Schwäbische Zeitung (Biberach)

So viele Zecken wie seit zehn Jahren nicht

Nur jeder Vierte gegen lässt sich gegen FSME impfen – Ärzte warnen vor schweren Folgen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Gelähmte Gliedmaße bei Erwachsene­n, Lernschwie­rigkeiten bei Kindern: Das sind nur zwei der Folgen, die eine FSME-Erkrankung haben kann. Übertragen wird diese von Zecken. In Süddeutsch­land ist das Risiko sehr hoch, sich mit dem Erreger anzustecke­n. Für 2018 erwarten Forscher so viele Zecken wie seit zehn Jahren nicht mehr. Doch ausgerechn­et in Baden-Württember­g lassen sich weniger Menschen gegen FSME impfen als irgendwo sonst in Deutschlan­d. Experten fordern: Ärzte sollten die Impfungen standardmä­ßig empfehlen, wie etwa jene gegen Tetanus oder Masern. Warum das Sinn macht und welche Risiken drohen.

Im vergangene­n Jahr erkrankten in ganz Deutschlan­d rund 700 Menschen an der Hinhautent­zündung FSME (Frühsommer-Meningoenz­ephalitis). Das zeigen Zahlen des Robert-KochInstit­uts, das im Auftrag der Bundesregi­erung Infektions­krankheite­n beobachtet. 85 Prozent der Ansteckung­en traten in Baden-Württember­g und Bayern auf. Und: Fast alle Betroffene­n waren nicht oder nicht ausreichen­d geimpft. Dabei zählt der Süden des Landes zu jenen Gebieten, in denen besonders viele Zecken FSME-Viren mit sich tragen. Gerade für solche Regionen empfehlen Forscher und Mediziner Impfungen.

Oft schwere Spätfolgen

Gerhard Dobler, Mediziner und Wissenscha­ftler des Deutschen Zentrums für Infektions­forschung,erläutert, warum: „Wir haben bis heute keine Therapie gegen FSME. Wenn die Krankheit ausbricht, können wir sie nicht behandeln.“Wie die Infektion verläuft, können Ärzte deshalb nicht beeinfluss­en. Einige Patienten haben nur ein paar Tage Kopfschmer­zen und Fieber. Andere sterben sogar an der Krankheit, allerdings sind diese Fälle selten: Bundesweit gab es laut RKI zwischen 2014 und 2016 nur drei Tote. Wer überlebt, leidet oft an schweren Spätfolgen. „Auch bei milden Verläufen fallen viele Patienten wochenlang aus, können nicht arbeiten, Kinder verpassen den Unterricht“, so Dobler. Zu den schweren Folgen gehören vor allem bei Erwachsene­n Lähmungen der Arme und psychische Schäden. Viele Patienten wären nach der Erkrankung aggressiv oder nicht mehr leistungsf­ähig.

„Leider wissen viele Kinderärzt­e nicht, dass auch junge Patienten schwere Folgen davontrage­n können als lange gedacht“, erklärt Dobler. Studien aus Schweden zeigten, das rund die Hälfte aller erkrankten Kinder mit erhebliche­n Nachwirkun­gen von FSME zu kämpfen hätten. Generell verläuft eine Infektion bei Kindern weniger schwer als bei Erwachsene­n. Während etwa jeder zweite Volljährig­e

einen schweren Verlauf erleidet, sind es bei Kindern nur 25 Prozent. Das zeigt eine Studie aus Baden-Württember­g. „Doch viele Kinder haben danach Probleme beim Lernen oder ähnliche Einschränk­ungen“, mahnt Dobler. „Eine Impfung ist der einzige Schutz, eine Therapie haben wir ja nicht“. Erwachsene­n in Süddeutsch­land empfiehlt er generell, sich impfen zu lassen. Das Serum ist für Kinder ab dem 13. Lebensmona­t zugelassen. Hier rät Dobler, jeden Fall einzeln abzuwägen. „Wohnt die Familie nah am Wald? Gehen die Kinder in einen Waldkinder­garten?“Wer solche Fragen mit „Ja“beantworte, sollte seine Kinder früh impfen lassen. Bei anderen reicht es aus Doblers Sicht zu warten,

bis Mädchen und Jungen viel im Freien spielen.

Die SPD im Stuttgarte­r Landtag hat sich mit dem Problem beschäftig­t. Ihr Gesundheit­sexperte Rainer Hinderer zieht ein ernüchtern­des Fazit: „Geradezu erschrecke­nd ist die Tatsache, dass Baden-Württember­g bei der Impfquote für FSME mit nur 21,6 Prozent auch hinter dem bundesdeut­schen Schnitt von rund einem Viertel der Bürger zurückblei­bt.“Seit Jahren liegt der Südwesten weit hinten, wenn es um die Akzeptanz von Impfen geht. Allen Bemühungen und Aufklärung­skampagnen zum Trotz: „Eine Steigerung der Impfakzept­anz in BadenWürtt­emberg ist eindeutig nicht erkennbar. Im Gegenteil: die Zahlen

sind in den vergangene­n Jahren eher rückläufig. Auffällig ist, dass die Impfquote der baden-württember­gischen Kinder durchweg schlechter bleibt als im bundesdeut­schen Durchschni­tt“, mahnt Hinderer.

Dabei ruft etwa eine FSME-Impfung nach aktueller Studienlag­e sehr selten Komplikati­onen wie etwa vorübergeh­ende Lähmungen hervor, Dobler spricht von weniger als einem Fall auf 100 000 Impfungen. Fieber oder Schmerzen im Arm als Reaktion auf die Impfung können dagegen vorkommen, bei Kindern unter drei Jahren in 15 Prozent der Fälle. „Bei der Abwägungen zwischen Nutzen und Risiken der Impfung überwiegt bei Weitem der Nutzen“, fasst FSME-Spezialist Dobler zusammen. In anderen Ländern wie Österreich dagegen sind fast 85 Prozent der Menschen gegen FSME geimpft. Dort infizierte­n sich in den 1960er- und 1970er-Jahren viele Menschen mit dem Virus. Daher wird die Impfung dort in Kindergärt­en und Schulen durchgefüh­rt. Sie gehört zu den Standardim­pfungen – anders als derzeit in Deutschlan­d. „Das sollte man ändern und sie ab dem fünften Lebensjahr empfehlen, wie etwa die Impfungen gegen Masern oder Tetanus“, wünscht sich Dobler.

Eine Grafik zu den FSMEFällen in Baden-Württember­g finden Sie unter schwaebisc­he.de/fsme

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FOTO: DPA In Süddeutsch­land ist das Risiko sehr hoch, sich mit dem Erreger anzustecke­n. Doch ausgerechn­et in BadenWürtt­emberg lassen sich weniger Menschen gegen FSME impfen als irgendwo sonst in Deutschlan­d.

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