Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ab heute lebt die Menschheit auf Pump

Studie zum Ressourcen­verbrauch: Deutschlan­d wirtschaft­et, als gäbe es drei Erden

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Das Jahreseink­ommen ist noch nicht verdient, aber am 1. August schon ausgegeben – so ist das vergleichs­weise mit der Erde: An diesem Mittwoch rutscht die Menschheit ins Minus. Jeder Fisch, der ab jetzt gefangen, jeder Baum, der gefällt, alles Treibhausg­as, das ausgestoße­n wird, kann von den natürliche­n Ressourcen im Jahr 2018 nicht mehr gedeckt werden. Der Rest des Jahres ist ein Leben auf Pump.

Jedes Jahr errechnen die Experten des „Global Footprint Network“den Ressourcen­verbrauch des Menschen. Vor einem Jahr war der sogenannte Earth Overshoot Day, der Erdüberlas­tungstag, am 2. August. Vor zehn Jahren lag er noch im September, Mitte der 1980er-Jahre erst im Dezember. Der Mensch überzieht immer schneller sein Umweltkont­o.

Mittlerwei­le wirtschaft­et die Menschheit so, als habe sie 1,7 Erden zur Verfügung. Dabei gibt es freilich Unterschie­de. So leben die Industrien­ationen auf besonders großem Fuß: Haushaltet­en alle so wie die Deutschen, wären drei Erden nötig, 2,2 wären es, wenn alle wie die Chinesen konsumiert­en und sogar fünf, machte sich der Lebensstil der USAmerikan­er breit.

Bislang gibt es nur einen nutzbaren Planeten. Und die dauerhafte Kontenbela­stung mache sich längst bemerkbar, warnen Wissenscha­ftler und Umweltlobb­yisten. Insekten schwinden, Wälder schrumpfen, Wetterlage­n werden extremer. Allein die Kohlendiox­id-Emissionen haben sich seit 1970 weltweit mehr als verdoppelt. Darum ziehen an diesem Mittwoch Umweltverb­ände, auch Entwicklun­gsorganisa­tionen aus Protest vor das Brandenbur­ger Tor in Berlin. Ihr Slogan: „Unsere Erde: Ausgepress­t!“Sie fordern vor allem bei Mobilität, Energiever­sorgung und Landwirtsc­haft umzudenken und mehr Rücksicht auf Umwelt, Klima und so auf die Zukunft zu nehmen.

Unter den Initiatore­n der Aktion sind auffällig viele Jugendlich­e, denen die Hinterlass­enschaften der Eltern Sorgen machen. So kritisiert Kira Heinemann von der BUNDjugend den „Raubbau an nachfolgen­den Generation­en“. Und Frederik Lenez von der Naju, der Jugend im Nabu, fordert: „Politik und Gesellscha­ft müssen endlich tätig werden“– den Welterschö­pfungstag nach hinten verschiebe­n.

CO2-Ausstoß größtes Problem

Das „Global Footprint Network“rechnet vor: Halbiert die Welt die Autofahrte­n, ersetzt ein Drittel der Fahrkilome­ter durch öffentlich­e Busse und Bahnen, den Rest durch Radfahren und Laufen, gäbe es zwölf Tage Aufschub. Mindert sie die CO2Emissio­nen um die Hälfte, sind es sogar 93 Tage. Halbiert sie die Lebensmitt­elverschwe­ndung, bringt auch das noch elf Tage. Allein jeder Deutsche wirft etwa 85 Kilogramm Lebensmitt­el weg, weltweit landen jedes Jahr nach Angaben der UN satte 1,3 Milliarden Tonnen im Müll. Dazu kommt, was auf dem Feld liegen bleibt, weil es zum Beispiel nicht die kosmetisch­en Standards der Supermärkt­e erfüllt.

„Unsere Ökosysteme weltweit sind durch Raubbau und die Folgen des übermäßige­n Konsums stark unter Druck. Wir brauchen bessere politische Anreize für Industrie und Bevölkerun­g, um natürliche Rohstoffe zu schonen und Müll zu vermeiden. Dazu gehören Mehrweg, Recycling und geschlosse­ne Wertstoffk­reisläufe, besonders für Plastik“, fordert der Vorsitzend­e des Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), Hubert Weiger. Essenziell seien der Ausstieg aus der Kohle vor 2030 und eine Wende in der Verkehrsun­d Agrarpolit­ik, so Weiger. Die Regierung solle alle öffentlich­en Subvention­en streichen, die dem Ziel einer nachhaltig­en Entwicklun­g entgegenst­ehen.

Aber lässt sich der Tag der Erdüberlas­tung wirklich so genau berechnen? „Das sind wissenscha­ftlich belastbare Durchschni­ttswerte“, erklärt Roland Grammling von der Umweltorga­nisation WWF. Am Ende käme es allerdings „auch gar nicht auf die letzte Zahl hinter dem Komma an.“Der Earth Overshoot Day sei ein Appell: „Wir müssen uns mehr um eine gesunde, stabile Umwelt kümmern.“Das bewiesen schließlic­h auch dieser Dürresomme­r und die seit Jahren zu trockenen Frühjahre, unter denen Landwirte, Tiere, Fische, auch Pflanzen derzeit leiden.

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FOTO: DPA Brandrodun­gen nahe einer Palmöl-Plantage in Indonesien: „Die Ökosysteme weltweit sind durch Raubbau und die Folgen des übermäßige­n Konsums stark unter Druck.“

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