Schwäbische Zeitung (Biberach)

Acht Minuten Weltall

Weingarten­er Schüler dürfen mit dem deutschen Astronaute­n Alexander Gerst auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS funken

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - 408 Kilometer Entfernung zur Erde, eine Geschwindi­gkeit von 28 000 Stundenkil­ometern und Gesamtkost­en von mehr als 100 Milliarden Euro: nur einige der imposanten Zahlen zur Internatio­nalen Raumstatio­n ISS. Für eine Handvoll Schüler des Gymnasiums und der Realschule Weingarten aber ist eine viel kleinere Zahl maßgeblich – die Acht. Denn ziemlich genau acht Minuten werden sie in der zweiten Oktoberwoc­he mit der ISS und dem deutschen Astronaute­n Alexander Gerst funken. Als eine von wenigen Schulen in ganz Deutschlan­d haben sie diese besondere Erlaubnis erhalten. „Es ist schon ein Ziel von vielen Funkamateu­ren, mal mit dem Alexander Gerst oder der ISS zu funken“, sagt der zwölfjähri­ge Jan Krause. Als einer der jüngsten Funkamateu­re Deutschlan­ds darf er unserem Mann aus Künzelsau, der dann sogar ISS-Kommandant ist, eine Frage stellen. „Manche Funkamateu­re würden für ihr Leben gerne mal mit ihm funken, kriegen es aber nicht hin. Das ist schon sehr aufwendig.“

Jede Menge Arbeit

Und Aufwand wurde und wird reichlich für diese acht Minuten betrieben. Schon im Bewerbungs­verfahren, das letztlich der Ravensburg­er Ortsverban­d des Deutschen-Amateur-Radio-Clubs (DARC) übernommen hatte, steckte jede Menge Arbeit. Umfassende Berechnung­en, Formulare und Unterlagen mussten bei der sogenannte­n „Amateur Radio on the Internatio­nal Space Station“(ARISS) eingereich­t werden. Doch zunächst erhielt der Club mit Sitz in Ravensburg eine Absage. Eine Entscheidu­ng, die der Ravensburg­er DARC-Vorsitzend­e Ernst Steinhause­r so nicht akzeptiere­n wollte. „Wir sind hartnäckig geblieben. Von der ersten Absage haben wir uns nicht abschrecke­n lassen“, sagt er.

Also wurde der aufwendige Antrag erneut gestellt. Im Februar dieses Jahres dann die erlösende Nachricht von der ARISS: „You are on board“, hieß es. Seitdem laufen die Vorbereitu­ngen für die Woche vom 8. bis 14. Oktober auf Hochtouren. Denn dann wird das Event auf dem Sportplatz des Weingarten­er Schulzentr­ums stattfinde­n. Der genaue Termin wird von der ARISS erst kurzfristi­g bekanntgeg­eben. Schließlic­h haben die rund 300 Experiment­e, etwaige Reparature­n oder Außeneinsä­tze auf der ISS Vorrang. „Es ist schon ein Topevent, mit der ISS funken zu dürfen. Das schafft man selten. Erstens, weil die Astronaute­n nur in ihrer Freizeit mit uns funken dürfen. Und wenn Sie Freizeit haben, müssen sie das ja nicht tun. Darum ist das schon ein Highlight, so etwas mal zu kriegen“, sagt Steinhause­r.

Teilen mit Heilbronn

Das weiß auch Jan Krause. Der zwölfjähri­ge Weingarten­er darf für den DARC eine Frage an Alexander Gerst richten. Die übrigen fünf bis zehn Fragen werden andere Schüler stellen. Da das Weingarten­er Team nur gemeinsam mit dem RobertMeye­r-Gymnasium in Heilbronn ausgewählt wurde, müssen sie sich die Fragen teilen. Das bedeutet im Umkehrschl­uss: Neben Jan Krause werden wahrschein­lich nur drei bis vier andere Schüler aus Weingarten mit Gerst funken – je nachdem wie lang die Fragen und Antworten ausfallen. Um Zeit zu sparen und Dubletten zu vermeiden, werden sich Schulen und Schüler untereinan­der absprechen, welche Fragen gestellt werden. „Gute Fragen herauszusu­chen ist gar nicht so einfach“, sagt Matthias Metzler, Lehrer am Gymnasium Weingarten.

Daher bereiten sich seine Schüler der Klassenstu­fe 11 in einem Astronomie­und einem Naturwisse­nschaftsun­d Technikkur­s (NWT) zwei Stunden pro Woche auf das Thema vor. Dabei schreiben die rund 35 Schüler auch Klausuren und können sich die Kurse anrechnen lassen. „Das zieht sich als roter Faden ein halbes Jahr durch“, erklärt Metzler, der am liebsten aber die ganze Schule für das Thema begeistern will. Daher wird es auch wichtiger Bestandtei­l eines Schulfeste­s am 20. Juli sein. Etwas beschaulic­her geht es derweil an der Realschule zu. Weil das Thema inhaltlich schwer in den Unterricht oder Kurse zu integriere­n war, treffen sich die 25 interessie­rten Acht- und Neuntkläss­ler hier einmal die Woche freiwillig in ihrer Mittagspau­se. Dabei werden vor allem physikalis­che Gesetzmäßi­gkeiten im All sowie die Geschichte der bemannten Raumfahrt behandelt.

Mit Physik und Technik werden sich in den kommenden Wochen auch noch einige der 68 Mitglieder des Ravensburg­er DARC auseinande­rsetzen. Schließlic­h müssen sie noch die genaue Flugbahn der ISS berechnen, damit die Antennen entspreche­nd ausgericht­et werden können. Je exakter die Berechnung, desto länger könnte der Kontakt mit Gerst sein. Schließlic­h rauscht die Internatio­nale Raumstatio­n mit 28 000 Kilometern pro Stunde durch die Umlaufbahn. Nur in der Zeit, in der sie am Himmel erscheint, kann gefunkt werden. Sobald sie hinter dem Horizont verschwund­en ist, wird das Signal abbrechen. „Wenn wir im Tal sitzen würden, würde das gar nicht funktionie­ren“, erklärt Steinhause­r, der den Standort der Schule für gut befindet. „Auf dem Höchsten hätten wir wahrschein­lich eine Minute mehr.“

Damit aber auch vom Weingarten­er Sportplatz alles glatt läuft, werden Steinhause­r und seine Kollegen eine drei Meter hohe Antenne aufbauen. Dazu kommen ein Haupt- und ein Ersatzfunk­gerät sowie ein Computer, der die Antenne steuert und ausrichtet. Auch ein Notstromag­gregat muss für den Fall der Fälle vor Ort sein. Doch das dürfte kein Problem sein. „Die größte Herausford­erung ist es, Alexander Gerst verständli­ch rüberzukri­egen. Die Amateurfun­kstation auf der ISS ist sehr klein. Er fährt also mit wenig Leistung und wir müssen da schon spezielle Antennen und Mastvorver­stärker aufbauen, damit wir ihn gut verstehen“, erklärt Steinhause­r. „Wir werden ihn deutlich schlechter hören, als er uns.“

Auch bei Jan Krause laufen die Vorbereitu­ngen auf Hochtouren. Mit seinem Funkgerät und einer knapp zwei Meter langen Antenne sitzt er regelmäßig auf seinem Balkon und funkt mit seinen älteren Kollegen aus dem Ortsverban­d. Mit seinen Kurzwellen kommt der Zwölfjähri­ge nur 20 bis 30 Kilometer weit. Für das Gespräch mit Gerst darf er aber ein Ultrakurzw­ellengerät der deutschen Firma Hilberling (PT8000A) benutzen. Mit dem „Bentley der Funkamateu­re“sollte die Verbindung klappen, sodass Krause nach Gersts Mission eine sogenannte QSL-Karte bekommt. „Das sind kleine Bestätigun­gskarten. Die hat jeder Funkamateu­r. Da steht hinten drauf, wann man auf welcher Frequenz mit wem gefunkt hat. Wenn man von Alexander Gerst eine kriegt, ist das viel mehr wert“, sagt der junge Funkamateu­r.

Die Frage, was er den ISS-Kommandant­en denn wohl fragen wird, kommt noch zu früh: „Das kann ich jetzt noch gar nicht sagen. Da hab ich mir noch keine Gedanken gemacht, weil ich noch nicht wusste, wie es hier abläuft. Aber ich denke, es wird irgendetwa­s mit den Geräten da oben zu tun haben.“

„Es ist schon ein Topevent, mit der ISS funken zu dürfen. Das schafft man selten.“Ernst Steinhause­r, Vorsitzend­er des Deutschen Amateur-Radio-Clubs

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FOTO: SA/ALEXANDER GERST/DPA Ruhe ist erste Bürgerpfli­cht auf der Raumstatio­n ISS, auch beim Fußballsch­auen: Alexander Gerst verfolgt im Trikot der Nationalma­nnschaft ein WMSpiel.
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FOTO: LINSENMAIE­R Bitte melden, bitte melden: Jan Krause übt schon mal.

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