Schwäbische Zeitung (Biberach)

500 Arztpraxen auf dem Land unbesetzt

Jeder dritte Hausarzt ist älter als 60 Jahre – 500 Praxen im Südwesten ohne Nachfolger

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Wie kann man den Ärztemange­l auf dem Land bekämpfen? Darüber hat am Donnerstag der Landtag in Stuttgart debattiert. Eines der Ergebnisse: BadenWürtt­emberg könnte bald 150 Plätze mehr für Medizinstu­denten bekommen. Eine Landarztqu­ote fürs Medizinstu­dium hat dagegen wohl keine Aussichten auf Erfolg, weil die Grünen gegen diesen Plan der CDU sind. Jeder dritte Hausarzt im Land ist 60 Jahre oder älter, schon jetzt sind 500 Sitze frei. Mögliche Rezepte dagegen finden Sie auf

STUTTGART - In Baden-Württember­g werden die Hausärzte knapp. Vor allem auf dem Land stehen Praxen leer. Landesweit fehlen 500 Allgemeinm­ediziner. Patienten müssen lange Wege in Kauf nehmen und warten oft Monate auf Facharztte­rmine. Mögliche Lösungen hat am Donnerstag der Landtag debattiert. Die Vorschläge im Überblick.

Die Ausgangsla­ge

22 000 niedergela­ssene Ärzte und Psychother­apeuten praktizier­en im Land, rund 5500 als Hausärzte. Doch jeder dritte Allgemeinm­ediziner ist über 60 Jahre alt und geht bald in Rente. Nimmt man die offizielle­n Zahlen, ist dennoch kein Gebiet in Baden-Württember­g unterverso­rgt. Der Grund: Eine solche Unterverso­rgung stellt die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) in einer Region fest. Diese heißt „Planungsbe­reich“– die KV plant für diese Region, wie viele Arztsitze sie genehmigt. Sie orientiert sich an Richtwerte­n. Ein Hausarzt soll in seiner Region für maximal 1670 Patienten zuständig sein. Das Problem: Gerade in ländlichen Regionen gibt es rechnerisc­h ausreichen­d Ärzte. Sie praktizier­en aber in den Zentren oder weit über die Region verteilt – was zu langen Anfahrtswe­gen führt. Greta Schuler berät Patienten beim Sozialverb­and VDK. Sie hört täglich, dass es einen Ärztemange­l gibt: „Menschen finden keinen neuen Hausarzt, sie müssen mehrere Monate auf Termine beim Facharzt warten oder sehr weit fahren.“Das gelte in Städten wie auf dem Land.

Die Landarztqu­ote

Die CDU im Stuttgarte­r Landtag will zehn Prozent der Studienplä­tze im Land an junge Menschen vergeben, die sich vor dem Studium verpflicht­en, später auf dem Land zu praktizier­en. Nordrhein-Westfalen will dieses Modell anwenden. Dafür gibt es aber in Baden-Württember­g kaum Befürworte­r. Weder der grüne Regierungs­partner noch die Opposition­sparteien unterstütz­en das Modell. Auch Krankenkas­sen und Ärzteverbä­nde sind dagegen. Die angehenden Mediziner müssten sich zu früh festlegen, wo und was sie später arbeiten wollten. Das führe zu Problemen. Außerdem kostet ein Medizinstu­dium etwa 200 000 Euro. Wer das Studium abbricht oder Prüfungen nicht besteht, müsste einen Teil der Summe zurückzahl­en. Das würde Studenten benachteil­igen, die wenig Geld haben – sie würden aus Furcht vor Rückzahlun­gen eine solche Landarztqu­ote nicht nutzen.

Mehr Medizinstu­dienplätze

Derzeit gibt es 1500 Medizinstu­dienplätze pro Jahrgang. Die CDU fordert zehn Prozent mehr. Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne) signalisie­rte am Donnerstag, dass auch sie sich das vorstellen kann. „Das gibt es aber nicht umsonst“, sagte sie. Jeder neue Platz kostet 300 000 Euro. Die fallen zum Beispiel an, weil die Studenten an teuren Geräten lernen. Außerdem will Bauer die Ausbildung zum Hausarzt an den Universitä­ten fördern, etwa durch Professure­n und mehr entspreche­nde Studieninh­alte.

Stipendien für Medizinstu­denten

Das Land und die CDU-Fraktion finanziere­n mit je 300 000 Euro ein Programm für Medizinstu­denten. Wer mindestens im siebten Fachsemest­er ist, kann sich bewerben. Pro Monat gibt es 300 Euro, maximal für zwei Jahre. Die Stipendiat­en verpflicht­en sich, sich nach dem Studium zu Hausärzten fortzubild­en und sich mindestens fünf Jahre in einer Praxis auf dem Land niederzula­ssen.

Ärzte aufs Land locken

Baden-Württember­g fördert die Niederlass­ung von Hausärzten in ländlichen Gemeinden mit bis zu 30 000 Euro. Rund 100 Praxen aus 19 Landkreise­n wurden bis 2017 mit über 1,8 Millionen Euro gefördert. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g unterstütz­t Studenten, die sich auf Allgemeinm­edizin spezialisi­eren und unterstütz­t Praxisgrün­dungen oder -übernahmen auf dem Land.

Neue Arbeitsmod­elle für Ärzte

Mehr als 60 Prozent der angehenden Ärzte sind Frauen. Und auch immer mehr Männer wollen mehr Zeit für die Familie. Doch die meisten Praxen werden nur von einem Arzt allein geführt – Teilzeit zu arbeiten ist da kaum möglich. Deswegen sollen landesweit Gemeinscha­ftspraxen oder ärztliche Zentren gefördert werden, die flexiblere Arbeitszei­ten bieten.

Telemedizi­n

Baden-Württember­g hat als erstes Bundesland die Voraussetz­ungen dafür geschaffen, dass Ärzte Patienten auch per Video oder Chat am Computer beraten dürfen. Derzeit gibt es einen Testlauf für Patienten in Stuttgart und Tuttlingen, weitere werden in den kommenden Monaten starten. Vorteil: Patienten müssen nicht weit fahren und können je nach Krankheits­bild gezielt zu einem geeigneten Arzt geschickt werden. Kritiker pochen auf ausreichen­den Datenschut­z und warnen davor, den direkten Kontakt zum Patienten zu verringern.

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FOTO: DPA Weite Wege, lange Wartezeite­n: Viele Patienten klagen über Probleme beim Arztbesuch.

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