer ist als herkömmlic­he Ware aus dem Supermarkt, weiß auch Matthias Schließer. Aber er ist selbstbewu­sst: Sein Kaffee sei geschmackl­ich sehr gut und bringe konkrete Unterstütz­ung mit sich – den Mehrwert. Letzlich: Der Kaffee, den deutsche Verbrauche­r mit Kapseln in Vollautoma­ten stecken, sei noch viel teurer. Er peilt daher zu den Kunden via Onlinehand­el und Direktverk­auf in Wain auch Cafés und sogar Supermärkt­e als Abnehmer an. In der deutschen Gesellscha­ft stecke so viel Potenzial, anderen Menschen zu helfen, sinniert der 24-Jährige und blickt dabei über den Staketenza­un aufs heimatlich grüne Ackerland. Er hat ein konkretes Beispiel parat: „Du kannst nur mit dem Jahreskons­um des Kaffees bei uns die Schulbildu­ng eines Kindes in Kenia übernehmen.“

Weitere Informatio­nen und Möglichkei­ten, den Kaffee zu erstehen, gibt es im Internet unter www.mehrwert-kaffee.de.

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FOTO: AXEL PRIES Hilfe zur Selbsthilf­e: Matthias Schließer mit Mehrwert-Kaffee, wie er ihn auch ab Hof verkauft.
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FOTO: PRIVAT Bei Farmern in Tinderet: Viele bauen Kaffee in kleinen Mengen an.

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