Schwäbische Zeitung (Biberach)

Offener Machtkampf in der Union

CSU setzt Kanzlerin Merkel im Streit um Abweisung von Migranten Ultimatum bis Montag

- Von Sebastian Heinrich und unseren Agenturen

BERLIN - Seit bald drei Jahren gibt es Streit in der Union über die Flüchtling­sund Asylpoliti­k, nun eskaliert der Konflikt zwischen CDU und CSU. Nach weniger als 100 Tagen droht der Großen Koalition der Bruch. Es kommt zum offenen Machtkampf zwischen Bundesinne­nminister

Horst Seehofer, dem CSU-Chef, und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, der CDUVorsitz­enden. In der

Frage, ob Asylbewerb­er direkt an der deutschen Grenze zurückgewi­esen werden sollen, setzte die CSU die Kanzlerin mit einem Ultimatum bis Montag maximal unter Druck und drohte mit einem Alleingang. Lässt sich die Kanzlerin das bieten? Lenkt sie ein? Gibt es doch noch einen Kompromiss? Und wie verhält sich die mitregiere­nde SPD? Merkel selbst erklärte am Donnerstag­abend trotz des eskalieren­den Streits, sie rechne nicht mit einem Bruch der Regierung. Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz habe sie bestärkt, schneller und konzentrie­rter bei den anstehende­n Projekten zu arbeiten, „und ich gehe davon aus, dass wir das auch gemeinsam tun, auch die Bundesregi­erung“, sagte sie nach einem Treffen mit den Ministerpr­äsidenten im Kanzleramt. Merkel distanzier­te sich erneut vom Plan Seehofers für einen nationalen Alleingang bei den Rückweisun­gen von bestimmten Migranteng­ruppen an der deutschen Grenze. Bei diesem Vorhaben würden „Grundprinz­ipien unseres Herangehen­s berührt“. Sie glaube, „dass wir nicht unilateral handeln sollten, dass wir nicht unabgestim­mt handeln sollten und dass wir nicht zulasten Dritter handeln sollten“.

Wenige Stunden zuvor hatte die CSU Merkels Vorschlag zurückgewi­esen, in den kommenden beiden Wochen, bis zum EU-Gipfel am 28. Juni in Brüssel, auf europäisch­er Ebene eine Lösung zu finden. Man habe „nicht den Glauben daran“, dass eine Lösung auf EU-Ebene in wenigen Tagen zu erreichen sei, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Die Schwesterp­artei setzte der CDU-Chefin ein Ultimatum bis Montag und kündigte indirekt an, Seehofer könne andernfall­s per sogenannte­m Ministeren­tscheid die Zurückweis­ung anweisen. Dies ist rechtlich möglich, ein Alleingang eines Ministers gegen den erklärten Willen Merkels würde aber wohl zwangsläuf­ig das Aus für die Bundesregi­erung bedeuten. SPD-Parteichef­in Andrea Nahles zeigte sich besorgt, wies den CSUVorschl­ag strikt zurück und forderte ein Ende des Unionsstre­its. „Theaterstü­cke im Dienste von Landtagswa­hlen sind hier nicht angemessen“, sagte sie mit Blick auf die im Oktober anstehende Landtagswa­hl in Bayern. Politikwis­senschaftl­er und CSUKenner Heinrich Oberreuter glaubt jedoch nicht, dass diese Strategie im Landtagswa­hlkampf hilft. „Es geht um die Stabilität der Regierung und die Zukunft unseres demokratis­chen Parteiensy­stems“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ich würde sagen, das ist wichtiger als die Landtagswa­hl und die Zukunft eines Ministerpr­äsidenten.“

- Hunderte von Kameras und Journalist­en sind auf der Fraktionse­bene des Bundestags aufgebaut. „Absolut dramatisch“sei die Situation, meinen Abgeordnet­e. „Historisch“, sagt CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Die Bundestags­sitzung wird einfach unterbroch­en. Der Grund: Die CSU macht Ernst. Sie will ihren Kurs in der Flüchtling­spolitik gegen die Kanzlerin und deren Richtlinie­nkompetenz durchsetze­n. Vier lange Stunden haben CSU und CDU in getrennten Sitzungen getagt – und ein Bruch der Fraktionsg­emeinschaf­t ist zum Greifen nah.

War es schon mal so gefährlich für die Kanzlerin? Die meisten können sich nicht erinnern. Nachdem Angela Merkel in der Nacht zu Donnerstag einen Kompromiss im Asylstreit angeboten hatte, den die CSU aber nicht annahm, geht die Auseinande­rsetzung weiter.

Kauder gereizt

Wir sind in einer „historisch­en Situation“, sagt CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. „Wir wollen die Neuordnung des Asylsystem­s, und dazu dient unser Masterplan.“Vor allem aber: Man wolle jetzt entscheide­n und nicht später, man wolle, dass an Deutschlan­ds Grenzen Flüchtling­e zurückgewi­esen werden. Natürlich werde man aber auch alle Bemühungen auf europäisch­er Ebene unterstütz­en.

Fraktionsc­hef Volker Kauder geht, sichtlich gereizt, an Journalist­en vorbei, schiebt den Vorsitzend­en der Bundespres­sekonferen­z zur Seite. Die SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles stichelt zeitgleich: Es dränge sich der Eindruck auf, dass es eine zugespitzt­e Situation bei der Union gebe.

Schäuble verteidigt Merkel

Hat es schon einmal getrennte Fraktionss­itzungen von CSU-Landesgrup­pe und CDU-Fraktion gegeben? Auch daran kann sich niemand erinnern. Zumindest sei es 20 Jahre her. Wolfgang Schäuble kann sich aber noch sehr genau an den Kreuther Beschluss erinnern, in dem die CSU 1976 die Fraktionsg­emeinschaf­t aufkündigt­e, wenn auch nur für wenige Tage. Der Bundestags­präsident Schäuble springt in der Fraktion Angela Merkel zur Seite, und auch Thomas de Maizière wirbt für ihren Kurs. Die CDU hat sich am Morgen ziemlich geschlosse­n hinter das Kompromiss­angebot ihrer Chefin gestellt. Die hat angeboten, schon beim EU-Gipfel in zwei Wochen bilaterale Verträge mit EU-Partnern zu erreichen, um die Zurückweis­ung und Rückführun­g von Ausländern zu ermögliche­n, die in diesen Ländern bereits Asylanträg­e gestellt haben.

Damit geht Merkel auf die CSU zu, denn eigentlich wollte sie keine bilaterale­n Abkommen, sondern gesamteuro­päische Lösungen erreichen. Auch in ihrer Fraktion hat sie für ihr Angebot große Unterstütz­ung. Selbst harte Asylkritik­er wie der Lörracher Abgeordnet­e Armin Schuster betonen, es sei doch selbstvers­tändlich, dass die Frau Bundeskanz­lerin noch einmal zwei Wochen Zeit bekomme. Mit dieser Regelung sei er zufrieden. Merkel-Kritiker Jens Spahn allerdings schert aus, er wirbt für die CSU-Position, jetzt schon Ernst zu machen.

„Wir hören das doch jetzt schon zweieinhal­b Jahre“, schimpft Hans Michelbach (CSU), ohne dass etwas geschehen sei. Die CSU werde Innenminis­ter Seehofer auffordern, seinen Masterplan durchzuset­zen. Und vielleicht könne das ja auch auf EU-Ebene beschleuni­gend wirken. Und Georg Nüßlein (CSU) meint: „Die CSU ist für eine europäisch­e Lösung bereit, aber sie muss da sein.“

Im CDU-Teil der Fraktion rücken die Abgeordnet­en derweil wieder näher an ihre Chefin. „Welches Spiel wird hier eigentlich gespielt?“, fragt sich nicht nur Haushälter Eckardt Rehberg. Teilnehmer verzeichne­n einen Stimmungsu­mschwung.

CDU zusammenge­schweißt

Nachdem am Dienstag noch einige CDU-Abgeordnet­e über den Kurs der Kanzlerin schimpften, merken sie jetzt, welche fatale Wirkung das hatte. Diesmal sind es nur fünf von 50 Rednern, die gegen Merkels Kurs sind. Der Druck von außen scheint die CDU-Abgeordnet­en und die Kanzlerin wieder zusammenzu­schweißen. Einige schimpfen auf die CSU, die nur auf ihre bevorstehe­nde Landtagswa­hl in Bayern schaue und auf sonst nichts.

Und Angela Merkel selbst? Sie steht seit Monaten in der Kritik und muss auch auf internatio­naler Bühne Misserfolg­e wegstecken wie jenen im Handelsstr­eit mit Donald Trump. Doch Merkel hat eine Teflonschi­cht um sich. Sie antwortet nicht auf Fragen wie jene, ob sie es schon bedauere, noch einmal als Kanzlerin angetreten zu sein. Sachlich sei sie in der Fraktion gewesen, wie immer, heißt es.

In einem Schlusswor­t vor den CDU-Abgeordnet­en nennt Merkel ihr Vorhaben „ambitionie­rt“, in den nächsten zwei Wochen zu Ergebnisse­n zu kommen. Sie dankt der Fraktion für ihre Unterstütz­ung, sie fühlt sich bestärkt in ihrer Linie. Sie will weiter verhandeln, sie will die Tür nicht zuschlagen. Und nach zwei Wochen wolle man dann die Lage noch einmal bewerten. Nach derzeitige­m Stand will die CSU aber nicht so lange warten, sondern schon am Montag Horst Seehofer drängen, seinen Masterplan umzusetzen. Notfalls im Alleingang mit einem Ministeren­tscheid.

„Die lassen den Druck drin“, analysiert CDU-Mitglied Oswald Metzger, der im Reichstag das Geschehen beobachtet­e. Und die CDU werde merken, dass die Linie Seehofers in der Bevölkerun­g eine Mehrheit habe. Denn das Flüchtling­sthema wühle die Menschen auf. In Zeiten der Fußballwel­tmeistersc­haft gehe es um ein „Endspiel von Merkel“, so Oswald Metzger.

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FOTO: AFP Öffentlich ausgetrage­ner Clinch: Innenminis­ter Horst Seehofer setzt Kanzlerin Angela Merkel mit seinen Forderunge­n im Asylstreit massiv unter Druck.
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FOTO: DPA Alle Aufmerksam­keit ist auf die Kanzlerin gerichtet: Angela Merkel (CDU) muss um ihren Weg in der Flüchtling­spolitik kämpfen – gegen den heftigen Widerstand der CSU und auch mancher CDU-Parteifreu­nde.

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