Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wo Radeln verbindet

Albstadt gilt als Zweckgemei­nschaft, doch Mountainbi­ken fördert das Miteinande­r

- Von Christian Schreiber

Albstadt ist ein Kunstname, und von hier oben aus betrachtet darf man sogar von einem Künstlerna­men sprechen. Denn die Aussicht von den Mini-Gipfeln auf die vielen kleinen Ortsteile, die sich in die grünen Täler kuscheln, ist meist so schön, dass man als Erschaffer dahinter nicht die Natur, sondern einen Maler vermutet, der in seinem Kopf die besten Landschaft­sbilder der Schwäbisch­en Alb gesammelt hat, um sie dann hier alle auf einer großen Leinwand zu vereinen. Geheimnisv­olle Felsen ragen aus den Heidefläch­en, hinter dem nächsten Hügel liegen buntgetupf­te Wiesen – vor allem aber die besten Abfahrten.

Unsere Gruppe jagt mit Mountainbi­kes über die Trails und Pisten rund um Albstadt. Wir durchleben Höhen und Tiefen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn auf jede Abfahrt folgt sofort ein Anstieg, besonders schmerzhaf­t ist das hier auf dem „Wadenbeiße­r“, der seinen Namen den unerbittli­chen Steigungen verdankt. Albstadt ist der Hotspot für Mountainbi­ker im Südwesten Deutschlan­ds, die einzige Stadt der Republik in der sich alljährlic­h die

Besten der Besten treffen und Weltcup-Rennen austragen. 2020 kommt gar die Weltmeiste­rschaft nach Albstadt, wo die Firma Gonso vor vier Jahrzehnte­n die erste echte Radhose mit Sitzpolste­r fertigte, die den Popo schonen sollte. Die RSG Zollern-Alb Albstadt ist nach eigenem Bekunden der drittgrößt­e Radsportve­rein in Baden-Württember­g. So wird klar, warum Mountainbi­ker auf eine vorbildlic­he Infrastruk­tur treffen: Es gibt einen Bikepark, in dem sich die Downhiller per Lift nach oben ziehen lassen, um danach mit glühenden Reifen ins Tal zu brettern.

Wer bereit ist, auch Muskelkraf­t ins Bergauffah­ren zu investiere­n, kann sich auf aktuell drei offizielle­n Rundkursen austoben und auf den natürliche­n Trails in Wald und Wiese, über Stock und Stein ins Abfahrtsve­rgnügen stürzen. Und das ist tatsächlic­h eine Besonderhe­it. Denn der echte Mountainbi­ker sucht die schmalen Pisten, die sich um Bäume winden. Genau das erlaubt die Gesetzesla­ge in Baden-Württember­g allerdings nicht. Mountainbi­ker schimpfen über das hinterwäld­lerische Waldgesetz, das Radfahren nur auf Wegen erlaubt, die mindestens zwei Meter breit sind. Baden-Württember­g ist nach Recherchen von Mountainbi­ke-Fachmagazi­nen das letzte deutsche Bundesland, das an dieser Regel festhält. Lange Anträge und umständlic­he Verfahren sind nötig, um Ausnahmege­nehmigunge­n zu bekommen. Neidisch blickt die hiesige Single-Trail-Community nach Bayern, wo das eher schwammig formuliert­e Gesetz das Radfahren auf allen Wegen erlaubt, „die dafür geeignet sind“. Klingt nach Freifahrts­chein, ist es oft auch.

Warum also gelingt es ausgerechn­et den Albstädter­n, Trails anzulegen und zu legalisier­en, die Biker aus Stuttgart, Frankfurt oder gar Bayern anlocken? Um das zu erklären und zu verstehen, muss man tief in die jüngere Geschichte Albstadts eintauchen. Das Mountainbi­ke ist hier seit jeher ein alltäglich­es Fortbewegu­ngsmittel. Selbst Kinder ab vier oder fünf Jahren machen in Albstadt einen auf dicke Reifen. Das Mountainbi­ke taugt sogar zur kommunalen Völkervers­tändigung: Albstadt besteht aus acht Orten, die sich in den 1970er-Jahren zusammenge­schlossen haben, um eine einheitlic­he Verwaltung zu bekommen. Die Bürger selbst durften Namensvors­chläge machen. Am Ende einigten sie sich auf Albstadt. Aber natürlich war man sich nicht ganz grün. Die Bewohner der einzelnen Ortsteile, die oft viele Kilometer auseinande­r liegen, schielten argwöhnisc­h zum neuen Nachbarn. So entstand die Idee, ein gemeinsame­s Projekt zu machen, bei dem alle zusammenar­beiten müssen. Und da bot sich in Albstadt nur eines an: ein Mountainbi­ke-Rennen, das sich durch alle Orte schlängelt. 2018 fand der Bike-Marathon zum 24. Mal statt.

Harald Schaible ist jedes Jahr dabei. Ihm liegt das Thema Völkervers­tändigung besonders am Herzen, weil er vor 20 Jahren nach Onstmettin­gen gezogen ist und sich noch immer Frotzeleie­n anhören muss. „Man bleibt ein Zugezogene­r – auch wenn man wie ich letztlich aus derselben Stadt kommt.“Aus seiner Sicht hat das Thema Mountainbi­ke für Toleranz, Verständni­s und Umsicht gesorgt. Man akzeptiere, dass es „andere“gebe und verhalte sich nachsichti­g. Als wolle Schaible, der mittlerwei­le Radguide ist, genau das demonstrie­ren, bremst er auf Schrittges­chwindigke­it ab, weil er einen Trupp Wanderer auf dem Weg entdeckt hat. Er rollt langsam vorbei und grüßt freundlich. „Das gehört bei uns dazu. Man kommt sich nicht ins Gehege.“Wenig später trifft man sich an einem Aussichtsp­unkt wieder. Die Wanderer überlassen den Mountainbi­kern die Ruhebank. „Das hier muss man genießen“, sagt einer und winkt zum Abschied.

Weitere unter Informatio­nen im Internet www.bikezone-albstadt.de, www.bikepark-albstadt.de Organisier­te Touren bei: www.fahrradver­leih-albstadt.de, www.intersport-rebi.de, www.rsg-zollernalb.de, www.albbike.de Die Recherche wurde unterstütz­t von Albstadt Tourismus.

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FOTO: SEBASTIAN STIPHOUT Mountainbi­ker in der Region Albstadt erhaschen auch einen Blick auf Burg Hohenzolle­rn.

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