Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn Kunst unter die Haut geht
Nach Jahren in der Großstadt hat Viktor Rosin in Oberhöfen ein Tattoo-Studio eröffnet
OBERHÖFEN - Viktor Rosin war ein Spätzünder: Den Draht zur Kunst hat er erst spät gefunden. Und war anfangs auch skeptisch, ob das Leben als Künstler gelingen würde. Aber er nahm sich Zeit, zog für sein Studium nach Stuttgart und Leipzig und ist nun – neun Jahre später – umso überzeugter von seinem Beruf: Im Frühjahr ist er in seine alte Heimat Oberhöfen zurückgekehrt und hat dort ein Tattoo-Studio eröffnet.
Rosin kam 1988 in Kasachstan auf die Welt. Dort lebte er drei Jahre lang mit seiner Familie, die schließlich nach Deutschland kam. Hier wuchs Rosin in Stuttgart und Hochdorf auf. Nach der Schule stand für ihn fest: „Ich wollte etwas im Handwerk machen. Im Büro zu sitzen, war noch nie meine Stärke.“Rosin lacht.
Damals spielt Kunst keine Rolle in seinem Leben. In der Ausbildung zum Metallbauer lernt er technisches Zeichnen. Bis ihm ein Skizzenbuch eines Freundes in die Hand fällt: „Ich habe es durchgeschaut und mir gedacht: Das will ich auch können.“Der Freund schenkt ihm sein erstes eigenes Zeichenbuch. Mit Bleistift bildet Rosin alles ab, was ihm ins Auge fällt. Aber der Platz darin reicht ihm nicht zum Austoben. „Ich habe dann angefangen, die Wände in der Lackiererei in meinem Ausbildungsbetrieb mit Kreide zu bemalen“, erzählt er.
Große Ahnung von Kunst hat er damals noch nicht, dafür umso mehr Spaß an ihr. Die Arbeit als Metallbauer reizt ihn nicht. So fängt er eine zweite Ausbildung als Grafikdesigner an. „Das war mir aber zu viel Computer.“Er habe bloß Objekte und Textblöcke verschieben müssen – von Kreativität keine Spur. Nach einem halben Jahr bricht Rosin ab. Er schreibt sich an der Freien Kunstschule in Stuttgart ein.
Statt Computer setzt er jetzt verstärkt auf Tradition: Im Studium beginnt er mit der Ölmalerei. „Sie hat eine andere Struktur und ist lebendiger und dicker als Acryl.“Stundenlang sitzt Rosin Menschen gegenüber und malt sie auf Leinwand: „Es ist schwer, einen Gesichtsausdruck einzufangen“, sagt er. „Aber mich interessiert die Psychologie hinter dem Motiv und wie sich das Bild beim Malen durch den Farbauftrag entwickelt.“Wenn er male, laufe parallel nur Musik, Gespräche würden in die Pause verlegt. Für ihn sei es spannend, seine Modelle dabei zu beobachten: „Man hat teilweise beim
Malen den Eindruck, manche vergessen sich selbst, werden müde oder auch traurig.“
Vor seinem Studium habe er sich kaum Gedanken über seine Motive gemacht: „Ich hab ja damals einfach alles aus dem Kopf gezeichnet.“Seine ersten Zeichnungen im Vergleich zu seinen Bildern heute? „Katastrophal.“
Stuttgart sei dann die prägendste Zeit für ihn gewesen, sagt Rosin: „Da hatte ich einen intensiven Austausch mit den Dozenten und habe ein grundlegendes Verständnis für Kunst und den Umgang mit Farbe entwickelt.“
Trotz vier lehrreicher Semester bricht Rosin sein Studium in Stuttgart ab: Er wechselt auf eine staatliche Hochschule nach Leipzig und fängt von vorne an: „Ich habe in Stuttgart zwar nebenbei gearbeitet. Aber das hat für die private Schule nicht gereicht und das Geld aus der Ausbildung war dann schnell weg.“
Der Neustart in Leipzig ist nicht nur ein finanzieller Gewinn für Rosin: „Ich hatte fünf Jahre viel Freizeit parallel zu meinem Nebenjob, um alles zu üben und habe nochmal eine Grundausbildung für gegenständliches
Viktor Rosin, Tätowierer in Oberhöfen
Zeichnen bekommen.“Seine Zeit verbringt er zunehmend auch mit dem Tätowieren: „Ich habe das in Studios von Freunden gelernt. Und dann irgendwann bei mir selbst ausprobiert.“Er habe es nie bereut, seine eigene Haut als Leinwand und Experimentierfläche genutzt zu haben. Aber jetzt gebe es keine freie Körperstelle mehr, die er noch selbst erreichen könne.
Das Tattoo als Kunstform habe großes Potenzial, ist sich Rosin sicher: „Das Equipment hat sich weiterentwickelt, ebenso wie die
Pflege- und Hygienestandards.“Außerdem gebe es viele verschiedene Einflüsse von innovativen Tätowierern, die das Verständnis und die Möglichkeiten für das Handwerk sehr positiv beeinflussen. Rosin spricht gar von einer Revolution beim Tätowieren. „Das ist wie mit dem Impressionismus: Damals in Verruf und heute die schönste Kunstform.“
Seit 2016 ist er fertig mit dem Studium. Ein Jahr lang arbeitet Rosin in Dresden in einem Künstlerbedarfsmarkt. Der Job ist aber nur eine Zwischenstation. Seit April ist er zurück
in der Region und lebt in einer Dachgeschosswohnung in seinem Elternhaus in Oberhöfen: „Das war eine bewusste Entscheidung. Hier komme ich her und hier sind viele meiner Freunde.“
Kontakte in die Großstadt pflegt der Künstler aber nach wie vor: „Ich arbeite gerade an einer Ausstellung für den Laden in Dresden, in dem ich gearbeitet habe.“Es ist nicht seine erste Ausstellung. Hunderte Bilder seien über die Jahre entstanden. „Vor kurzem kam meine Schwester und hat 100 meiner Bilder in ihrem Keller eingelagert.“Auch in seiner eigenen Wohnung bewahre er nur wenige seiner Werke auf.
Im Endeffekt geht es Rosin auch nicht darum, seine Kunstwerke massentauglich und möglichst bekannt zu machen: „Ich mache es um der Sache willen. Es geht mir nur darum, dass ich Kunst machen kann – für mich. Das macht mich glücklich.“
Viktor Rosin über seine Arbeitsweise
„Ich wollte etwas im Handwerk machen. Im Büro zu sitzen, war nie meine Stärke.“
„Es ist schwer einen Gesichtsausdruck einzufangen. Mich interessiert die Psychologie dahinter.“
Nähere Infos zu Viktor Rosin und seinem Tattoo-Studio finden Sie Online: www.viktorrosin.com.