Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mit Löw vorwärts in die Vergangenheit
Der Bundestrainer will das WM-Desaster selbst korrigieren – Rezept dafür fehlt aber noch
MOSKAU/FRANKFURT - Er bleibt, macht weiter. Joachim Löw nimmt die Herausforderung an, will seinen bis 2022 gültigen Vertrag als Bundestrainer erfüllen – trotz des historisch schlechten Ausscheidens bei der WM in Russland.
Nach der Vorrunde war Endstation für den Titelverteidiger, aber nicht für Löw. Sechs Tage nach dem blamablen WM-Aus stieg über der DFB-Zentrale in Frankfurt weißer Rauch auf. Löw will, Löw darf seinen ohnehin bis 2022 laufenden Vertrag weiter erfüllen.
Der 58-Jährige will seinen Weg weitergehen, seine – eine veränderte? – Mannschaft auf die EM 2020 und auf die WM in vier Jahren in Katar vorbereiten. Diesen Entschluss soll Löw der Verbandsführung um DFB-Präsident Reinhard Grindel bereits am Montagabend übermittelt haben. Er fühle sich an seine Verpflichtungen, an sein Arbeitspapier, gebunden. Bereits vor dem Start der WM habe er dem DFB versichert, seine Arbeit unabhängig vom Abschneiden in Russland fortsetzen zu wollen. So berichteten es „Bild“und „Sport Bild“am Dienstag Vormittag als Erste.
Keine wirklichen Alternativen
Am Dienstagvormittag traf sich der Präsidialausschuss des DFB um Grindel, Vizepräsident Rainer Koch und Generalsekretär Friedrich Curtius zu einer kurzfristig anberaumten Sitzung mit Nationalelfdirektor Oliver Bierhoff und Löw. Das Ergebnis barg dann keine Überraschungen mehr. Am Nachmittag ließ Löw verkünden: „Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen, das der DFB weiterhin geschlossen in mich setzt, und ich spüre trotz der berechtigten Kritik an unserem Ausscheiden auch generell viel Rückhalt und Zuspruch.“
Nach dem WM-Aus durch das 0:2 gegen Südkorea hatten sich sowohl Nationalspieler, als auch zahlreiche Trainerkollegen sowie die DFB-Spitze – auch mangels Alternativen – hinter Löw gestellt, die die verbale Front derjenigen, die einen sofortigen Joachim Löw traut sich den Wiederaufbau der Nationalmannschaft zu.
Rücktritt gefordert hatten, war überschaubar gering geblieben. Löw betonte nun: „Meine Enttäuschung ist nach wie vor riesig. Aber ich möchte nun auch mit ganzem Einsatz den Neuaufbau gestalten. Ich werde gemeinsam mit meinem Team analysieren, Gespräche führen und zum Start der neuen Saison die richtigen Schlüsse ziehen. Das alles braucht Zeit, wird aber alles rechtzeitig bis zum Start in die neue Länderspielsaison im September geschehen.“
Dass Löw, seit der Amtsübertragung von Jürgen Klinsmann im Anschluss an die WM 2006 in Deutschland Cheftrainer, einen Kader erneuern und für steten Umbruch sorgen kann, bewies er in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder. Bei allen Turnieren bis zur Vorrundenpleite in Russland führte Löw das DFB-Team mindestens ins Halbfinale. Bei der EM 2008 scheiterte die Nationalelf im Finale an Spanien, bei der WM 2014 in Brasilien führte er sein Team um Kapitän Philipp Lahm zum größtmöglichen Triumph. Dass er einen
Perspektivkader formen und zu Höchstleistungen pushen kann, zeigte der Erfolg beim Confed-Cup 2017.
Den Weitblick hatte er trotz der Fokussierung auf die aktuelle WM stets bewahrt. „In vier Jahren sind Spieler wie Kimmich, Werner, Sane, Süle, Brandt und Goretzka auf dem Zenit ihres Könnens. Das ist für mich spannend und eine reizvolle Aufgabe“, meinte er bereits vor dem WMCrash.
Am 6. September geht’s weiter
Doch wie sieht die Mannschaft der Zukunft aus? Von den neun Weltmeistern von 2014, die Löw mit ins unheilvolle WM-Quartier nach Watutinki genommen hatte, wären 2022 in Katar nur Julian Draxler und Matthias Ginter noch unter 30 Jahre alt. Was aber wird aus Kapitän Manuel Neuer (32) sowie den Führungsspielern Jérôme Boateng (29), Mats Hummels (29), Sami Khedira (31), Toni Kroos (28), Thomas Müller (28) und Mesut Özil (29)? Bislang hat noch keiner – auch Stuttgarts Mario Gomez (32) nicht – seinen Rücktritt erklärt. Boateng erklärte, weitermachen zu wollen.
Doch alle warteten auf Löws Entschluss. Nun ist es wahrscheinlicher, dass das Gros der alternden Ex-Helden mindestens bis zur EM 2020 weitermacht – wenn Löw sie denn lässt. „Es braucht tiefgreifende Maßnahmen, klare Veränderungen“, hatte er betont. Betrifft das seine Arbeitsweise, sein zuletzt angeknackstes Verhältnis zu Teammanager Bierhoff oder seine Personalplanung? Neuer begrüßte die Entscheidung, sagte: „Ich freue mich, dass wir mit Jogi Löw unseren lange Zeit erfolgreichen Weg fortsetzen können. Und ich habe das Vertrauen, dass wir gemeinsam wieder zu unserer Stärke finden.“
Schon am 6. September, 71 Tage nach dem WM-K.o., startet die DFBElf in München mit dem Spiel gegen Frankreich in die neu gegründete Nations League. Drei Tage später steht in Sinsheim das Testspiel gegen Peru an.