Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Die Schweigepflicht ist unser Kapital“
Eduard Reber über seine Arbeit mit Drogenabhängigen im Ravensburger Gefängnis
RAVENSBURG - Drogen in Gefängnissen sind keine Seltenheit. Zwar gehören Haftanstalten zu den am besten bewachten Orten der Welt, dennoch werden Suchtmittel immer wieder auf verschiedenen Wegen eingeschmuggelt. Eduard Reber arbeitet für die Caritas BodenseeOberschwaben als Suchtberater in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ravensburg. Im Gespräch mit Jasmin Bühler hat er über seinen Arbeitsalltag, brenzlige Situationen und seine Schweigepflicht gesprochen.
Herr Reber, wie sieht Ihr Alltag als Suchtberater in der JVA aus?
Ich gehe morgens durchs Tor, bekomme ein Sicherheitstelefon und einen Schlüsselbund und schließe mir den Weg zu meinem Büro auf. Gefängnisinsassen, die mit mir sprechen möchten, müssen eine Terminanfrage stellen. Denn das Angebot ist freiwillig und keine Pflicht. Die Gefangenen machen das aus eigener Motivation heraus. Also vereinbare ich Termine und treffe mich mit den Klienten.
Was sind die Beweggründe der Gefangenen, sich bei Ihnen zu melden?
Bei meinen Klienten ist das hauptsächlich, weil sie im Laufe der Jahre eine Abhängigkeit entwickelt haben und die Abhängigkeit zwingt sie, Suchtmittel zu konsumieren.
Welchen Weg raus aus der Abhängigkeit gibt es?
In den Gesprächen zeigen wir als Suchtberater Ausstiegsmöglichkeiten auf. Wenn ein Süchtiger abstinent ist, kann er eine Therapie beginnen. Diese wird auch nach Entlassung aus der Haft fortgeführt, damit der Klient nicht in ein „Entlassloch“fällt und rückfällig wird.
In Justizvollzuganstalten in Baden-Württemberg ist es – anders als in Bayern – möglich, Substitutionsmittel zu verschreiben. Substitution in Haft ist in BadenWürttemberg vor einiger Zeit eingeführt worden. Das Land nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und das funktioniert gut. Im Vollzug in Ravensburg gibt es die Möglichkeit der Substitutionsbehandlung schon lange. In anderen Bundesländern – wie etwa Bayern – sieht das restriktriver aus, vor allem aus ideologischen Gründen. Die Substitutionsbehandlung ist inzwischen neben dem abstinenzorientierten Weg eine zweite, ebenso wichtige und anerkannte Behandlungssäule aus der Sucht. Daher macht das Absetzen des Substitutionsmedikaments bei Inhaftierung keinen Sinn, einem Depressiven nimmt man ja auch nicht einfach sein Antidepressivum weg.
Kommt es denn vor, dass Insassen erst im Gefängnis zu Drogen greifen? Das Frustrationslevel in Haft ist ja recht hoch und Drogen sind leicht zu bekommen.
Das kommt mitunter sicherlich vor. Deshalb bieten wir die Inanspruchnahme von Gesprächen und Vermittlung in Suchttherapien niederschwellig an, damit Drogenkarrieren hinter Gittern möglichst nicht noch angestoßen werden.
Was haben die Suchtberatung innerhalb und außerhalb von Gefängnismauern gemeinsam?
An erster Stelle ist da die Schweigepflicht zu nennen. Das ist unser Kapital. Wir können offen und vertraulich miteinander reden. Als Suchtberater sehen wir den Menschen mit seiner Sucht, nicht nur den Kriminellen. Würde im Gefängnis beispielsweise ein Sozialarbeiter der JVA die Suchtberatung übernehmen, hätte er diesen eindeutigen Status nicht.
Warum?
Er käme in einen Rollenkonflikt. Denn es entsteht kein Vertrauen, wenn die Klienten einerseits von der JVA als Strafvollzug eingesperrt werden und sie dann andererseits bei der Suchtberatung ihr Leben ausbreiten sollen. Die JVA tut sehr viel für die Resozialisierung der Gefangenen, aber bei dem speziellen Bereich der Suchtberatung ist es sinnvoll, wenn das externes Personal übernimmt.
Das heißt, wenn Ihnen die Häftlinge zum Beispiel sagen, wie sie in der JVA an die Drogen kommen, müssen Sie das nicht der Gefängnisleitung melden?
Mal abgesehen davon, dass sie mir so etwas niemals erzählen würden, nein. So etwas darf ich gar nicht weitergeben. Da ist die Schweigepflicht das höhere Gut.
Kamen Sie schon mal in eine brenzlige Situation bei den Gesprächen? Immerhin haben Sie mit Straftätern zu tun.
Nein, ich bin noch nie bedroht worden und war noch nie in einer Gefahrensituation. Ich habe keine Angst, das darf man auch nicht haben. Die Gefangenen wollen ja, dass ich ihnen helfe. Und dafür müssen sie sich an Regeln halten, an meine Regeln.
Was unterscheidet die Suchtberatung „drinnen“und „draußen“?
Die Häftlinge, die sich zur Suchtberatung melden, wollen raus, sie wollen in die Freiheit. Es geht hier nicht nur um die Freiheit außerhalb der JVA, sondern auch um Suchtfreiheit. Sie sind entsprechend drängender, haben ein klares Ziel vor Augen. In der JVA wirkt es sich für die Insassen positiv aus, wenn sie keine Suchtmittel konsumieren, sie bekommen eventuell Lockerungen bei der Haft oder werden vorzeitig entlassen. Generell gilt: Je weniger Regelverstöße man hat, umso besser ist das natürlich.
Der Ausländeranteil in der JVA ist sehr hoch. Wie klappt das mit der Verständigung?
Ich kann mich im Notfall auf Englisch verständigen. Aber wenn die Gefangenen wirklich zur Suchtfreiheit gelangen wollen, kommen sie um Deutschkenntnisse gar nicht drumherum. Denn bei der Therapie müssen sie sich mitteilen. Sie müssen im Detail über ihr Leben sprechen, über ihre Gefühle und Konflikte und darüber, was sie konsumiert haben. Englischsprachige Einrichtungen gibt es dafür noch nicht.
Auch im Video hat der Suchtberater Eduard Reber über das Thema Drogen und Gefängnisaufenthalt gesprochen, zu sehen auf