Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Ich fürchte, es gibt unverantwortliches Schweigen“
BERLIN - Von der hohen Zahl von Menschen, die im Fadennetz von Rechtsextremisten und potenziellen Rechtsterroristen sind, ist Professor Hajo
Funke (Foto: dpa), Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, überrascht. Im Gespräch mit Petra Sorge fordert er mehr Aufmerksamkeit.
Zehntausende im Visier von Rechtsextremisten – hat Sie das überrascht?
Ja. Dass über 25 000 Personen belegbar im Fadennetz von Rechtsextremisten und potenziellen Rechtsterroristen sind, überrascht mich. Ich fürchte, dass es dazu keine angemessene Aufklärung der Öffentlichkeit gibt, sondern unverantwortliches Schweigen. Ein Teil der Sicherheitsbehörden hat ja auch die NSU-Mordserie nicht wahrgenommen und vor allem über Gefahren nicht angemessen berichtet.
Bislang ist es Sache der Länderpolizeien, Personen, die auf solchen Listen stehen, zu informieren. Sollte das Bundeskriminalamt Betroffene künftig informieren?
Es spricht sehr viel dafür, das in die Hand des Bundeskriminalamtes zu legen. Dann braucht das BKA aber auch andere Kompetenzen, insbesondere gegenüber dem Verfassungsschutz. Es darf nicht über alles geschwiegen werden. Es braucht eine andere Selbstwahrnehmung und Öffentlichkeitsarbeit der Behörden. Diese Logik des Schweigens hat uns überhaupt erst in diese ganze Misere geführt. Ich möchte zum Beispiel gern wissen, ob der NSU-Mittäter Ralf Wohlleben, der nun weitgehend von weiterer Haft verschont ist, noch eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt.
Wie sehr wird die Gefahr, die von Rechtsradikalen ausgeht, aus Ihrer Sicht unterschätzt?
Viele rechtsextremistische Vorfälle wurden bis heute nicht aufgeklärt. In der Öffentlichkeit hat es allenfalls Wellen der Wahrnehmung über das Versagen der Sicherheitsbehörden gegeben. Da braucht es eine größere Aufmerksamkeit, mehr Sensibilisierung. Nur dann gibt es auch Chancen für eine verbesserte Prävention.
Im Wehrhahn-Prozess ist der Verdächtige, der Kontakte in die rechte Szene hatte, freigesprochen worden. Welches Signal geht von diesem Prozess aus?
Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Die Indizien sind allerdings sehr stark, dass man den richtigen Beschuldigten hat. Deswegen ist es sinnvoll, dass die Staatsanwaltschaft an ihrer Einschätzung festhält und in die Revision geht. Generell hängt es bei Gericht doch sehr vom Personal ab, ob das Urteil eher vorsichtig oder angemessen ausfällt.