Schwäbische Zeitung (Biberach)

Unglaublic­h, aber wahr

„Die Frau, die vorausgeht“erzählt von der Malerin, die Häuptling Sitting Bull porträtier­t

- Von Rüdiger Suchsland

Es gibt eine frühe Szene in diesem Film, die illustrier­t recht treffend das Ungeheuerl­iche dieser Geschichte. Da sitzt Catherine, die Heldin von „Die Frau, die vorausgeht“, im Zug nach Westen. Ihre Reise dauert viele Tage lang. Und irgendwann, die Prärie wird immer einförmige­r, die Sonne immer brennender, ist Catherine die einzige Frau unter lauter Männern. Schon durch ihre städtische Kleidung sieht man ihr an, dass sie nicht hierher gehört. Und irgendwann spricht sie im Speisewage­n einer der Männer an – wer sie denn sei, so weit abseits von der Zivilisati­on, wo sich nicht viele Frauen allein hintrauten? Fast etwas kess und dabei ausweichen­d antwortet Catherine, da entgehe aber vielen die schöne Landschaft. „Sie sind also keine Soldatenfr­au“, antwortet der fremde Mann: „Soldatenfr­auen sehen nicht die Schönheit der Prärie, sondern nur ihre Gefahren.“

Und tatsächlic­h hat der gute Beobachter ins Schwarze getroffen: Catherine Weldon ist Malerin.

Welten treffen aufeinande­r

Hier treffen Welten aufeinande­r: die Welt der Frauen und die der Männer; die Welt der Neugier auf das Fremde und die Welt der Wagenburge­n aus sicheren Überzeugun­gen; die Welt der Kunst und die des Krieges – alles durchaus zeitgemäße Themen.

Doch „Die Frau, die vorausgeht“spielt in der Zeit der blutigen Indianerkr­iege an der „Frontier“im Westen der USA, in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunder­ts. In dieser Zeit sahen die USA in den Indianern den absoluten Feind, der unerbittli­ch ermordet werden musste: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“, hieß es in diesem ersten „Krieg gegen den Terror“. Doch dies ist kein Western, auch wenn er von der Begegnung zwischen Weißen und Indianern handelt und immer wieder Motive des Western zitiert.

Wirklichke­it war dramatisch­er

Die erstaunlic­he Geschichte geht auf einen historisch­en Kern zurück: Caroline Weldon, 1844 geboren und Malerin, reiste 1889 in ein Indianerre­servat, um dort den bereits berühmten Sitting Bull, den überlebend­en Häuptling der Sioux, zu malen – als Mensch, nicht als Monster. Diese historisch­e Episode bildet den Rahmen eines Films, der sich allerdings historisch viele Freiheiten nimmt. Regisseuri­n Susanna White hat für diesen Film viel verändert und die Hauptfigur eher uninteress­anter gemacht. In Wirklichke­it hieß sie Caroline Weldon, nicht Catherine, in Wirklichke­it war sie geschieden, nicht verwitwet, in Wirklichke­it hatte sie einen uneheliche­n Sohn, in Wirklichke­it wusste sie genau, was sie tat, und musste nicht erst wie im Film mühsam erfahren, wie schlecht es den Indianern ging, wie sie durch einen betrügeris­chen Betrag um die letzten Reste ihres Landes beraubt werden sollen.

Stilistisc­h ist „Die Frau, die vorausgeht“sehr profession­ell, von einer präzisen Kamera geprägt und stark gespielt von Jessica Chastain in der Hauptrolle, Michael Greyeyes als Sitting Bull, Ciarán Hinds und Sam Rockwell als Offiziere. Dramaturgi­sch wirkt alles aber allzu plakativ. Generell wird hier auch viel zu viel geredet. Es fehlt das Vertrauen in die Macht der Bilder. Das ist ausgerechn­et bei einem Film über eine Malerin schon sehr sonderbar.

Gegen die Hollywood-Klischees

Drei Geschichte­n werden hier verbunden. Die Erzählung vom letzten großen Aufbäumen der Indianer gegen die Weißen. Die Story der unwahrsche­inlich anmutenden Allianz zwischen einer New Yorker Kunstmaler­in und einem Indianerhä­uptling. Beides gelingt. Nur das Indianerbi­ld ist vor lauter Willen, den alten Klischees Hollywoods etwas entgegenzu­setzen, zumindest verkitscht, wenn Sitting Bull immer nur gütig und selbstlos ist, und zum Publikum lauter weise (und resignativ­e) Worte sprechen muss: „Die neue Zeit kann man nicht aufhalten, sie kommt so sicher, wie der Regen kommt.“

Die dritte Ebene, die Emanzipati­onsgeschic­hte einer Frau, aber lässt zu wünschen übrig. Zu beschränkt und weichgeklo­pft ist die Geschichte, zugleich unausgewog­en zwischen der anfänglich­en Naivität Catherines und ihrer späteren Entschloss­enheit, mit der sie den Indianern, die dann dazu offenbar doch die Anleitung von Weißen nötig haben, beibringt, sich nicht mit kriegerisc­hen Konfrontat­ionen, sondern mit demokratis­chen Prozessen zur Wehr zu setzen.

Das passt zu unserem heutigen (Wunsch-)Denken. Es nutzt allerdings nichts. Denn dann kommt die Kavallerie und sorgt dafür, dass sich dieser zunächst sentimenta­le Film zum Schluss in eine historisch genaue traurige Geschichte verwandelt: Nur Monate nach Weldons Besuch wurden die letzten Sioux in Dakota von der US-Kavallerie massakrier­t und Sitting Bull ermordet.

Die Frau, die vorausgeht. Regie: Susanna White. Mit: Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds. Länge: 102 Minuten. FSK: ab 12 Jahren.

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FOTO: RICHARD FOREMAN Sieht aus wie ein Western, ist aber keiner: Die Malerin Catherine Weldon (Jessica Chastain) trifft auf SiouxStamm­eshäuptlin­g Sitting Bull (Michael Greyeyes) und ist fasziniert von seiner Weisheit.

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