Schwäbische Zeitung (Biberach)

Vorbeiwink­en war gestern

In Spielberg hat Ferrari all die eines Besseren belehrt, die Stallregie befürchtet­en

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SILVERSTON­E (SID/sz) - Manchen erschien es wie eine Zeitenwend­e: Ferrari als Hüter von Fairness und Moral, ausgerechn­et die Scuderia verzichtet auf eine Stallorder – und damit auf wichtige WM-Punkte für Sebastian Vettel. Das rief sogar die ergraute Eminenz der Formel 1 noch mal auf den Plan. „An Ferraris Sportsgeis­t“, sagte Bernie Ecclestone, „können sich alle ein Beispiel nehmen.“Vor dem Großen Preis von Großbritan­nien (Sonntag, 15.10 Uhr MEZ/RTL) scheint das Team aus Maranello mit alten Gewohnheit­en zu brechen, mitten im WM-Kampf mit Mercedes und Lewis Hamilton. Am vergangene­n Wochenende durfte Kimi Räikkönen den selbst erkämpften zweiten Platz doch tatsächlic­h behalten, der Finne musste seinen Teamkolleg­en Vettel nicht passieren lassen, obwohl der um die Weltmeiste­rschaft kämpft.

Und Ecclestone, langjährig­er Chef der Königsklas­se, lässt die Roten hochleben. „Es wäre einfach gewesen, Vettel kurz vor Schluss vorbeizuwi­nken“, sagte der 87-Jährige der „Sport Bild“: „Aber Ferrari verzichtet­e darauf. Damit hielten sie nicht nur die sportliche Fairness hoch, sondern auch die Moral von Kimi.“Auch die Fragen an alle Hauptdarst­eller drehten sich nach dem Grand Prix in Österreich auffällig um den Verzicht auf eine Stallregie. Denn Ferrari hat mit dieser Entscheidu­ng eine drängende Frage beantworte­t: Wie weit wird das Team gehen, um Vettel den Weg zu seinem fünften WM-Titel zu ebnen?

Das Thema „Stallorder“ist ohnehin fest mit Ferrari verknüpft, dafür haben die Italiener selbst gesorgt. „Let Michael pass for the championsh­ip“– diese Worte des damaligen Teamchefs Jean Todt sind fast legendär, sie stehen bis heute exemplaris­ch für die skandalöse Bevorzugun­g von Fahrer A vor Fahrer B, für falsches Spiel vor aller Augen. 2001 und 2002 wurde Michael Schumacher auf recht plumpe Art an Teamkolleg­e Rubens Barrichell­o vorbeigewu­nken. Jeweils ausgerechn­et in Österreich.

Und auch seit Sebastian Vettel 2015 zu Ferrari wechselte, ist offensicht­lich, dass der Deutsche die Hoffnungen der Scuderia auf den ersten Fahrertite­l seit 2007 trägt – und der treue Räikkönen, der vor elf Jahren just diese WM gewann, eben nur (noch) ein Edelhelfer ist. So erhielt der Finne durchaus schon die nachteilig­e, riskantere Strategie und wurde deshalb von Vettel überholt. Das ist deutlich subtiler, aber eben auch wirksam.

Schlimmere­s schien daher durchaus möglich in Silverston­e. Dass Ferrari nun aber der Verlockung eines Platztausc­hes auf der Strecke widerstand, ist eine sehr gute Nachricht für die Formel 1. Würden die Italiener, wie einst, schon zur Saisonhalb­zeit auf dieses letzte Mittel zurückgrei­fen, läge bereits jetzt ein dunkler Schatten über der eigentlich hochspanne­nden Saison. „Für den ganzen Sport, die Fahrer und auch die Fans wäre es eine brutale Entscheidu­ng gewesen“, sagt auch Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff, der aber „nicht überrascht“war: „Wir hätten es auch nicht getan.“

Sebastian Vettel führt vor Lewis Hamiltons Heimspiel in Silverston­e nun also mit nur einem Punkt Vorsprung auf den Engländer das WMKlasseme­nt an. Es könnten vier sein.

Doch wenn Vettel im Herbst tatsächlic­h den WM-Pokal in Empfang nehmen sollte, wäre der Triumph auf diese Weise umso mehr wert.

Die anhaltende sportliche Krise beim Formel-1-Team McLaren hat personelle Konsequenz­en. Rennleiter Eric Boullier trat wegen der zunehmende­n Kritik von seinem Posten zurück. Boullier war vor vier Jahren von Lotus zu McLaren gewechselt und galt zuletzt zunehmend als Verantwort­licher für die ausbleiben­den Erfolge des früheren Weltmeiste­rteams. „Ich erkenne, dass es Zeit für mich ist zurückzutr­eten“, wurde der 44-Jährige in einer McLaren-Mitteilung zitiert.

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FOTO: DPA Das Klima stimmt. Natürlich – denn bei Ferrari gibt es keine Teamorder, die Kimi Räikkönen (li.) zu Sebastian Vettels Gunsten einbremst.

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