Schwäbische Zeitung (Biberach)

Geschichte unter Gletschern

Wissenscha­ftler möchten geologisch­e Bohrungen bei Winterstet­tenstadt vornehmen

- Von Birga Woytowicz www.leibniz-liag.de www.icdp-online.de

WINTERSTET­TENSTADT/UNTERESSEN­DORF (sz) - Manchmal reicht ein Blick ins Geschichts­buch nicht aus, um die Welt von damals verstehen zu können. Gerade, wenn sich Lücken im Text auftun, muss man tiefer bohren. Ein internatio­nales Forschungs­projekt möchte zwischen Unteressen­dorf und Winterstet­tenstadt rund 200 Meter tief ins Erdreich vordringen.

WINTERSTET­TENSTADT/UNTERESSEN­DORF - Manchmal reicht ein Blick ins Geschichts­buch nicht aus, um die Welt von damals verstehen zu können. Gerade, wenn sich Lücken im Text auftun, muss man tiefer bohren. Ein internatio­nales Forschungs­projekt möchte zwischen Unteressen­dorf und Winterstet­tenstadt rund 200 Meter tief ins Erdreich vordringen. Dabei geht es den Forschern nicht nur um eine Rekonstruk­tion der Landschaft vor Abermillio­nen von Jahren. Die Bohrungen im Tannwald-Becken sollen auch für die Zukunft ein Gewinn sein. Am Donnerstag konnten sich Bürger in Winterstet­tenstadt über die Arbeiten informiere­n.

Internatio­nales Team

Die DOVE Arbeitsgru­ppe – Drilling Overdeepen­ed Alpine Valleys – steckt hinter dem Projekt. Sie ist ein Zusammensc­hluss von rund 100 Wissenscha­ftlern aus gut 30 verschiede­nen Institutio­nen. Die Bohrungen im Tannwald-Becken sind nur eine Teilunters­uchung. Denn im gesamten Alpenvorla­nd wimmelt es an Beckenstru­kturen, die die Arbeitsgru­ppe unter die Lupe nehmen möchte. Die Becken sind ein Produkt der Eiszeiten. Unter den Gletschern hätten sich einst Wasser und zermahlene­s Gestein angesammel­t, erklärt Ulrike Wielandt-Schuster vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau. „Da unten herrschte ein besonders hoher Druck. Rundherum war alles vereist, sodass das Gestein nur nach unten erodieren konnte.“Dies sei an verschiede­nen Stellen unterschie­dlich tief geschehen.

Die Becken sind daher eine echte Fundgrube für Wissenscha­ftler. Hier sammeln sich verschiede­ne Gesteinssc­hichten, die Aufschluss über damalige Landschaft­en sowie Tierund Pflanzenar­ten geben können. Die Sedimente hätte ein Forscherte­am bereits in den 90er-Jahren entdeckt, sagt Wielandt-Schuster. Damals gab es schon einmal Bohrungen bei Winterstet­tenstadt. „Auf Molasse sind die Forscher damals erst in gut 200 Metern Tiefe gestoßen. Das war untypisch.“Als Molasse bezeichnen Wissenscha­ftler sandige, lehmige Schichten, die die Becken von den aufsteigen­den Alpen im Tertiär aufgenomme­n hätten. Nun stelle sich die Frage: Wie und womit ist das Becken also darüber befüllt? Schon seit vier Jahren bereitet David Tanner vom Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik die Bohrungen vor. Er hat das Forschungs­gebiet mit seinem Team seismisch abgetastet (SZ berichtete). Dabei werden von der Erdoberflä­che aus akustische Wellen in den Boden gesendet. „Das Gerät sieht aus wie ein Besenfahrz­eug“, sagt Gerald Gabriel, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r. Die einzelnen Schichten reflektier­en die Strahlen, die von kleinen Mikrofonen, den sogenannte­n Geophonen, aufgenomme­n werden. Anhand der Strahlungs­energie und anderer physikalis­cher Parameter habe er die verschiede­nen Gesteinssc­hichten im Becken identifizi­eren und deren Lage definieren können, erklärt Tanner.

„Aber wir konnten die einzelnen Schichten bisher nicht datieren.“Dazu seien die Bohrungen notwendig. Insgesamt drei Mal. Die einzelnen Punkte bilden ein Dreieck, sie liegen im Abstand von je 40 Metern. An einer Stelle gibt es eine Kernbohrun­g. Hierbei werden Gesteinssc­hichten entnommen. Zudem wird eine PVCVerrohr­ung in das Bohrloch eingeführt. Darüber können die Wissenscha­ftler Experiment­e und Messungen durchführe­n. „Nach drei Jahren bauen wir alles vollständi­g zurück und verfüllen die Bohrlöcher. Das ist Vorschrift des Bergamtes“, erklärt David Tanner.

Start im Oktober

Die Kosten für das Gesamtproj­ekt lägen im siebenstel­ligen Bereich, konkrete Werte wollen die Wissenscha­ftler nicht nennen. Zur Hälfte beteilige sich ein internatio­naler Fördertopf für Forschungs­bohrungen an den Kosten. Die andere Hälfte müsse die Initiative selbst aufbringen. Auch aus Regierungs- und Verwaltung­skreisen würden Gelder fließen, sagt Frank Preusser von der Albert-LudwigsUni­versität Freiburg. Frühestens im Oktober dieses Jahres sollen die Bohrungen starten. Erfahrungs­gemäß dauere das etwa drei bis fünf Wochen, sagt Tanner. Bis Mitte 2021 liefen die Messungen, danach erfolge der Rückbau. Ein aufwendige­s Projekt, von dem er sich weit mehr als nur die Archivieru­ng der Entwicklun­gsgeschich­te verspreche, sagt Frank Preusser. „Wir wollen prüfen, ob es potenziell­e Grundwasse­rreservoir­s gibt, in Zeiten der Wasserknap­pheit vielleicht eine Lösung.“Bisher würde Trinkwasse­r aus nur 60 Metern Tiefe gewonnen, ergänzt sein Kollege Tanner. Zudem könne die Bohrung ein Erkenntnis­gewinn im Bereich Erdwärme sein, sagt Preußer.

Wenn auch abhängig vom Zufall, hofft Ulrike Wielandt-Schuster auch auf die eine oder andere Überraschu­ng. „Es wäre toll, wenn wir Sedimente aus früheren Warmzeiten zwischen den Eiszeiten entdecken, mit Sporen oder Pollen.“Anhand derer seien Rückschlüs­se auf Flora und Fauna möglich. Knochenfun­de seien eher unwahrsche­inlich, schätzt Preusser. Das sei, wie nach einer Nadel im Heuhaufen zu suchen.

Wer die Bohrungen mitverfolg­en möchte, kann sich online unter oder informiere­n. Zudem ist mindestens ein Tag der offenen Tür geplant. Einen Termin gibt es noch nicht.

 ?? FOTO: BIRGA WOYTOWICZ ?? Ulrike Wielandt-Schuster (von links), Frank Preusser, Gerald Gabriel und David Tanner bereiten sich auf die Bohrungen im Tannwald-Becken vor.
FOTO: BIRGA WOYTOWICZ Ulrike Wielandt-Schuster (von links), Frank Preusser, Gerald Gabriel und David Tanner bereiten sich auf die Bohrungen im Tannwald-Becken vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany