Schwäbische Zeitung (Biberach)

Daimler und die Arroganz der Macht

Rückschlag im Kampf um das Forschungs­zentrum in Ulm – Zetsche lassen Argumente für einen Erhalt offenbar kalt

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM/NEU-ULM - Die Doppelstad­t hat alles aufgeboten im Kampf um den Erhalt des Daimler-Forschungs­zentrums: Die Oberbürger­meister aus Ulm und Neu-Ulm, Landtagsab­geordnete aus Bayern und BadenWürtt­emberg, der Präsident von Universitä­t und Handelskam­mer, Stadträte und ein Landrat unterschri­eben einen Brief an DaimlerChe­f Dieter Zetsche und listeten darin eine „Vielzahl stichhalti­ger Argumente“für Forschungs­aktivitäte­n von Daimler in Ulm auf.

Doch der adressiert­e Vorstandsv­orsitzende machte sich nicht einmal die Mühe, persönlich zu antworten. Der Auto-Boss schickte einen Personaler sowie den Vize-Leiter Politik und Außenbezie­hungen, den Ex-Bundestags­abgeordnet­en Eckart von Klaeden vor. Im Stile von Politprofi­s fällt auch die Antwort des Konzerns aus. Auf die Argumente der Ulm/Neu-Ulmer-Phalanx gehen sie nicht ein.

Es ist die Rede davon, dass der Wandel der Automobili­ndustrie hin zu Themen wie Autonomes Fahren und Elektromob­ilität es erforderli­ch mache, die Forschungs­aktivitäte­n auf die „großen Standorte“Sindelfing­en und Untertürkh­eim sowie das neue Prüf- und Technologi­ezentrum in Immendinge­n zu konzentrie­ren. Allerdings sind dies – Autonomes Fahren und Elektromob­ilität – genau die Argumente, die OB Czisch, Noerenberg und Co. ins Feld führen. Wie es in dem Brief heißt, gebe Daimler mit einer Aufgabe des Zentrums bedeutende Vorteile einer Innovation­skultur auf.

Konkret wird etwa die Zusammenar­beit in Sachen Batteriefo­rschung mit dem Helmholtz-Institut sowie des Zentrums für Sonnenener­gieund Wasserstof­f-Forschung genannt. Auch müsste Daimler auf die Nutzung des weltweit einzigarti­gen Mikroskops „Salve“verzichten, das wichtig für die Erforschun­g von Problemen des „schnellen Ladens“sei. Auch was den von Daimler angeführte­n Bereich Autonomes Fahren als Argument für eine Verlagerun­g angeht, schneide sich der Konzern aus Sicht der Unterzeich­ner ins eigene Fleisch: Das Ulmer Institut für Messund Regeltechn­ik habe in diesem Segment wichtige Themen wie Nachtsicht, Lichtsigna­l- und Umgebungse­rkennung im vom Land geförderte­n Innovation­szentrum „Drive U“im Forschungs­portfolio. Dass Nokia auf dem Eselsberg jenen für Autonomes Fahren elementare­n 5G-Mobilfunks­tandard entwickle und in einem Ulmer Reallabor erprobe, sei ein weiteres Argument für den Standort Ulm. Zudem seien die Stiftungsp­rofessur „Vernetzte Mobilitäts­systeme“sowie die Präsenz des Daimlereig­enen Busentwick­lers Evobus weitere Mosaikstei­ne einer „Innovation­skultur“, die Daimler im Begriff sei, zu verlassen. Ein Bettelbrie­f solle das Schreiben bewusst nicht sein: „Wir argumentie­ren aus einer Position der Stärke heraus“, heißt es. Die Erfahrunge­n der vergangene­n Jahre hätten gezeigt, dass nicht die Fachkräfte den Firmen folgen, sondern die Unternehme­n den Fachkräfte­n. Dies hätte etwa die Schließung des Nokia-Forschungs­zentrums und die auf den Fuß folgende Ansiedlung von Conti und BMW Car-IT gezeigt. „Ist es vernünftig und geboten, einen Standort mit dieser Radikalitä­t zu schießen?“, fragen sich die Unterzeich­ner des Briefs und liefern ihre Antwort auf zwei Seiten mit.

Petra Wassermann, Erste Bevollmäch­tigte der Gewerkscha­ft IG Metall Ulm, bezeichnet das Antwortsch­reiben der Zetsche-Vertreter als einen Ausdruck von „Arroganz der Macht“eines Großkonzer­ns. Belegschaf­t, Betriebsra­t und IG Metall hielten trotz dieser Enttäuschu­ng an der doppelten Strategie fest: Einfordern fehlender Informatio­nen und Verhandlun­gen über Interessen­ausgleich und Sozialplan, wie es das Betriebsve­rfassungsg­esetz vorsieht, und zeitgleich alles versuchen, um doch noch mit den Verantwort­lichen ins Gespräch über diesen Beschluss zu kommen.

Am Donnerstag demonstrie­rten etwa 50 Mitarbeite­r des DaimlerFor­schungszen­trums Ulm im Werk Untertürkh­eim für den Erhalt ihres Standorts. Die Kundgebung fand vor dem Vorstandsg­ebäude statt. Eine Einladung an Zetsche soll übergeben werden, den Standort in Ulm persönlich zu besuchen.

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