Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mehr Geld für mehr Pflege
Bundesregierung verabschiedet Sofortprogramm
BERLIN (sal) - 13 000 neue Pflegestellen in der Altenpflege sowie Personaluntergrenzen in Krankenhäusern – das sieht das sogenannte Sofortprogramm Pflege vor, das am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, es gebe eine Vertrauenskrise in der Pflege. Er wolle das klare Signal geben: „Wir haben verstanden.“Es gehe jetzt darum, „alle Register zu ziehen“, um diese neue finanzierten Stellen auch wirklich zu besetzen. Spahn bezeichnete den Gesetzentwurf als ersten Schritt, dem weitere folgen sollen.
Die Kosten von 640 Millionen Euro für die 13 000 neuen Stellen in der stationären Altenpflege sollen von den Kassen getragen werden. Der Verband der Ersatzkassen kritisierte, dass die Kosten des Gesetzes nahezu ausschließlich von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherungen getragen werden sollen.
BERLIN – Er gilt vielen als Hoffnungsträger der CDU und manchen gar als Kanzlerreserve. Gesundheitsminister Jens Spahn liebt den großen Auftritt und ist mit seinen Vorschlägen meist nah an der Stimmung der Bevölkerung. Mit seinem Sofortprogramm Pflege will er jetzt das klare Signal geben: „Wir haben verstanden.“
Der 38-jährige Jens Spahn steht dem Wirtschaftsflügel der Union nahe. Der Konservative aus dem Münsterland ist in gewisser Weise der Nachfolger von Friedrich Merz. Klug, jung und Kanzlerin-Kritiker. Friedrich Merz ist all das, wie man weiß, politisch nicht gut bekommen. Er wurde von Angela Merkel ins Abseits gedrängt. Jens Spahn aber wurde von ihr in die Kabinettsdisziplin eingebunden, als neuer Gesundheitsminister. Ein Amt, in dem es schwer ist, sich zu behaupten.
Starke Nerven sind wichtig
Von Heiner Geißler über Ulla Schmidt bis zu Hermann Gröhe haben die Minister erlebt, dass man auf diesem Posten unter Dauerbeschuss steht, und keiner hat dies so gut überstanden wie Ulla Schmidt (SPD), deren Nerven sprichwörtlich sind. „Lies du das mal“, hat sie ihrem Sprecher Klaus Vater immer aufgetragen, wenn es zu viel Kritik gab. Und das war häufig: von Patienten und Beitragszahlern, die immer mehr erwarten als sie bekommen, von Ärzten, die eigentlich immer unzufrieden sind und einer Pharmaindustrie, die hohe Forderungen stellt. Jens Spahn hat die gleichen guten Nerven wie Ulla Schmidt. Als er im Wahlkampf im letzten Jahr ein Islamgesetz für Deutschland forderte und landauf, landab kritisiert wurde, schien es, als wirke Kritik geradezu als Elixier für ihn. Und beim Bundesparteitag der CDU boxte er – völlig unbeeindruckt – gegen CDU-Chefin Merkel die Forderung nach einer Abschaffung des Doppelpasses durch. Er hat Rückgrat, und als CDU-Mann aus Westfalen, der im letzten Jahr seinen Lebenspartner geheiratet hat, braucht er dies auch.
Gesundheitsminister zu sein, bringt viele Konflikte mit sich. Doch Jens Spahn hat das Glück, in guten Zeiten zu regieren. Den Krankenkassen geht es aufgrund der Konjunkturlage gut. Ein dreistelliger Millionenbetrag für die bessere Ausstattung der Krankenhäuser müsse drin sein, sagt Spahn und fügt hinzu: „Wenn es teurer wird, würde es mich freuen.“Denn das hieße ja, dass man mehr Pflegekräfte gewinnen konnte.
Wenn es teurer wird? Mehr Abgaben für die Wirtschaft? Das ist sonst nicht gerade Spahns Devise. Er hat sich im Frühjahr mit dem Spruch, dass Hartz IV nicht Armut bedeute, in die Schlagzeilen katapultiert. 210 000 Menschen haben im Internet eine Petition unterschrieben mit der Forderung, dass Spahn selbst einmal probieren solle, von Hartz IV zu leben. Spahn traf sich mit der Initiatorin zum Kuchenessen. Und winkte ab. Wenn er als Minister von Hartz IV lebe, sei das nicht glaubhaft.
Der gelernte Bankkaufmann Spahn ist nicht nur Wirtschaftsmann, sondern auch ein Politiker, der ein Gespür für Themen hat. Und so weiß er, dass Pflege die Menschen so beschäftigt, dass sie auch gerne mehr dafür zahlen. Deshalb kommt jetzt sein Vorstoß, dass der Beitrag für die Pflegeversicherung im nächsten Jahr noch deutlicher als geplant steigen könnte. Eigentlich sollte der Beitrag um 0,3 Prozent angehoben werden. Doch Spahn findet jetzt die Größenordnung von 0,5 Prozent „realistisch“. Sofort kam Kritik aus der FDP. „Damit drohen die Sozialversicherungsbeiträge die 40-Prozent-Grenze zu überschreiten“, warnte der stellvertretende FDPFraktionsvorsitzende Michael Theurer (siehe auch „Nachgefragt“).
Mehr als 40 Prozent Beiträge?
Die Einhaltung der 40 Prozent-Marke ist der Wirtschaft ein Kernanliegen. Rente, Arbeitslosenversicherung, Krankenkasse und Pflegeversicherung zusammen sollen diese Marke nicht übersteigen. Derzeit liegen Familien mit Kindern ganz knapp darunter, bei 39,75.
Die 40-Prozent Marke findet auch Spahn richtig, deshalb drängt er jetzt seinen Kollegen, Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Arbeitslosenversicherung deutlicher als um die bisher geplanten 0,3 Prozent zu senken. Soll der doch in seinem Ressort sparen.
Bei der Vorstellung des Pflegestärkungsgesetzes betont Jens Spahn noch einmal, das Bewusstsein, dass gute Pflege zusätzlich Geld brauche, sei vorhanden. Und es sei „umso besser, wenn die Einsicht auch beim Vizekanzler gestiegen sei, dass gute Pflege zusätzliches Geld“brauche. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte als Vizekanzler in Vertretung von Angela Merkel die Kabinettssitzung geleitet.
Dann wünscht er den Journalisten, die zu seinem Statement im Gesundheitsministerium sind, einen „schönen Sommer“. Dass er selbst im Sommerloch verschwindet, gilt als höchst unwahrscheinlich.