Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Meer gibt den Rhythmus vor

Cees Nooteboom veröffentl­icht zu seinem 85. Geburtstag einen Gedichtban­d

- Von Welf Grombacher

Das Meer hat diesen Schriftste­ller immer schon getrieben. Nach dem Tod seines Vaters im Zweiten Weltkrieg streifte er als Kind am Strand der Nordsee umher und suchte nach Schätzen. Ein angeschwem­mter Walfischza­hn oder ein Klumpen Gold und alles würde gut werden. Später dann als junger Mann heuerte er als Leichtmatr­ose auf einem Frachter an, um in Surinam beim Vater seiner Braut um deren Hand anzuhalten. Vergebens. Die beiden mussten ohne den Segen des alten Herrn heiraten und trennten sich wenige Jahre später wieder.

Auch im neuen Gedichtban­d „Mönchsauge“(Original: „Monniksoog“, 2016) ist Cees Nooteboom, der am 31. Juli seinen 85. Geburtstag gefeiert hat, wieder am Strand unterwegs. Den Dezember 2015 verbrachte er auf der Westfriesi­schen Insel Schiermonn­ikoog, der Insel der grauen Mönche, als auf einmal wie aus dem Nichts die ersten Verse da waren. In seinem Haus auf Menorca schrieb er weiter. Entstanden ist ein Zyklus aus 33 Gedichten, von denen jedes drei Strophen mit vier Versen und am Ende einen kürzeren Halbvers hat. Trotz dieser strengen Form waren Nootebooms Gedichte selten so leicht. Das Salz ist darin zu riechen, überall wuchert Strandhafe­r und es weht eine Brise vom Meer, die den Sand durch die Zeilen treibt und mitunter auch so manche seltsame Gestalt aus der Vergangenh­eit.

Auf dem Dünenpfad begegnet der Dichter seiner Mutter. In einem anderen Gedicht erinnert er sich an den Wächter des Leuchtturm­s, der lange schon tot ist. Und in wieder einem anderen glaubt er neben einem Strauch Hagebutten seine erste Geliebte zu sehen und spürt das erste Verlangen, „verweht und zerschellt an einer Vielzahl/ von Jahren, die Distel des Nichtverge­ssenwollen­s,/

nimm mich mit, nimm mich mit,/ aber wohin?“Dann wieder meint er auf dem Strand die Stimmen der griechisch­en Philosophe­n Phaidros und Sokrates zu vernehmen, von Leonardo da Vinci oder Paul Valéry, die sich einen heftigen Disput über den Körper und die Seele liefern. Immer gibt dabei das Meer den Rhythmus vor. Poetologis­che Gedanken über das Schreiben vermischen sich mit Fragen der Schöpfung. Ist doch auch der Dichter in gewisser Weise ein Gott, der aus Worten eine Welt entstehen lässt.

Schwebende Meditation­en

„Nichts weiß ich, alles, was ich sage, ist Erfindung“, heißt es einmal. Und an einer anderen Stelle: „Gedichte kennen kein/ Fragezeich­en, sie müssen den Wahnsinn/ zähmen, nicht abstreiten, sie müssen/ ihre Form hexen aus leeren Gedanken,/ bis sie die sind.“Gott ist tot. Die Gesetze der Naturwisse­nschaften helfen nicht weiter, um die großen Fragen zu beantworte­n. Und auch die überliefer­te Geschichte liefert keine Erklärunge­n. „Für die Erinnerung/ von Toten gibt’s keine Codes“. Was bleibt ist

nur der Zauber der Poesie. „Die Gesetze der Trägheit, wenn sich unsichtbar/ eine Verszeile meldet, aus einem Nichts,/ das etwas anderes will, aber was?/ Frag’s, und du bekommst es, was immer du willst.“

Cees Nootebooms neue Gedichte sind schwebende Meditation­en, in denen es um nichts weniger als um alles geht. Im Alter lässt der 1933 in Den Haag geborene Schriftste­ller in seinen Versen die Schwerkraf­t hinter sich und sich von ihnen treiben. Das ist schon beeindruck­end. Dazu die Zeichnunge­n von Matthias Weischer, der Nooteboom auf die Inseln Schiermonn­ikoog und Menorca gefolgt ist und den zeitlosen Gedichten eine Bühne mit seinen Pastellen und Aquarellen bereitet. Beim Blättern in diesem Band wird jeder unweigerli­ch eine Sehnsucht nach Meer verspüren.

Cees Nooteboom: Mönchsauge. Zweisprach­ige Ausgabe mit Bildern von Matthias Weischer. Übersetzt von Ard Posthuma. Bibliothek Suhrkamp, 128 Seiten, 24 Euro.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Der niederländ­ische Schriftste­ller Cees Noteboom.
FOTO: IMAGO Der niederländ­ische Schriftste­ller Cees Noteboom.

Newspapers in German

Newspapers from Germany