Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ehrenamtli­che fürchten den Datenschut­z

In vielen Selbsthilf­egruppen ist wegen der EU-DSGVO die Sorge vor Bußgeldern groß – Wie begründet ist das?

- Von Sebastian Heinrich

RAVENSBURG - Drei volle Arbeitstag­e hat sie ihn gekostet, sagt Ernst Ammann. Drei Tage, in denen er über Broschüren und Leitfäden gebrütet hat, in denen es ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben hat. Sie, das ist die Europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung, kurz EUDSGVO. Das Gesetz, das seit Ende Mai wirksam ist, ist für die einen ein riesiger Fortschrit­t für den Datenschut­z. Für die anderen aber ist es ein gigantisch­es Ärgernis. Zu letzterer Gruppe gehört Ernst Ammann. Ammann ist seit Januar 2015 Leiter einer Selbsthilf­egruppe für ParkinsonK­ranke in Lindau. In Ammanns Gruppe treffen sich Menschen, die an der unheilbare­n Nervenkran­kheit leiden, sie erzählen von ihren Beschwerde­n, geben sich Tipps und Unterstütz­ung. Informatio­nen, wie sie sensibler kaum sein könnten. Genau solche Informatio­nen soll die EU-DSGVO besser schützen. Doch für Ammann ist das Gesetz vor allem eines: „eine Ungeheuerl­ichkeit“.

„So legen wir das Ehrenamt tot“

Er ärgert sich über die „vergeudete­n Stunden“ehrenamtli­cher Arbeit für die EU-DSGVO. Vergeudet, weil er sie lieber mit der Beratung der Selbsthilf­egruppen-Mitglieder verbracht hätte, sagt Ammann. Die Dokumentat­ionspflich­t bereitet ihm

Bauchschme­rzen: Dass er nun festhalten muss, welche Daten er über wen zu welchem Zweck gespeicher­t hat – und den Eigentümer­n der Daten auf Anfrage darüber Auskunft geben muss. Die „Abmahnanwä­lte“, wie er sie nennt, machen ihm Angst: Ammann fürchtet, dass ihn einer davon „abzocken“könnte, weil er Daten nicht gesetzestr­eu verarbeite­t hat. Und dann sind da die Bußgelder: In Artikel 83 der EU-DSGVO ist von Geldbußen bis 20 Millionen Euro bei Verstößen gegen das Gesetz die Rede. Was passiert, fragt sich Ammann, wenn er mit seinem Privatverm­ögen haften muss, weil er nicht alle Auflagen erfüllt hat? Er sagt: „So legen wir das Ehrenamt in Deutschlan­d tot.“

Ammanns Sorgen teilen offenbar viele Ehrenamtli­che in Selbsthilf­egruppen. Bei der LAG etwa, der Landesarbe­itsgemeins­chaft Selbsthilf­e

behinderte­r Menschen in BadenWürtt­emberg, heißt es, ein Fünftel der 56 Mitgliedsg­ruppen hätten sich schon gemeldet wegen Anfragen zur EU-DSGVO, zur Protokolli­erungspfli­cht, zur korrekten Sicherung und Verschlüss­elung der Daten. Bei der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Selbsthilf­e, unter deren Dach sich Gruppen für chronisch Kranke, Behinderte und deren Angehörige in ganz Deutschlan­d organisier­en, ist von zwei bis drei Anfragen pro Tag die Rede. Die DSGVO, sagt die Sprecherin eines bundesweit­en Selbsthilf­egruppen-Dachverban­ds, „blickt kein Mensch“. Gerade für Menschen mit Beeinträch­tigung sei das Gesetz kaum verständli­ch.

Aber wie berechtigt ist die Angst der Selbsthilf­egruppen vor der Datenschut­zgrundvero­rdnung?

Michael Goetz sagt: „Ich sehe die

Gefahr nicht als sehr groß an.“Goetz ist Rechtsanwa­lt, seit Jahrzehnte­n beschäftig­t er sich mit Datenschut­z im sozialen Bereich. Seit Wochen hält Goetz, der im hessischen Stadtallen­dorf arbeitet, in ganz Deutschlan­d Vorträge zur Auswirkung der EU-DSGVO auf Selbsthilf­egruppen. Seine Einschätzu­ng: Bei der Protokolli­erung dürften die Verantwort­lichen in den Selbsthilf­egruppen auf der sicheren Seite sein, wenn sie Vertraulic­hes aus den Gruppensit­zungen auch vertraulic­h behandeln – und wenn sie immer um Erlaubnis bitten, bevor sie eine Informatio­n zu einer Person veröffentl­ichen. „Sehr, sehr vorsichtig“, sagt Goetz, sollten die Gruppen bei der Weitergabe von Daten sein – vor allem, falls sie in irgendeine­r Form mit Pharmaunte­rnehmen zusammenar­beiten. Sollte die Selbsthilf­egruppe eine Webseite haben, rät er dazu, dort eine Datenschut­zerklärung zu veröffentl­ichen. Und er rät davon ab, vertraulic­he Informatio­nen zur Gruppe über Privatnach­richten auf Diensten wie WhatsApp weiterzuge­ben.

Wie groß ist das Abmahn-Risiko?

Zum Abmahn-Risiko für Selbsthilf­egruppen sagt Goetz: „Da sehe ich keine allzu große Gefahr.“Sogenannte Abmahn-Anwälte gingen Verletzung­en im Wettbewerb­srecht nach – ein Bereich, der wohl nicht betroffen sei von der EU-DSGVO. Und der mit Selbsthilf­egruppen gar nichts zu tun habe. Und auch in Sachen Geldbußen gibt Goetz weitgehend Entwarnung: Für die Sanktionen zuständig wären die Datenschut­zbeauftrag­ten der Länder. Und die hätten zuletzt immer wieder betont, dass sie gerade bei kleineren Unternehme­n und Organisati­onen beratend tätig sein wollen. Es gebe bisher „so gut wie keine“Verfahren wegen Datenschut­zverstößen im sozialen Bereich. Und das, sagt Goetz, werde sich wohl auch künftig nicht ändern.

Einen Fortschrit­t in Sachen DSGVO wünschen sich übrigens sowohl Rechtsanwa­lt Goetz als auch der Lindauer Selbsthilf­egruppenLe­iter Ammann: Dass der Bundestag über nationale Regeln DSGVO-Bußgelder gegen Ehrenamtli­che ausdrückli­ch ausschließ­t. Und beide werfen den Verantwort­lichen in Politik und Verbänden eines vor: dass sie die Öffentlich­keit nicht viel früher aufmerksam gemacht hätten über die Folgen der EU-DSGVO. Denn in Kraft getreten ist das Gesetz schon im Jahr 2016 – zwei Jahre also, bevor es Ende Mai wirksam wurde.

Was der politische Vater der EUDSGVO im Europaparl­ament zu den Ängsten von Selbsthilf­egruppen sagt, wäre vermutlich auch interessan­t. Doch der Grünen-Europaabge­ordnete Jan-Philipp Albrecht fand trotz mehrfacher Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“keine Zeit, über das Thema zu sprechen.

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FOTO: DPA In kaum einem Bereich werden so sensible Daten verarbeite­t wie in Selbsthilf­egruppen. Im Bild die Teilnehmer­in einer Selbsthilf­egruppe für Osteoporos­e-Patienten.
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FOTO: GOETZ Rechtsanwa­lt Michael Goetz berät Selbsthilf­egruppen zum Datenschut­z.

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