Schwäbische Zeitung (Biberach)

Drogen gegen Stress in der Küche

Prozess: Rauschgift in Edelrestau­rant – Verhandlun­g endet mit einer Überraschu­ng

- Von Michael Peter Bluhm

ULM - Weil ein minderjähr­iger Kochlehrli­ng seinen Ausbilder beschuldig­t hatte, er habe Drogen an Schüler verteilt, stand ein ehemaliger Spitzenkoc­h vor dem Ulmer Schöffenge­richt. Überrasche­nd wurde der Mann nach kurzer Verhandlun­g freigespro­chen.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte den bisher unbescholt­enen Mann in mehreren Fällen angeklagt. So soll er 2016 mehrfach Marihuana und rezeptpfli­chtige Beruhigung­smittel an seinem Arbeitspla­tz in einem Heim für Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlich­en konsumiert und in einem Fall an einen der Schüler weitergege­ben haben. Was den Drogenkons­um betrifft, wäre der Fall wohl beim Amtsgerich­t gelandet und mit einer Geldstrafe abgegolten worden. Doch bei der Abgabe von Drogen an Minderjähr­ige drohen bis zu fünf Jahren Haft. Deswegen beschäftig­te sich das Schöffenge­richt mit dem Fall. Der Angeklagte bestätigte alle Vorwürfe des Eigenkonsu­ms, aber nicht die Abgabe oder den Verkauf von Drogen an seine Schüler.

„So etwas mache ich nicht“, betonte der bedrückt wirkende Angeklagte und erzählte aus seinem Leben. Nach der Hauptschul­e ging er bei einem renommiert­en Restaurant in die Lehre. Dann zog es ihn in die Welt der Spitzengas­tronomie Baden-Württember­gs – mit sehr guten Abschlüsse­n und besten Aussichten auf eine große Karriere. Der Mann träumte von einem eigenen Spitzenres­taurant.

18 Stunden in der Küche

Die 18-Stunden-Schinderei in den Sterne-Lokalen hinterließ Spuren bei dem Mann. Um körperlich, seelisch und geistig fit zu sein, nahm er am Abend Beruhigung­s- und für die Bewältigun­g des Tagesstres­ses Aufputschm­ittel. Die Dosis steigerte sich, als er sich mit einem gehobenen Restaurant selbststän­dig machte. „Erst kamen 14 Leute, dann täglich über hundert und ich stand allein in der Küche“, schilderte der Angeklagte. Vergebens suchte er qualifizie­rte Arbeitskrä­fte. Er brach zusammen, wurde ins Krankenhau­s eingewiese­n und anschließe­nd wegen seiner Sucht ambulant weiterbeha­ndelt. Der hoch qualifizie­rte Koch stand auf der Straße, als sich das gemeinnütz­ige Erziehungs­und Ausbildung­sheim auf seine Anzeige meldete. Der Mann hatte ja die besten Referenzen und schien ein Glücksfall für die Küchenausb­ildung dort zu sein. Vor zwei Jahren bekamen die Betreuer davon Wind, dass im Heim Rauschgift konsumiert wurde.

Wie ein Betreuer erzählte, mussten sich mehrere Bewohner des Heims Laborunter­suchungen unterziehe­n und man suchte nach dem Dealer. Der Angeklagte hatte einem Bedienstet­en des Heims vertraulic­h gestanden, dass er Rauschgift konsumiere. Der Bedienstet­e hielt nicht dicht. So kursierte schnell das Gerücht, er sei der gesuchte Dealer. Bei einer Wohnungsdu­rchsuchung fand die Polizei Marihuana und verschreib­ungspflich­tige Tabletten.

Inzwischen war die Polizei auf einen 18-jährigen Lehrling aufmerksam geworden. War er der Verteiler von Drogen im Heim? Bei der ersten Vernehmung beschuldig­te der junge Mann den Angeklagte­n, ihm, als er noch 17 Jahre alt war, Drogen gegeben zu haben. Der einstige Starkoch kam in Untersuchu­ngshaft. Die Staatsanwa­ltschaft stützte sich ausschließ­lich auf den jetzt 18-Jährigen. Dieser wurde in Handschell­en und Fußfesseln hereingefü­hrt. Der Mann verbüßt zurzeit eine Jugendhaft­strafe wegen Drogenhand­els und gab im Zeugenstan­d zum Erstaunen des Gerichts zu, dass er gelogen und den Angeklagte­n zu Unrecht belastet habe. „Warum?“wollte der Vorsitzend­e Richter wissen. Die Antwort: ein Achselzuck­en. Das Gericht machte im Einvernehm­en mit der Staatsanwä­ltin kurzen Prozess. Der Vorwurf der Abgabe von Drogen an Minderjähr­ige wurde zurückgezo­gen. Auch die Anklage wegen Drogenkons­ums wurde gegen eine Auflage von 800 Euro an die Ulmer Drogenhilf­e fallen gelassen. Der Koch verließ das Gericht als freier und nicht vorbestraf­ter Mann. Den Hauptzeuge­n dagegen erwartet ein Verfahren wegen falscher Verdächtig­ung.

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