Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kritik an Gesetz zu Musterproz­essen

Der Bundestag beschließt ein neues Klagerecht – wichtige Antworten im Überblick

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BERLIN (dpa/sz) - Verbrauche­r sollen künftig durch Musterproz­esse gegen Unternehme­n zu ihrem Recht kommen. Der Bundestag beschloss am Donnerstag die Einführung der Musterfest­stellungsk­lage, bei der Verbrauche­r einen Anspruch auf Schadeners­atz durchsetze­n können, ohne selbst einen Prozess anzustreng­en. Opposition und Experten übten jedoch Kritik am neuen Gesetz, das zum 1. November in Kraft treten soll. Es habe handwerkli­che Mängel und sei zu komplizier­t.

BERLIN - Der Bundestag hat die Musterfest­stellungsk­lage beschlosse­n, mit der Verbrauche­r künftig gemeinsam rechtlich gegen Unternehme­n vorgehen können. Wie funktionie­rt das? Was bringt es den Verbrauche­rn tatsächlic­h? Wichtige Fragen beantworte­t Wolfgang Mulke.

Stimmt es, dass künftig „einer für alle“klagen kann?

So verspricht es Verbrauche­rministeri­n Katarina Barley (SPD). „Damit helfen wir allen, die ihr Recht einfordern“, sagt sie, sei es im Dieselskan­dal, bei zu hohen Gaspreisen oder ungültigen Versicheru­ngsverträg­en. Das neue Klagerecht trägt den sperrigen Namen „zivilproze­ssuale Musterfest­stellungsk­lage“. Es tritt am 1. November 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt kann ein Verbrauche­rverband stellvertr­etend für alle geschädigt­en Kunden Klage gegen ein Unternehme­n einreichen. Das Urteil in diesem Verfahren gilt dann als Maßstab für alle Betroffene­n.

Wie funktionie­rt das Verfahren?

Wenn etwa der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen oder der ADAC einen Missstand erkennen, der wenigstens zehn Verbrauche­r betrifft, können sie Klage erheben. Dazu müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene in einem Klageregis­ter anmelden. Dieses Internet-Register richtet das Bundesamt für Justiz ein. Eintragen können sich Betroffene bis zum ersten Tag des Gerichtsve­rfahrens. Werden die Voraussetz­ungen erfüllt, befasst sich ein Oberlandes­gericht mit dem Fall. Dessen Entscheidu­ng, oder aber später die des Bundesgeri­chtshofes als höchste Instanz, ist dann für alle gleichgela­gerten Fälle bindend. Gewinnt der Verbrauche­rverband, können alle im Klageregis­ter eingetrage­nen Betroffene­n danach ihren individuel­len Schaden vor Gericht geltend machen. Da die Grundsatze­ntscheidun­g schon gefällt wurde, ist es für sie risikofrei.

Ist das neue Klagerecht ein echter Fortschrit­t?

Auch wenn die Opposition das Gesetz kritisiert, weil jeder Geschädigt­e am Ende doch selbst seinen Schadeners­atz einklagen muss, ist diese Art der Sammelklag­e ein großer Fortschrit­t. Bisher wagen Verbrauche­r bei kleinen Schadenssu­mmen meist keine Klage, weil sie hohe Kos- ten befürchten müssen, wenn sie vor Gericht verlieren. Die Musterfest­stellungsk­lage ist kostenlos, und es wird kein Anwalt benötigt. Zudem ist es wahrschein­lich, dass Unternehme­n bei einem verlorenen Verfahren von sich aus einen Ausgleich für alle Betroffene­n anbieten, alleine schon, um weitere Kosten zu sparen. Einen Kritikpunk­t teilen die Opposition­sparteien. Sie fänden es besser, wenn das Gericht auch gleich die Leistungen beim Schadensau­sgleich festlegen müsste.

Was bringt das Klagerecht betrogenen VW-Kunden?

Das Gesetz wurde gerade wegen des Dieselskan­dals im Eiltempo durch den Bundestag gebracht. Nicht umsonst kritisiere­n es Opposition­smitgliede­r als „Lex VW“. Für betrogene VW-Kunden ist es jedoch eine echte Hilfe. Schließlic­h ruht für alle in einem Klageregis­ter eingetrage­nen Verbrauche­r die Verjährung­sfrist. Sie können in Ruhe das Ergebnis der Verbandskl­age abwarten, auch wenn bis zu einer höchstrich­terlichen Entscheidu­ng viel Zeit ins Land geht. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) hat schon angekündig­t, dass er nach Inkrafttre­ten und damit vor dem Ende der Verjährung­sfrist im Fall VW am 31. Dezember 2018 eine Musterfest­stellungsk­lage anstrengen will.

Wer darf für die Verbrauche­r vor Gericht ziehen?

Dieser Punkt war bis zuletzt umstritten. Die Bundesregi­erung hat sich nach langer Diskussion auf strenge Richtlinie­n für die Klageberec­htigung geeinigt. Damit soll verhindert werden, dass eine Art Klageindus­trie, wie es sie in den USA gibt, ins deutsche Rechtssyst­em einzieht. Klagebefug­t sind nur Verbrauche­rverbände, die wenigstens 350 Mitglieder oder zehn Mitgliedsv­erbände vorweisen können und auf einer Liste qualifizie­rter Einrichtun­gen entweder in Deutschlan­d oder der EU geführt werden. Sie dürfen eine Klage nicht aus Gewinnstre­ben erheben. Auch dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer Einnahmen aus Einzahlung­en von Unternehme­n stammen. Ausgeschlo­ssen ist unter anderem die Deutsche Umwelthilf­e (DUH), die maßgeblich zur Aufdeckung des Dieselskan­dals beigetrage­n hat. Die DUH wirft der Bundesregi­erung vor, ein „Klageverhi­nderungsge­setz“durchzuset­zen.

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FOTO: DPA Der Bundestag hat die Musterfest­stellungsk­lage mit den Stimmen von Union und SPD beschlosse­n.

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