Schwäbische Zeitung (Biberach)
Daimler und die Arroganz der Macht
Rückschlag im Kampf um das Forschungszentrum in Ulm – Zetsche lassen Argumente für einen Erhalt offenbar kalt
ULM/NEU-ULM - Die Doppelstadt hat alles aufgeboten im Kampf um den Erhalt des Daimler-Forschungszentrums: Die Oberbürgermeister aus Ulm und Neu-Ulm, Landtagsabgeordnete aus Bayern und BadenWürttemberg, der Präsident von Universität und Handelskammer, Stadträte und ein Landrat unterschrieben einen Brief an DaimlerChef Dieter Zetsche und listeten darin eine „Vielzahl stichhaltiger Argumente“für Forschungsaktivitäten von Daimler in Ulm auf.
Doch der adressierte Vorstandsvorsitzende machte sich nicht einmal die Mühe, persönlich zu antworten. Der Auto-Boss schickte einen Personaler sowie den Vize-Leiter Politik und Außenbeziehungen, den Ex-Bundestagsabgeordneten Eckart von Klaeden vor. Im Stile von Politprofis fällt auch die Antwort des Konzerns aus. Auf die Argumente der Ulm/Neu-Ulmer-Phalanx gehen sie nicht ein.
Es ist die Rede davon, dass der Wandel der Automobilindustrie hin zu Themen wie Autonomes Fahren und Elektromobilität es erforderlich mache, die Forschungsaktivitäten auf die „großen Standorte“Sindelfingen und Untertürkheim sowie das neue Prüf- und Technologiezentrum in Immendingen zu konzentrieren. Allerdings sind dies – Autonomes Fahren und Elektromobilität – genau die Argumente, die OB Czisch, Noerenberg und Co. ins Feld führen. Wie es in dem Brief heißt, gebe Daimler mit einer Aufgabe des Zentrums bedeutende Vorteile einer Innovationskultur auf.
Konkret wird etwa die Zusammenarbeit in Sachen Batterieforschung mit dem Helmholtz-Institut sowie des Zentrums für Sonnenenergieund Wasserstoff-Forschung genannt. Auch müsste Daimler auf die Nutzung des weltweit einzigartigen Mikroskops „Salve“verzichten, das wichtig für die Erforschung von Problemen des „schnellen Ladens“sei. Auch was den von Daimler angeführten Bereich Autonomes Fahren als Argument für eine Verlagerung angeht, schneide sich der Konzern aus Sicht der Unterzeichner ins eigene Fleisch: Das Ulmer Institut für Messund Regeltechnik habe in diesem Segment wichtige Themen wie Nachtsicht, Lichtsignal- und Umgebungserkennung im vom Land geförderten Innovationszentrum „Drive U“im Forschungsportfolio. Dass Nokia auf dem Eselsberg jenen für Autonomes Fahren elementaren 5G-Mobilfunkstandard entwickle und in einem Ulmer Reallabor erprobe, sei ein weiteres Argument für den Standort Ulm. Zudem seien die Stiftungsprofessur „Vernetzte Mobilitätssysteme“sowie die Präsenz des Daimlereigenen Busentwicklers Evobus weitere Mosaiksteine einer „Innovationskultur“, die Daimler im Begriff sei, zu verlassen. Ein Bettelbrief solle das Schreiben bewusst nicht sein: „Wir argumentieren aus einer Position der Stärke heraus“, heißt es. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass nicht die Fachkräfte den Firmen folgen, sondern die Unternehmen den Fachkräften. Dies hätte etwa die Schließung des Nokia-Forschungszentrums und die auf den Fuß folgende Ansiedlung von Conti und BMW Car-IT gezeigt. „Ist es vernünftig und geboten, einen Standort mit dieser Radikalität zu schießen?“, fragen sich die Unterzeichner des Briefs und liefern ihre Antwort auf zwei Seiten mit.
Petra Wassermann, Erste Bevollmächtigte der Gewerkschaft IG Metall Ulm, bezeichnet das Antwortschreiben der Zetsche-Vertreter als einen Ausdruck von „Arroganz der Macht“eines Großkonzerns. Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall hielten trotz dieser Enttäuschung an der doppelten Strategie fest: Einfordern fehlender Informationen und Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan, wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht, und zeitgleich alles versuchen, um doch noch mit den Verantwortlichen ins Gespräch über diesen Beschluss zu kommen.
Am Donnerstag demonstrierten etwa 50 Mitarbeiter des DaimlerForschungszentrums Ulm im Werk Untertürkheim für den Erhalt ihres Standorts. Die Kundgebung fand vor dem Vorstandsgebäude statt. Eine Einladung an Zetsche soll übergeben werden, den Standort in Ulm persönlich zu besuchen.