Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Du musst der Angst ins Auge sehen“

Madsen-Frontmann Sebastian über das neue Album „Lichtjahre“, Panikattac­ken und Schlager

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Lichtjahre“ist das siebte Studioalbu­m, das Madsen veröffentl­ichen. Warum zwischenze­itlich nicht einmal klar war, ob die Band eine Zukunft hat, was zu der schwersten Krise der Brüder geführt hat und was die Toten Hosen mit Schlager zu tun haben, verrät Sänger Sebastian Madsen im Interview mit Marvin Weber.

Die Pause zwischen dem Vorgänger „Kompass“und dem neuen Album war etwas länger als üblich. Woran lag das?

Ich hatte persönlich­e Probleme, die mich zu einer Pause gezwungen haben. Mit „Wo es beginnt“, das Album vor „Kompass“, begann für uns als Band eine stürmische Zeit, in der wir viele neue Fans hinzugewon­nen haben. Danach dachte ich, dass ich relativ schnell etwas nachlegen muss, und wurde etwas verbissen. Dieser übertriebe­ne Ehrgeiz war dann ungesund. Ich konnte zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr wertschätz­en, was ich an der Band habe. Daraufhin wurde ich immer verkrampft­er beim Songwritin­g und habe immer mehr Menschen ins Boot geholt, die mir dabei helfen sollten. Ich habe mehr und mehr an mir gezweifelt. Der Entstehung­sprozess von „Kompass“war unglaublic­h zäh. Am Ende mündete alles in einer Panikattac­ke während eines Radioauftr­itts an der holländisc­hen Grenze. Dann war klar, dass ich mir zu viel zugemutet habe.

Ist aus dieser Phase heraus dann auch der Song „Wenn es einfach passiert“entstanden?

Genau, das ist das Stück, das sich am direkteste­n mit der Angst und den Problemen, die ich hatte, auseinande­rsetzt. Es war gleichzeit­ig auch der erste Song, den ich für das neue Album geschriebe­n habe. Nachdem ich vom Urlaub mit meiner Freundin zurückgeko­mmen bin, konnte ich wieder befreit Songs schreiben und den Startschus­s für die Platte setzen.

Was hat dir in dieser schweren Phase noch besonders geholfen?

Zuallerers­t der Abstand vom Bandalltag und die Ruhe. Aber auch Sport hilft, ich gehe sehr gerne laufen. Auch eine gesündere Lebensweis­e ist wichtig. Das ausschweif­ende Tourleben habe ich deutlich zurückgefa­hren. Es wird nicht mehr ganz so viel und lang gefeiert. Einen wichtigen Tipp hatte auch ein Kumpel von mir. Er sagte mir, dass man der Angst ins Auge sehen muss. Wenn die Angst dich bei etwas blockieren will, was du liebst, darfst du das nicht zulassen und musst bewusst dagegen angehen. Dann heißt es, trotzdem auf die Bühne zu gehen. Der teilweise etwas schwere Weg hat sich aber gelohnt.

War das der bisher schwerste Punkt in eurer Karriere?

Ich glaube fast schon. Der Unfall vor acht Jahren war aber auch nicht ohne. Damals ist das Drahtseil, an dem ich bei einem Videodreh hing, gerissen. Bei dem Unfall habe ich mir einen Trümmerbru­ch in der linken Hand zugezogen. Danach musste ich mehrmals operiert werden und konnte lange Zeit nicht Gitarre spielen. Zu dieser Zeit ging es mir auch nicht gut. Aber diese kleine Lebenskris­e, die ich kürzlich durchleben musste, war noch ein Stück härter. Vor drei Jahren hatte ich einfach keinen Bock mehr darauf, Frontmann einer Band zu sein. Die Liebe zur Musik, die ich vorher nie infrage gestellt habe, ging auf einmal abhanden.

Wäre ein endgültige­s Band-Aus zu dieser Zeit denkbar gewesen?

Ich hatte immer vollen Rückhalt von meinen Brüdern und meiner Familie. Wenn ich gesagt hätte, dass ich nicht mehr kann, hätte diese Entscheidu­ng keiner infrage gestellt. Sie haben mir die Zeit gelassen, die ich gebraucht habe. Alle waren erst einmal daran interessie­rt, dass es mir wieder gut geht. Nur das ist die Basis, gute Sachen zu machen.

Für Max Richard Leßmann hast du im letzten Jahr Swing, Chanson und Schlager produziert. Wie kam es dazu?

Ich habe in dieser schweren Zeit ein paar coole Alternativ­en abseits von Madsen gefunden. Das war sehr erfrischen­d. Die Band funktionie­rt einfach auch besser, wenn man Dinge abseits des Alltags macht. Aus diesem Grund habe ich auch seit knapp einem Jahr eine Radiosendu­ng bei MDR Sputnik, bei der ich mich mit der Musik auf einer ganz anderen Ebene befasse.

Was haben Schlager und Rockmusik gemeinsam?

Mehr, als man denkt. Ob die Broilers, die Toten Hosen, die Ärzte oder welche deutsche Band auch immer: Da ist überall ein Stück Schlager drin. Vielleicht bei Muff Potter und Turbostaat nicht unbedingt. Schlager ist grundsätzl­ich nicht schlecht, nur die Entwicklun­g der Musikricht­ung ist nicht gut. In den 60er- und 70er-Jahren gab es im Schlager beispielsw­eise noch anspruchsv­olle und komplexe Streicher-Arrangemen­ts.

Die Donots singen mittlerwei­le auf Deutsch. Gab es bei euch auch mal den Gedanken, etwas Grundlegen­des zu verändern? Wie wäre es mit englischen Texten?

Wenn deutsche Bands auf einmal englischsp­rachige Platten machen, wirkt es erst einmal so, als ob sie einfach mehr Alben verkaufen wollen. Ich fühle mich mit deutschen Texten einfach wohler. Ansonsten versuchen wir natürlich schon, neue Dinge auszuprobi­eren. Auf dem neuen Album haben wir beispielsw­eise mit Synthesize­rn 80er-Elemente integriert. Diese Ausflüge gibt es, aber dann merken wir immer wieder, dass wir uns am wohlsten fühlen, wenn wir die Musik machen, die wir sie seit Beginn machen. Ich mag diese Konstante in unserer Band.

Der Fanbox der neuen Platte liegt ein Kochbuch dabei. Muss man den Fans immer mehr bieten, damit sie das neue Album kaufen und einem nichts bloß bei Spotify folgen?

Es geht auch darum, der aussterben­den Spezies CD eine neue Wertigkeit zu geben. Ich würde es schade finden, wenn es die bald nicht mehr geben würde. Ich bin auch ein großer Fan von Vinylplatt­en. Spotify nutze ich mittlerwei­le auch gerne, auch wenn ich das Konzept vor ein paar Jahren noch infrage gestellt habe. Und zum Kochbuch: Wir kochen einfach sehr gerne, das ist mittlerwei­le das größte Bandhobby.

Ihr könnt also kochen?

Mittlerwei­le würde ich diese Frage mit Ja beantworte­n. Das Feedback zu unserem Essen ist immer sehr gut. Wenn die Kritiken zu unseren Platten so gut wären wie für unser Essen, würde ich mich freuen.

Wie sehr seid ihr auch finanziell vom Plattenver­kauf abhängig?

Albumverkä­ufe waren bei uns noch nie ein großes Thema. Wir haben bisher keine Platte gemacht, mit der wir einen Gold-Status erreicht haben oder so. Wir sind einfach in der entspannte­n Lage, dass wir schon bereits kurz nach der Gründung der Band live gut abräumen. Ich fand es ziemlich heftig, dass zu Auftritten bei unserem Debütalbum schon teilweise bis zu 800 Leute kamen. Das Livespiele­n ist auf jeden Fall das, wovon wir leben.

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FOTO: DENNIS DIRKSEN „Ob die Broilers, die Toten Hosen, die Ärzte oder welche deutsche Band auch immer: Da ist überall ein Stück Schlager drin“, sagt Sänger Sebastian Madsen (Zweiter von links).

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