Schwäbische Zeitung (Biberach)
Vornehmer Stromer mit alltagstauglicher Reichweite
Jaguar schickt mit dem i-Pace seinen ersten Elektro-SUV ins Rennen gegen Tesla – Atemberaubende Fahrleistungen und viel Platz
Die Produktion des Model 3 noch immer nicht so richtig am Laufen, die Analysten verärgert und bei den Medien mittlerweile in Misskredit – so langsam wird es eng für Tesla-Chef Elon Musk. Und als hätte der Heiland der Elektrojünger nicht schon genügend Probleme, setzt ihm jetzt auch noch der erste Luxushersteller aus der alten Welt nach. Denn wenn Jaguar im August zu Preisen ab 77 850 Euro mit der Auslieferung des SUV i-Pace beginnt, verlieren Model S und Model X auf einen Schlag ihre Alleinstellung und es gibt plötzlich noch einen weiteren vornehmen Stromer, der auf eine alltagstaugliche Reichweite und atemberaubende Fahrleistungen kommt.
Um den i-Pace für seine ambitionierte Rolle als Verfolger und Verführer fit zu machen, hat Jaguar bei der Technik in die Vollen gegriffen und beim Design viel Neuland beschritten. Unter einer ziemlich futuristischen und trotzdem irgendwie vertrauten Crossover-Karosse steckt deshalb eine völlig neue Plattform, die wie ein Skateboard konstruiert ist: Vorn und hinten je ein Elektromotor mit zusammen 400 PS und knapp 700 Newtonmetern und dazwischen ein Akku mit 90 kWh – das garantiert – zumindest auf dem Prüfstand – 480 Kilometer Reichweite und Fahrleistungen auf dem Niveau eines Sportwagens.
Zwar haben die Briten das Spitzentempo mit Rücksicht auf den Energieverbrauch auf 200 km/h limitiert, doch dafür beschleunigt der i-Pace in 4,8 Sekunden von 0 auf 100 und lässt damit selbst manche Version des F-Type hinter sich. Und weil er nicht nur Allradantrieb und als Option eine adaptive Luftfederung hat, sondern seine Kraft auch variabel zwischen den Achsen verteilt, bewegt er sich für seine 2,2 Tonnen ausgesprochen handlich. Zwischenspurts sind mit dem jederzeit voll abrufbaren Drehmoment eine Wonne, und selbst enge Landstraßen mit verzwickten Schikanen nimmt der iPace so schnittig, wie man es von einem Jaguar erwartet.
Zugang zum größten Ladenetz
Nur den Blick auf die Reichweitenanzeige sollte der Fahrer dabei besser nicht riskieren und die Augen lieber auf dem Head-up-Display lassen. Denn während im gesitteten Alltagsbetrieb eine praktische Navigation, ein hohes Maß an Energierückgewinnung, eine intelligente Klimaanlage mit Vorkonditionierung und die aerodynamische Grundform den Aktionsradius bei immerhin rund 300 Kilometern halten, schmilzt dieser bei ambitionierter Fahrweise schnell auf die Hälfte zusammen.
Und wenn der Akku erst einmal leer ist, verliert man viel von der Zeit, die man beim Rasen eingespart hat. Zwar sind die Lithium-Ionen-Zellen an einer – nur selten zu findenden – 100-kW-Station in 40 Minuten zu 80 Prozent voll, und es existiert eine Partnerschaft mit Plugsurfing und damit ein Zugang zum größten Ladenetz im Land, bei dem Jaguar bei jedem Zapfvorgang sogar die erste halbe Stunde Strom spendiert. Doch wer den i-Pace zu Hause einstöpselt, bekommt über Nacht nicht mehr als den Strom für 200 Kilometer in die Akkus.
Am Steuer erlebt man Fahrspaß in einer neuen Dimension. Denn wie bei jedem Elektroauto fühlt es sich eher nach beamen an als nach beschleunigen, wenn man das Pedal durchtritt, weil jede Vibration und jede mechanische Energiequelle fehlen und die Geräuschkulisse eine ganz andere ist – egal, wie der Sound auf dem großen Touchscreen in der Mittelkonsole auch eingestellt wurde. Doch nicht nur der Fahrer muss sich umstellen. Auch die Nachbarn werden am i-Pace ihren Spaß haben. Denn das wütende Knurren von FType oder F-Pace weicht einem sanften Surren, das man nur wenige Meter weit hören kann.
Üppiger Kofferraum
Aber es ist nicht der Antrieb allein, mit dem Jaguar die Kunden in eine neue Welt locken will. Sondern mit der Elektroplattform gewinnen die Briten auch reichlich Platz: Der riesige Radstand und die kompakte Technik ergeben bei 4,68 Metern Länge eine Kabine, die so großzügig bemessen ist, wie man es erst in der nächst höheren Fahrzeugklasse erwartet hätte – reichlich Kofferraum inklusive. So schluckt der i-Pace hinten üppige 656 bis 1453 Liter. Dazu ein modernes Cockpit mit vielen Bildschirmen und wenigen Tasten, eine zeitgemäße Infotainment-Ausstattung und alles an Assistenzsystemen, was das Technikregal hergibt und der Gesetzgeber zulässt – so wird der i-Pace zum zukunftsfähigen Langstreckenflieger für die Autobahn. Selbst wenn Elektroautos nach wie vor im Stadtverkehr sinnvoller aufgehoben sind.
So spektakulär der i-Pace auch fährt, so viel Platz er bietet und so dicht er Tesla auf den Fersen ist, fallen dennoch zumindest ein paar Details auf, über die man in dem Auto stolpert. Denn wenn die Briten sich schon einer kompletten Neuentwicklung rühmen und dafür alle Familienbande zu F-Pace & Co gekappt haben, warum nutzen sie dann den uralten und viel zu klobigen Schlüssel des Range Rovers und haben überall noch Symbole von Land Rover auf Tasten und Schaltern? Weshalb muss man ausgerechnet im ersten voll elektrischen und zumindest in der First Edition bis zum Stehkragen ausgestatteten Jaguar das Lenkrad und die Kopfstützen noch von Hand verstellen? Und bei aller Liebe zur Elektrotechnik: Mittlerweile sind bessere Lösungen für eine beheizbare Frontscheibe bekannt als die Drähte, die im Gegenlicht die Sicht erschweren.
Näher am perfekten Auto
Doch gerade da ist der Blick auf Tesla ein Trost. Denn Model S und Model X haben mit ihrer eher mäßigen Verarbeitungsqualität längst bewiesen, dass Perfektion bei den Elektroautos keine zwingende Voraussetzung für den Erfolg ist. Und gemessen an den Vorreitern aus dem Silicon Valley kommt der i-Pace dem perfekten Auto schon ein gutes Stück näher. In den Nobelvierteln wird es deshalb womöglich bald ein bisschen ruhiger werden. Doch einem gewissen Mr. Musk könnten bald die Ohren sausen.