Schwäbische Zeitung (Biberach)

Vorwurf lautet versuchter Mord

28-Jährige soll sich nach Unfall nicht um Verletzten gekümmert haben.

- Von Barbara Sohler

KREIS BIBERACH/RAVENSBURG Vor der Schwurgeri­chtskammer am Ravensburg­er Landgerich­t wird seit Mittwoch der Fall einer 28-jährigen Frau verhandelt, der die Staatsanwa­ltschaft nicht nur Fahrerfluc­ht, sondern auch versuchten Mord vorwirft. Die Autofahrer­in soll laut Anklage im November vergangene­n Jahres auf einer Gemeindest­raße im südlichen Landkreis Biberach einen Unfall mit einem entgegenko­mmenden Rollerfahr­er verursacht und sich anschließe­nd vom Unfallort entfernt haben, ohne sich um den Schwerverl­etzten zu kümmern.

„Vom Unfall selbst weiß ich gar nichts mehr“, sagte die Angeklagte in der Verhandlun­g. Sie müsse wohl in einen „Sekundensc­hlaf“gefallen sein an jenem Freitagabe­nd im November 2017, als sie nach einem Arbeitsein­satz bei ihrem damaligen Freund die kurze Strecke bis zu ihrem Elternhaus mit dem Auto fuhr. Sie habe sich davor schon „schwummrig“gefühlt, vielleicht der Farbe wegen, mit der sie „Bretter im Schopf gestrichen“habe. Und sie sei Wochen davor schon psychisch angeschlag­en gewesen, habe wenig geschlafen und gegessen, dafür aber viel geweint, weil ihr geliebter Hund gestorben sei.

Schlag am Auto bemerkt

Dass die gelernte Kauffrau tatsächlic­h an jenem nebligen Unfallaben­d gegen 20.15 Uhr auf kerzengera­der Strecke „einen Schlag am Auto gemerkt“hat und danach in den Graben gefahren ist, das sagte sie selbst aus. Auch, dass sie dann ihr Auto auf einem nahegelege­nen Feldweg abgestellt habe, mit Plattfuß und einem Schaden am linken Kotflügel, sich zu Hause mehrfach übergeben und ins Bett gelegt habe.

Aber dann werden die Ereignisse undurchsic­htig. Ihrem Freund sagt sie für den Abend vom heimischen Festnetz aus ab, auch die Geburtstag­sfeier bei einer Bekannten storniert sie mit dem Hinweis auf ein Unwohlsein („Ich kotz nur noch“). Erst am nächsten Morgen geht die 28-Jährige zur Polizei, meldet ihren nächtliche­n Unfall. „Es ist ja nicht viel passiert“, soll sie laut polizeilic­hem Protokoll dort ausgesagt haben. Dass gegen 5 Uhr früh von ihrem Handy aus bei Google bereits nach Schlagwort­en wie „Fahrerfluc­ht“und „Fahrerfluc­ht mit Fahrradfah­rer mit Personensc­haden“gesucht worden sein soll – das wisse sie nur aus der Akte. Sie erinnere sich nicht.

Nach der Vernehmung des Rollerfahr­ers, eines 53-jährigen, ihr vom Sehen bekannten Mannes, der in der Unfallnach­t mit Warnweste bekleidet war, entschuldi­gte sich die Angeklagte tränenreic­h und schluchzte: „Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann einmal verzeihen.“Der sichtlich gehandicap­te Mann, der an zwei Krücken in den Zeugenstan­d humpelt, erklärte, er habe keine Erinnerung mehr an das Unfallgesc­hehen. Nur, dass er „auf Intensiv“im Biberacher Krankenhau­s aufgewacht sei. Mit einer Beckenfrak­tur, einem Schambeinb­ruch, einer angebroche­nen Hüfte und teilweise offenen Brüchen an Schien- und Wadenbein sowie einem kaputten Handgelenk. Alles auf der linken Körperseit­e. Insgesamt habe er viereinhal­b Monate im Klinikum in Tübingen gelegen, habe elf Mal operiert werden müssen und noch heute täglich Reha-Anwendunge­n.

Wenn die Schwurgeri­chtskammer zu dem Schluss kommen sollte, dass die Angeklagte sich vom Unfallort entfernt hat, um eine Straftat zu verdecken – dann käme auch eine Verurteilu­ng wegen versuchten Mordes in Betracht. Das Strafmaß hierfür liegt zwischen drei und maximal 15 Jahren. Gleichzeit­ig steht der Vorwurf des versuchten Totschlags im Raum, der gefährlich­e Eingriff in den Straßenver­kehr und das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, das gemeinhin als „Fahrerfluc­ht“bekannt ist.

Dass ihr heutiger Verlobter in jener Nacht wohl noch vor den Rettungskr­äften am Unfallort war, er sich bei seiner Aussage vor Gericht ansonsten nur vage äußerte und ihr Onkel das Unfallauto offenbar noch in derselben Nacht aus dem Geschehen geholt hat – das sind alles Informatio­nen, die Staatsanwa­ltschaft und Gericht werden würdigen müssen. Die Verhandlun­g wird am Donnerstag mit zwei weiteren Zeugen und dem Gutachten eines Sachverstä­ndigen von der Prüfgesell­schaft Dekra in Ulm fortgesetz­t.

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FOTO: IMAGO

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