Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zum Geburtstag viel Kritik

Horst Seehofer, die Asylfrage und die Generaldeb­atte im Bundestag – Opposition prangert Chaos an

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - „Chaos“, „Narrenhaus“„Trauerspie­l“– der Koalitions­streit der vergangene­n drei Wochen ist bei der Generaldeb­atte im Bundestag von AfD, FDP, Linken und Grünen scharf kritisiert worden. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), der in der ersten Reihe neben Kanzlerin

Angela Merkel

(CDU) saß, muss an seinem 69. Geburtstag nicht nur viele Hände schütteln, sondern auch viel

Kritik anhören.

Die Kanzlerin macht in ihrer Rede das, was sie sonst nur sehr spärlich tut: Sie erklärt ihre Politik. Ludwig Erhard habe schon vor 55 Jahren gesagt, dass die Welt zu integriert sei, als dass jede Nation ihr eigenes Schicksal gestalten könne. Für Merkel gilt das auch in der Flüchtling­sfrage, von der Verstärkun­g des EU-Außenschut­zes durch Frontex bis zum neuen Pakt mit Afrika. Sie will den Schengen-Raum erhalten, „aber es kann nicht sein, dass Flüchtling­e bestimmen, wo ihr Asylverfah­ren bearbeitet wird“.

Und da Generaldeb­atten immer ein Querfeldei­nlauf über alle wichtigen Politikfel­der sind, lobt Merkel die niedrige Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d, die deutlichen Steigerung­en für Rentner sowie das Baukinderg­eld, um zum Schluss zu kommen: „Die Koalition arbeitet.“

Lindner sieht Stagnation

Ganz anderer Ansicht ist da FDPFraktio­nschef Christian Lindner. Dieser wirft der Bundesregi­erung große Versäumnis­se vor. Im Herbst 2015 habe man erstmals von SoftwareMa­nipulation­en bei Dieselauto­s gehört, doch bis heute wüssten die Menschen nicht, ob sie in die Städte fahren können. Für Schulen gebe es seit 2015 den Digitalpak­t, ohne das Mittel bereitgest­ellt seien. Deutschlan­d müsse die Wohlstands­stagnation überwinden. Und natürlich den Bürgern Steuern erlassen.

Lindner hakt am kritischen Punkt des Asylkompro­misses ein, den Verhandlun­gen mit den Nachbarlän­dern. „Seehofer soll erreichen, was Merkel nicht schaffte. Ich glaube, im Kanzleramt biegen sie sich vor Lachen“, so Lindner. Der Kompromiss sei „in Wahrheit ein Waffenstil­lstand, keine Lösung“. Lindner schlägt vor, parteiüber­greifend einen deutschen Migrations­konsens zu schaffen wie damals beim Asylkompro­miss. Man solle Parteilini­en verlassen und neu denken.

SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles hängt die Auseinande­rsetzung um den Asylkompro­miss tief. Schon nach einer Sondersitz­ung der SPD-Fraktion am Morgen sagt sie, die SPD habe ihren eigenen Fünf-Punkte-Plan, sie lehne geschlosse­ne Transitzen­tren ab und sei ansonsten offen für Verhandlun­gen. Als Unionsfrak­tionschef Volker Kauder sagt, es gehe ja nicht um Lager mit Stacheldra­ht, sondern um Unterkünft­e für Flüchtling­e, hält die Grüne Annalena Baerbock ihren Kollegen triumphier­end die „Bild“-Zeitung hin, in der InnenStaat­ssekretär Stephan Mayer (CSU) erklärt, man könne sich innerhalb der Zentren frei bewegen, aber „niemand darf da raus“. Der Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert twittert: „Knast mit Hofpause.“

Nahles geht jedoch darauf nicht ein, sondern legt einen Schwerpunk­t auf alles, was die Fraktion schon erreicht habe, von der Wiederhers­tellung der Parität bei den Krankenkas­sen bis zur Rückkehrmö­glichkeit von Teilzeit in Vollzeit. Man habe keinen schlechten Start gehabt, aber die Regierungs­arbeit sei ins Stottern geraten. „Die SPD erwartet, dass es jetzt vorangeht.“

Dietmar Bartsch von den Linken knöpft sich Seehofer vor. Eine SechsProze­nt Partei erpresse ganz Europa, meint er. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter spricht davon, dass „machtverse­ssen und machtverge­ssen“ein Chaos inszeniert wurde. Das größte Problem in Bayern sei laut einer Umfrage die CSU.

Seehofer hört sich alles mit unbewegter Miene an. Doch er weiß, dass es schwierig wird, die SPD, die sich gegen geschlosse­ne Lager ausgesproc­hen hat, für Transitzen­tren zu gewinnen. Es wird noch gerungen werden, wie diese genau aussehen könnten. Und noch schwierige­r dürfte sein Besuch am Donnerstag bei Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz werden, der von einem Asylkompro­miss zulasten Österreich­s nichts hält.

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FOTO: DPA Christian Lindner
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FOTO: DPA Horst Seehofer

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