Schwäbische Zeitung (Biberach)
Regeln behindern Bürgerengagement
Regierungspräsident Klaus Tappeser besucht die Riedlinger Seniorengenossenschaft
RIEDLINGEN - Regierungspräsident Klaus Tappeser hat sich auf Einladung der Riedlinger Seniorengenossenschaft über die Arbeit der Selbsthilfeorganisation informiert. Zugleich tauschte er sich mit den Verantwortlichen über „Bedeutung von bürgerschaftlichem Engagement für die Zukunft unserer Gesellschaft“aus. Dabei wurden auch Hemmnisse und bürokratische Regelungen beklagt.
Es sei wie Heimkommen, sagte Tappeser. Riedlingen habe er als ExSaulgauer nie aus dem Blick verloren. Als kleiner Bub fuhr er extra nach Riedlingen, um die Weihnachtsbeleuchtung zu bestaunen. In den Neunzigern erkannte er als Sozialdezernent in der noch jungen Seniorengenossenschaft ein „leuchtendes Vorbild des genossenschaftlichen Gedankens“. Nun tauschte sich Tappeser auf Einladung der Seniorengenossenschaft mit dem Vorsitzenden der Seniorengenossenschaft Josef Martin sowie dem Einrichtungsleiter Michael Wissusek, zugleich Pflegedienst- und Abteilungsleiter und Vorstandsmitglied, aus. Zu Gast war auch Bürgermeister Marcus Schafft.
Josef Martin wies auf die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements hin in Zeiten des demografischen Wandels. Bürgerschaftliche Hilfe als Ausgleich für nicht mehr vorhandene Familienstrukturen könne nur gelingen, wenn Bürger sich zu Verbünden zusammenschlössen. Doch solche Selbsthilfeorganisationen erfordern eine hohe Motivation. Einschränkungen bei der Selbstgestaltungsmöglichkeit, Vorgaben bezüglich der Qualifizierung oder die Pflicht zu Schulungen seien alles Hemmnisse – auch um helfende Hände zu gewinnen, so Martin.
Angebot muss bezahlbar sein
Seine 30-jährige Erfahrung zeige zudem: eine Aufwandsentschädigung für bürgerschaftliches Engagement sei zwingend. Auch der Begriff „Ehrenamt“muss aus seiner Sicht neu definiert werden. Das Dienstleistungsangebot sollte für den Empfänger bezahlbar sein. Eine Aufwandsentschädigung dürfe nicht dem Mindestlohn unterworfen sein. Man bedenke die Einkommenssituation insbesondere bei älteren Frauen. Etwa 800 Menschen in Riedlingen erhielten Grundsicherung.
Um steigender Nachfrage gerecht zu werden, sollte die Übungsleiterpauschale angehoben werden, bisherige Freigrenzen seien nicht mehr ausreichend. „Rechtliche Klärungen sind überfällig in Bezug auf die unverzichtbaren Begleit- und Fahrdienste gerade auf dem Lande. Diese sollten für Bürger praktikabel und akzeptabel sein!“, äußerte Martin. Er wünscht sich, aufgrund des Fachkräftemangels, eine verstärkte Einbindung bürgerschaftlicher Helfer. Im Tagespflegebetrieb stünde nicht die Pflege, sondern die Beschäftigung und Gestaltung des Alltags der Gäste im Vordergrund. Bei geringeren Kosten könnte so die Aufenthaltsqualität für die Gäste sogar verbessert und auch das Fachpersonal ohne jegliche Qualitätsminderung entlastet werden.
Martin sprach auch das Thema „Grundpflege“an. Die Behandlungspflege obliege natürlich weiterhin den Profis. Bei der Grundpflege gebe es jedoch viele Bereiche, die auch von Personen ohne Fachkraftausbildung übernommen werden könnten. Ähnlich der Nachbarschaftspflege durch Privatpersonen, die ohne Einschränkungen umgesetzt werden könne.
„Nicht nur Satt- und Sauberpflege brauchen die Menschen, auch Zuwendung gegen die Einsamkeit muss angegangen werden“– das war dem Regierungspräsidenten ein Anliegen. Die Bedarfsdeckung habe Priorität, so Martin. Dort wo Menschen nicht pflegerisch eingestuft seien, könne geholfen werden, ohne den Nachweis einer dreijährigen Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Auch könnten noch mehr Gäste in der Tagespflege aufgenommen werden, wären da nicht die unrealistischen vorgeschriebenen 16 Quadratmeter pro Tagesgast. Dienstleistungsanbieter kommen in die Klemme, Leistungen können mangels Personal oder fehlender sachlicher Voraussetzungen nicht mehr erbracht werden. Hilfsbedürftige bleiben somit auf der Strecke. Änderungen sind also dringend erforderlich.
Regierungspräsident Tappeser wertete den Aufenthalt bei der Seniorengenossenschaft „als absolutes und beeindruckendes Highlight“. Er habe auch Neues erfahren, wie etwa, was sich hinter dem Begriff Demenzlotse verberge. Klaus Tappeser gratulierte zur zukunftsorientierten Arbeit und lobte vor allem das Engagement des junggebliebenen Vorsitzenden „mit Biss“, Josef Martin.