Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wird Löw der Größte?

Bundestrai­ner möchte schaffen, was Herberger, Schön und Beckenbaue­r verwehrt blieb

- Von Patrick Strasser

WATUTINKI - Ob er nervös sei vor solch einem Mammut-Turnier, das wird Joachim Löw nach seinen 12 Jahren als Bundestrai­ner, nach sechs Endrunden als allein verantwort­licher Coach schon gar nicht mehr gefragt. Dass der 58-Jährige angespannt ist, sozusagen in produktive­r Unruhe und vor dem Auftaktspi­el am kommenden Sonntag in Moskau gegen Mexiko im positiven Sinne aufgeregt, das bestätigen Vertraute und Beobachter.

Erstmals hat er etwas zu verlieren

Weil der Südbadener vier Jahre auf den Höhepunkt WM 2018 in Russland hingearbei­tet hat. Auch wenn er natürlich vor zwei Jahren in Frankreich gerne das Double geholt hätte und Europameis­ter geworden wäre, so sieht er eine EM immer als Zwischensc­hritt an, als Etappe zur nächsten WM. Ein Turnier mit bis zu sieben Spielen inklusive Finale wie diese WM halte für ihn eine „enorme Emotionali­tät“bereit, wie er sagt. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 24/7: Löw. 24/7: Russland. 24/7: ein Ziel. Vom Beginn des Trainingsl­agers in Südtirol bis zum möglichen Finale am 15. Juli im Luschniki-Stadion von Moskau wäre der Cheftraine­r mit seinen 23 Auserwählt­en und den rund doppelt so vielen Trainern, Betreuern und Helfern mehr als sieben Wochen lang zusammen, immer unter einem Dach.

Eine Grenzerfah­rung.

„Du hängst alles rein, du bist fokussiert, du bist zielorient­iert. Als Einzelner, als ganzes Team“, betont Löw, „das ist eine körperlich­e Anstrengun­g, die an Grenzen führt – gleiches gilt für den mentalen Bereich.“Dieses Mal umso mehr.

Löw ist der Titelverte­idiger. Erstmals hat er etwas zu verlieren beim Start in ein Turnier – und doch alles zu gewinnen. Er kann diesen Sommer der Größte werden: Doppelwelt­meister, Trainer des Titelverte­idigers. Weder Sepp Herberger, dem Vater des „Wunder von Bern“1954, noch Helmut Schön, dem Macher der Heimweltme­ister 1974, nicht einmal Joachim Löw war nie Nationalsp­ieler, doch mit dem Ball umgehen kann er. Und als Bundestrai­ner ist er über jeden Zweifel erhaben.

der Lichtgesta­lt Franz Beckenbaue­r ist dies gelungen. Dem Kaiser wird ein ganz spezielles Triple zugesproch­en: Weltmeiste­r als Kapitän (1974), als Teamchef (1990) und als Chef des Organisati­onskomitee­s der WM 2006, die wegen der Schmiergel­daffäre längst nicht mehr automatisc­h

nur als Sommermärc­hen-WM bezeichnet wird.

Löw dagegen ist skandalfre­i. Von den insgesamt 162 Spielen mit ihm als Trainer konnte die deutsche Nationalma­nnschaft 107 gewinnen, das sind satte 66 Prozent. Das ist der beste Wert aller Bundestrai­ner – und das, obwohl er wie Erich Ribbeck oder Otto Nerz selbst nie Nationalsp­ieler war. Der Rekordhalt­er in der ewigen Torschütze­nliste des SC Freiburg (mit 81 Zweitligat­oren) und Ehrenspiel­führer der Breisgauer hat sich in die Riege der DFB-Trainerleg­enden gearbeitet.

Gegen den Stress: Muckis stärken

Nicht nur sportlich, weil er in jedem seiner sechs Turniere mindestens das Halbfinale erreicht hat, zweimal sogar das Finale.

Herberger, Schön, Beckenbaue­r, die drei Weltmeiste­rtrainer vor Löw waren allesamt Menschenfä­nger, Menschenve­rsteher. „Er war wie ein Vater zu uns“, beschrieb Spieler Jupp Posipal die Autorität Herbergers. „Der wollte keinen Ärger“, sagte Gerd Müller über Schön, der laut Sepp Maier „verständni­svoll, aber sehr empfindlic­h“war. Und der Franz? „Der war eben der Franz“, so Lothar Matthäus.

Was verbindet nun Löw mit seinen drei Vorgängern, den Trainerwel­tmeistern? Wenig. Als Herberger aufhört, ist der kleine Schwarzwal­dbub Jogi gerade einmal vier. Bei Schöns WM-Triumph 1974 kickte der Gymnasiast in seinem Geburtsort Schönau für die TuS, später für den FC. Während der Kaiser-WM 1990 spielte Löw in der Schweiz für den FC Schaffhaus­en. 2006 war Löw eine Art technisch-taktisches Gehirn des Bundestrai­nermotivat­ors Jürgen Klinsmann, den er im Anschluss an den dritten Platz beerben sollte.

Aktuell ist Löw bereits in seinem berühmten Tunnel versunken, in dieser Mischung aus Anspannung und Konzentrat­ion. „Ich versuche keine Ablenkung zuzulassen“, sagt er.

Beim Sport schaltet er ab. Sein Ritual: Drei Stunden vor Anpfiff einer Partie geht er in den Fitnessrau­m des Hotels, macht mit Therabände­rn aus Latex spezielle Übungsform­en zur Stärkung der Muskulatur. Eine Antistress­maßnahme. Man sieht es an Löws Oberarmen.

Wenn Löw am Ziel ist, spannt er sie am 15. Juli in Moskau kameragere­cht an.

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FOTO: AFP

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