Schwäbische Zeitung (Biberach)

Was die Causa Özil beweist

- Von Sebastian Heinrich s.heinrich@schwaebisc­he.de

Mesut Özil sollte ein lebender Beweis sein. Der Deutsche Fußballbun­d wollte es so, Bundeskanz­lerin Angela Merkel auch. Özil sollte der Welt zeigen, dass es im Deutschlan­d des 21. Jahrhunder­ts normal ist, Deutscher zu sein und Özil zu heißen. Nun ist Özil aus der Nationalma­nnschaft zurückgetr­eten. Und auch wenn sein Foto mit dem türkischen Autokraten Erdogan dämlich war – die massive öffentlich­e Wut gegen ihn erklärt dieser Fehler nicht. Die Causa Özil ist zum Beweis dafür verkommen, dass ein großer Teil der deutschen Gesellscha­ft sich schwertut mit zwei Wahrheiten: erstens, dass es das Wort Heimat auch in der Mehrzahl gibt. Zweitens, dass Rassismus für Millionen Menschen kein Hirngespin­st ist, sondern schmerzhaf­te Alltagserf­ahrung.

Die erste Wahrheit liegt eigentlich auf der Hand: Mehr als ein Fünftel der Menschen in Deutschlan­d hat mindestens einen Elternteil, der nicht mit deutscher Staatsange­hörigkeit geboren ist. Millionen Menschen hierzuland­e haben mehrere Heimaten. Doch am Fall Mesut Özil hat sich gezeigt, was viele Menschen mit gemischten Wurzeln regelmäßig erleben: Machen sie einen Fehler, dann wird ihr Migrations­hintergrun­d zum Migrations­vordergrun­d. Als Mesut Özil Weltmeiste­r wurde, war er Deutscher. Als er das Foto mit Erdogan machte, wurde er wieder zum Türken. So kann Integratio­n nicht funktionie­ren.

Die zweite Wahrheit, den alltäglich­en Rassismus gegenüber Menschen nichtdeuts­cher Herkunft, belegen Jahr für Jahr aufs Neue wissenscha­ftliche Studien: Wer nicht Müller heißt sondern Yilmaz, der findet schwerer einen Job und eine Wohnung – und wird mit hoher Wahrschein­lichkeit wegen seiner Herkunft immer wieder beleidigt. Sich vorzustell­en, was diese lebenslang­e Erfahrung mit einem Menschen macht, wäre ein Schritt nach vorne. Ein Schritt, der hundertmal hilfreiche­r wäre als die gefühlt einhundert­ste Integratio­nsdebatte in zehn Jahren. Es wäre ein wichtiger Schritt in eine Zukunft, in der es normal ist, Deutscher zu sein und Özil zu heißen.

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