Schwäbische Zeitung (Biberach)

Blick in verquere Gedankenwe­lten

Der Tübinger Professor Michael Butter geht den Ursachen und der Wirkung von Verschwöru­ngstheorie­n nach

- Von Daniel Drescher

Flüchtling­e sind Teil eines großangele­gten „Umvolkungs“Plans, Kondensstr­eifen sind in Wahrheit Chemtrails, mit denen die Menschen vergiftet oder kontrollie­rt werden sollen, und die Illuminate­n steuern den Lauf der Geschichte: Verschwöru­ngstheorie­n sind in Zeiten globaler Vernetzung durch das Internet scheinbar allgegenwä­rtig. Michael Butter, der amerikanis­che Literatur- und Kulturgesc­hichte an der Eberhard Karls Universitä­t Tübingen lehrt, ist Leiter eines Forschungs­projekts der EU, das seit Frühjahr 2016 wissenscha­ftliche Arbeiten über Verschwöru­ngstheorie­n bündelt. In seinem Buch „Nichts ist, wie es scheint: Über Verschwöru­ngstheorie­n“geht er einem Phänomen nach, das zunächst skurril erscheint – aber große Gefahren für die Demokratie mit sich bringt.

Das Fazit ist düster: Wenn Gesellscha­ften sich nicht mehr darauf verständig­en könnten, was wahr ist, resümiert Butter, können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunder­ts nicht meistern. Die größte Gefahr von Verschwöru­ngstheorie­n sieht der Kulturwiss­enschaftle­r darin, dass sie durch die Zersplitte­rung der Öffentlich­keit über das Internet eine gewaltige Wirkung entfalten. Expertenwi­ssen und wissenscha­ftliche sowie journalist­ische Arbeit werden entwertet, weil im Internet seriöse Informatio­nsquellen und obskure Blogs gleicherma­ßen publiziere­n können. Die Filterblas­e sorgt dafür, dass sich schon bestehende Meinungen verfestige­n – der Algorithmu­s liefert mehr von dem, was wir ohnehin schon wissen und wollen. Auch, wie sich Verschwöru­ngstheorie­n von Fake News unterschei­den, zeigt Butter auf.

Zahlreiche konkrete Beispiele

Der gefragte Experte geht der Frage nach, warum sich Verschwöru­ngstheorie­n heute so großer Beliebthei­t erfreuen – und macht auch deutlich, dass es Zeiten gab, in denen sie noch viel mehr Zuspruch bekamen und tatsächlic­h „Mainstream“waren, während sie heute durchaus stigmatisi­ert sind. Der Autor beleuchtet auch, wer besonders anfällig für derlei gedanklich­e Konstrukte ist. Dabei macht er auch klar, wie schwierig es ist, sich mit ihren Anhängern auseinande­rzusetzen. Das Buch hat zwar wissenscha­ftlichen Anspruch, ist aber verständli­ch und unterhalts­am geschriebe­n. Das liegt auch an den konkreten Beispielen, durch die der Leser wichtige Akteure dieser „Szene“kennenlern­t, den US-Amerikaner Alex Jones etwa. Dieser verdient mit seinem Kanal „Infowars“sehr viel Geld – indem er den Zusammenbr­uch der Zivilisati­on beschwört und im eigenen Onlineshop Ausrüstung für die Apokalypse verkauft.

Klar wird dabei auch, wann Verschwöru­ngstheorie­n besonders problemati­sch sind – dann nämlich, wenn sie sich gegen Minderheit­en richten, wie etwa die vom „Bevölkerun­gsaustausc­h“durch nach Deutschlan­d kommende Flüchtling­e, den die Ex-Tageschau-Moderatori­n Eva Herman für eine Tatsache hält.

Michael Butter: Nichts ist, wie es scheint: Über Verschwöru­ngstheorie­n, Edition Suhrkamp,

271 Seiten, 18 Euro.

Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart veranstalt­et im Tagungshau­s Weingarten am Freitag, 15. Juni, um 19.30 Uhr eine öffentlich­e Diskussion zum Thema Verschwöru­ngstheorie­n. Auf dem Podium wird dabei auch Autor Michael Butter sitzen.

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